Bernhard Schöllbauer: Neustadt. Ein Braunauer Kriminalroman

Wolfgang Krisai: Inn bei Braunau. Aquarell. 2007.

Bei einem Besuch in Simbach am Inn kaufte ich kürzlich diesen Krimi, um die vom verheerenden Hochwasser im Juni 2016 gerade noch ein wenig betroffene örtliche Buchhandlung zu unterstützen. Im Laden ist das Wasser einige Zentimeter hoch gestanden, Bücher sind zum Glück dabei nicht beschädigt worden, aber trotzdem ist jetzt einiges an Reparaturarbeiten durchzuführen…

(Achtung! Wer den Krimi selbst lesen will, sollte diese Rezension nicht bis zum Ende lesen, wo das Ende des Krimis verraten wird!)

Ein Toter in der Braunauer „Neustadt“

Der Titel dieses Romans gibt eigentlich nur den Ausgangspunkt einer immer weiter in die große Welt der organisierten Kriminalität ausgreifenden Handlung an: In einer Hochhaus-Wohnung in der Braunauer „Neustadt“ – das ist ein in den 70er-Jahren im Süden der Stadt errichtetes Wohnviertel mit einigen Hochhäusern, Einkaufszentrum, Pfarrkirche, usw. – wird ein Toter gefunden, mit aufgeschnittener Halsschlagader und zerschnittenem Gesicht. Die Tatwaffe liegt auch gleich dabei: eine geköpfte Bierflasche. Der Tote ist ein gewisser Josef Achatz, der vor seiner Pensionierung in der AMAG gearbeitet hat, dem riesigen Aluminiumwerk in Ranshofen, jetzt aber entweder zu Hause sitzt oder für einen bayerischen Zeitschriftengroßhandel Zeitschriften ausfährt.

Kriminalkomissar Margreiter und sein Assistent Klein, die beide in Salzburg wohnen und zwischen Dienststellen in Salzburg und Braunau hin und her pendeln, werden mit dem Fall befasst. Sie tappen allerdings völlig im Dunkeln.

Eine im Wald vergrabene Mädchenleiche

Bald darauf wird im Kobernaußerwald zufällig eine vergrabene Mädchenleiche gefunden: Es ist Sandra Stadelmayr, Tochter eines Bankdirektors aus Helpfau. Die Tochter ist seit einigen Tagen als vermisst gemeldet.

Kriminalistische Untersuchungen ergeben, dass Sandra offenbar von Achatz vergewaltigt wurde. Er wird sie wohl ermordet haben. Was jedoch seinen Tod noch nicht erklärt.

Eine Wasserleiche am Inn-Ufer

Richtig „großräumig“ wird die Sache erst, als eine weitere Tote auftaucht, diesmal angeschwemmt am Inn-Ufer. Es ist eine nicht näher identifizierbare junge Frau aus dem Osten (darauf deutet ein typischer Talisman hin, den sie dabei hat).

Interessanter Weise tappt in diesem Roman die Polizei im Dunkeln, während der Leser genau weiß, was los ist, da es nicht nur Kapitel gibt, die aus der Sicht der Polizei erzählt sind, sondern viele, die Handlungsteile bringen, von denen die Polizei nie etwas erfährt.

So wissen wir als Leser, dass die Tote eine in einem Kleintransporter nach Österreich geschleppte Moldawierin ist, die beim Transport gestorben ist. Nicht gestorben ist zunächst die neben der Toten liegenden Iwanka, die wie die anderen mittransportierten Mädchen in ein Bordell gebracht wird, wo sie wegen kleiner Aufmüpfigkeiten sofort einmal vergewaltigt und in eine „Sonderzelle“ gesperrt wird. Allerdings ist der Bewacher ein unterbelichteter Typ, der im Dienst einschläft, was Ivanka zur Flucht nützen kann.

Ein in der Müllverbrennungsanlage verbrannter Bewacher

Die Bordellchefin, eine überaus resolute und kaltblütige Bulgarin, die in Österreich als Diplomatin getarnt ist, lässt daraufhin den Bewacher zur Strafe foltern und umbringen. Die Polizei findet ihn nie, da er in Linz in der Müllverbrennungsanlage verheizt wird.

Ein in Bulgarien umgelegtes Mädchen

Auch Ivanka überlebt nicht, sondern wird am Ende ihrer Flucht in Bulgarien aufgespürt und umgelegt.

Ein überfahrener Mitwisser

Margreiter und Klein merken, dass der Fall internationale Dimensionen annimmt. Als nun ein weiterer Fahrer der Bayernland-Press, Kloiner, ins Spiel gebracht wird, bekommt der Fall eine weitere Dimension: die der Kinderschädung. Als Kloiner merkt, dass man ihm auf der Spur ist, vergräbt er belastende DVDs und Festplatten im ehemaligen „Grab“ von Sandra Stadelmayr im Kobernaußerwald. Als er nach getaner Arbeit mit seinem Auto aus dem Waldweg in die Straße einbiegt und dabei einen heranrasenden Lastwagen übersieht, ist es auch um ihn geschehen.

Klein entdeckt – kriminalistische Intuition – die vergrabenen Schätze. Noch bevor Margreiter oder er sie sich ansehen können, wird eine der DVDs allerdings aus dem Polizeibüro entwendet.

Ein aus Protest kranker Polizist

Wieder weiß der Leser mehr als Margreiter und Klein: Der Entwender ist ausgerechnet eine Kollege von der Sittenpolizei, der mit den Kinderschändern im Bunde ist. Diese Pädophilen sind allerlei honorige Herren, auch Politiker, die schnell durchsetzen können, dass nur die weniger wichtigen Herren aufgedeckt und bestraft werden, während die Verbrechen der „höheren Viecher“ vertuscht werden. Margreiter will da nicht mitspielen und meldet sich aus Protest krank.

Da die Ermittler dem Bordell mit den moldawischen Mädchen auf die Spur kommen, ergreifen die Bordellchefin und alle Aufseher die Flucht. Den Mädchen wird mit drastischen Mitteln eingeschärft, was sie der Polizei sagen müssen: Sie alle seien freiwillig hier und seien immer gut behandelt worden.

Zwei politische Drahtzieher, einer aus der ÖVP, einer aus der SPÖ, treffen sich und schauen sich die entwendete DVD an und vereinbaren, welche der darauf sichtbaren Mädchenschänder sie hochgehen lassen wollen und welche nicht. Margreiter, wieder im Dienst, kommt die Gleichförmigkeit der Aussagen der Mädchen seltsam vor. Von einem der Mädchen erfährt er schließlich von den Drohungen. Doch das hilft nicht weiter.

Ein verblüffendes Ende

Und: Ende! In diesem Kriminalroman wird am Ende nicht Gerechtigkeit hergestellt, sondern werden die Polizisten befördert, weil sie bei der Vertuschung geholfen haben. Margreiter lässt es sich gefallen.

Dieses Ende hat mich verblüfft. Ich muss aber gestehen, es kommt mir sehr realistisch vor.

Schöllbauer schreibt einen angenehmen Stil, der sich flott liest.

Der Roman hätte ein großes Publikum verdient, ist jedoch in dem regionalen Kleinstverlag „edition innsalz“ erschienen,dessen Produkte höchstens in den Regalen von Braunauer und Simbacher Buchhandlungen stehen, sonst aber nur im Internet aufgespürt werden können. Schade.

Bernhard Schöllbauer: Neustadt. Ein Braunauer Kriminalroman. edition innsalz, Ranshofen, 2016. 259 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Inn bei Braunau. Aquarell. 2007.


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