Richard Wagner: Vom Nachlass zur Hinterlassenschaft

• 18. November 2010
Das Doppelleben Oskar Pastiors als Dichter und Informant der Securitate.
Als vor einigen Wochen bekanntwurde, dass der 2006 verstorbene Schriftsteller Oskar Pastior inoffizieller Mitarbeiter der Securitate war, blieb ungewiss, wie kompromittierend Pastiors Mitarbeit tatsächlich war. Nun sind erste belastende Dokumente in einer Opferakte gefunden worden.
Richard Wagner
Als die ersten Belege über Oskar Pastiors Securitate-Verstrickung auf den Tisch kamen, hofften alle Beteiligten noch, dass es sich um einen unbedeutenden Fall handeln möge. Es gab eine Verpflichtungserklärung, von ihm selber geschrieben und unterzeichnet, und es gab laut Unterlagen einen Zeitraum von sieben Jahren, den seine einschlägige Tätigkeit umfassen sollte. Ein einzelner IM-Bericht wurde von dem Münchener Literaturwissenschafter Stefan Sienerth, der die IM-Akte Pastiors im Archiv der Bukarester Behörde für die Aufarbeitung der Securitate-Unterlagen in dem Durcheinander der Dossiers entdeckte, vorgefunden.
Meister der Duplizität
Pastior, der zu Lebzeiten eher den Eindruck erweckte, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun könne, wurde von seiner Umgebung niemals verdächtigt. Er galt als Wolkenkuckucksdichter, und darum war er, wie meistens in solchen Fällen, Everybody's Darling. Politik war das Allerletzte, was einem in seiner Gegenwart einfallen konnte. Unter Emigranten genügt es manchmal, sich auf das Rezept des Auberginensalats einigen zu können.
Man bewunderte Pastiors Sprachfeuerwerk wie eine gelungene Rezeptur oder nahm es zumindest amüsiert zur Kenntnis. Pastior, der als Ostschriftsteller sein Material im Westen einzubringen verstand und damit gleichzeitig zum intellektuellen Entertainer und zum unmissverständlichen Avantgardisten wurde, war für uns, die Jüngeren, die später aus dem Banat und Siebenbürgen nach Deutschland kamen, in den meisten Fällen nicht Vorbild, sondern ein Beispiel für eine gelungene kulturelle Integration. Einem so sanften Sieger begegnet man nicht ungern auf der abgezirkelten Strecke der Literatur.
Jetzt, da sich die Anzeichen und Beweise seiner IM-Tätigkeit häufen, erscheint er uns eher als ein Meister der Duplizität. Seine Homosexualität musste er in Rumänien bereits als Jugendlicher verstecken, sie galt bei den fortschrittsfunkelnden Kommunisten bis zuletzt als Straftat. So heiratete er Roswith Capesius, die Tochter eines der angesehensten Intellektuellen der Siebenbürger Sachsen, Bernhard Capesius, und nahm im Eifer der Anpassung und Tarnung sogar ihren Familiennamen an.
Er blieb nach dem Studium in Bukarest, der Hauptstadt des verfinsterten Landes, wo, dank den zentralistischen Traditionen, auch die stalinistischen Fäden der Macht zusammenliefen und wo, trotz allem, immer noch Metropolenerfahrungen möglich waren. Die Zwei-Millionen-Stadt bot in den frühen sechziger Jahren weiterhin Geheimnisse – und das eine oder andere mentale Versteck.
Nach dem Studium der Germanistik wurde Pastior Redaktor bei Radio Bukarest, damals ein gleichgeschalteter Sender, in dem es keinerlei Nischen-Programm gab, kein Sendeformat, in dem nicht die offizielle Sprachregelung gegolten hätte. An einem solchen Ort konnte man nur arbeiten, wenn man sein Innerstes von dieser Tätigkeit abzuspalten vermochte. Pastior war schliesslich nicht Kommunist, das war damals und dort kaum jemand.
Dem ist hinzuzufügen, dass er als Reporter ausgiebig im Lande herumkam und diverse Reportagen über das kommunistische Kollektiv-Glück verfasste und schamlose stalinistische Kollaborateure porträtierte. Auch damit war er für die Securitate interessant, weil er mit der Beiläufigkeit des Journalisten allerhand in Erfahrung bringen konnte. Da es keine Meinungsfreiheit gab, die öffentlich zum Zuge kommen konnte, mussten die Stalinisten laufend die Stimmung erkunden lassen.
Pastior traf im Rundfunkhaus auf Redaktoren aus dem gesamten Ostblock und sicherlich auch auf einige von ausserhalb des sozialistischen Friedenslagers, die Bukarest besuchten, weil ihre Häuser den Kontakt mit dem Sender pflegten. In der Verpflichtungserklärung geht es auch um solche Gesprächspartner. Ob er Berichte über diese Begegnungen tatsächlich verfasst hat, weiss man zurzeit noch nicht.
Hingegen weiss man seit einigen Tagen, dass er mit einer unbekannten Anzahl von Berichten in der Akte des – wie Pastior selbst – aus Siebenbürgen stammenden deutschen Schriftstellers Dieter Schlesak vorkommt, mit dem er in Bukarest offenbar befreundet war und der bisher zu seinen Verteidigern gehörte. Schlesak, der sonst gerne zum Thema polemisierte und Verständnis anmahnte, hat nun endlich seine eigene Akte, auf die er anfangs nicht besonders neugierig war, in Bukarest eingesehen. Dass er seine Meinung geändert hat, ist, so muss man annehmen, der Tragweite der vorgefundenen Berichte des Oskar Pastior zuzuschreiben.
Schlesak zitiert aus Berichten des Dichterkollegen und wundert sich, dass dieser in seinen konspirativen Beiträgen einem so rudimentären Literaturverständnis folgen konnte, wie der Stalinismus es ihm abverlangte. Das aber ist ein einfaches Problem mit einer einfachen Erklärung, und die dürfte auch Schlesak bekannt sein. Schliesslich war er damals Redaktor bei «Neue Literatur», der einzigen deutschsprachigen Literaturzeitschrift Rumäniens.
Rücksichtslosigkeit aus Angst
Pastior handelte nicht aus Überzeugung, er war allem Anschein nach in seine Rolle bei der Securitate aus Angst geraten, er fürchtete zu Recht das Gefängnis. Angst ist in einer solchen Situation nicht nur verständlich, sie ist durchaus legitim, sie legitimiert aber zu nichts, auch zur Denunziation nicht. Angst ist kein Freibrief, und auch Homosexualität ist es nicht, selbst wenn sie als Straftat gilt. Es gibt Angelegenheiten, bei denen es ums Prinzip geht, nicht ums Detail. Man kann sich nicht aus der Schlinge ziehen und sie anschliessend einem anderen umlegen. Die Schlinge ist kein Stafettenstab. Im Klartext: Oskar Pastior hat ohne Wenn und Aber eine unentschuldbare, ohne Rücksicht auf andere durchgeführte Informantentätigkeit zu verantworten.
Pastior hat den Securitate-Offizieren bestimmt nicht erzählt, was er insgeheim dachte, sondern was sie hören wollten. Sein Ziel war offenkundig seine Selbstrettung. Dass er in Sachen Ästhetik, und nicht nur darin, anders dachte als die Machthaber und ihre Lakaien, war für ihn selbstverständlich, er beliess es bei seiner Tarnung. So gab es den Pastior der Parteigedichte, die er veröffentlichte, den Pastior des gleichgeschalteten Radios, und es gab den Pastior der experimentellen Poesie und der laufenden Umsetzung der Muttersprache in Nonsens. Er war ein mit einer Frau verheirateter Schwuler und ein experimenteller Parteidichter. So konnte er in Bukarest an den Privilegien des Spätstalinismus partizipieren. Er durfte mehrfach in Ostblockländer reisen, konnte zwei Gedichtbände veröffentlichen, und das war's dann auch.
Die Grenzen dieser Welt aber sollten nicht zu Grenzen seines literarischen Werks werden, und so ging er, als sich ihm die Möglichkeit bot, fort. Und als er in den Westen kam, hatte er auch hier bereits ein selbstgestricktes Geheimnis bei sich. Es war seine Securitate-Mitarbeit.
Pastior lebte für sein Werk. Seine Sparsamkeit war gefürchtet. Er hat beinahe alles an Geld, was in seine Hände kam, auf die hohe Kante gelegt. So ist nach seinem Tod, testamentarisch von ihm verfügt, eine Stiftung mit seinem Namen eingerichtet worden, und auch ein Oskar-Pastior-Preis wurde ins Leben gerufen. Beim jetzigen Stand der Dinge wird es kaum möglich sein, die beiden Projekte zu erhalten. Ihm, der seine frühen Jahre in einem sowjetischen Zwangsarbeitslager vergeuden musste, war es wichtig, etwas Bleibendes zu stiften, und es musste wohl seinen Namen tragen, denn in seiner eigenen Vorstellung hatte er dem totalitären System etwas abgetrotzt, sein Überleben, und das sollte dokumentiert sein, nicht aber der dafür gezahlte Preis.
Gedichte ohne moralisches Echo
Dieser Zwiespalt stellt wahrscheinlich den fatalen Angelpunkt seiner Lebensvorstellung dar, seines Lebensplans. Sein Überleben, dem alles andere untergeordnet blieb, hat er ausschliesslich in seiner Rolle als Schriftsteller verstanden, in seiner perfektionistischen Sicht auf das eigene Werk. Pastior hatte etwas von einem Handwerker, der nichts als Qualität im Auge hat, und als Maxime seines Verhaltens nur noch die Richtschnur gelten lässt. Seine Gedichte haben formal Bestand, sie haben aber kein moralisches Echo, man kann sie auch weiterhin lesen, sie sagen aber nichts aus. Nicht, weil sie sich verweigern, sondern weil sie nichts verraten dürfen.
Pastior ist 2006 gestorben, den ihm bereits zugesprochenen Georg-Büchner-Preis erhielt er postum. Er hat nie ein Wort über seine Securitate-Mitarbeit verloren, weder öffentlich noch privat. Er hatte stets einen vorbildlichen Nachlass im Auge, jetzt ist es eine krude Hinterlassenschaft. Aus ihr spricht Ungeheuerliches, und es spricht nicht mit dem Wortreichtum seines Werks. Pastior ist plötzlich unter all den Saxofonisten der Glasbläser.
Richard Wagner lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. 2008 erschien der Band «Es reicht. Gegen den Ausverkauf unserer Werte».
Leser-Kommentare: 1 Beiträge
o
stefanie golisch (18. November 2010, 16:35)
Messerscharf
Ein großes Kompliment an den Autor Richard Wagner, dessen überaus differenzierte Analyse nicht nur den "Fall Pastior" abgründig erhellt , sondern auch ein scharfes Schlaglicht auf die zutiefst ambivalente, aus westlicher Sicht nur schwer nachvollziebare Dramatik eines Schriftstellerlebens im stalinistischen Osteuropa wirft.
Ein Beispiel an profunder Innensicht und analytischem Scharfsinn!
Hochachtungsvoll!
Stefanie Golisch

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