Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert

Wolfgang Krisai: Friedrich Rückert. Skizze nach einer Büste in der Ausstellung

Die Orientalistin Annemarie Schimmel (1922-2003) gab in den 80er-Jahren eine zweibändige Auswahlausgabe der Werke Friedrich Rückerts im Insel-Verlag heraus. Die darin enthaltenen Einführungen scheint sie 1994 bei Herder etwas erweitert auch als separate Biographie veröffentlicht zu haben. 2015 ist der Band in einer aktualisierten Neuausgabe bei Wallstein erschienen, gerade rechtzeitig vor dem 150. Todestag des Dichters 2016.

Vom Umfang her ist die Biographie mit ihren rund 150 Seiten in kürzester Zeit zu bewältigen, und auch inhaltlich und stilistisch stellt sie ein Musterbeispiel einer knappen, aber umfassenden Einführung zu Leben und Werk eines Dichters dar.

Übersetzer aus 44 Sprachen

Friedrich Rückert (1788-1866) wird 2016 mit einer Ausstellung und vielen Veranstaltungen gefeiert und damit gewissermaßen „wiederentdeckt“, und Schimmels Biographie kann in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen: Sie ist nämlich aus der Sicht der Orientalistin geschrieben, nicht aus jener der Germanistik. Sie würdigt daher mit höchstem Lob die ungeheure und bis heute gültige Übersetzungsleistung Rückerts, der Werke aus 44 Sprachen, vor allem orientalischen, ins Deutsche übertragen hat.

Orientalische Dichtung erschlossen

Darunter befinden sich nicht nur Teile des Korans, sondern auch Gedichte des Hafis, die Makamen des Hariri und viele weitere wichtige Werke der persischen, arabischen und indischen Dichtung. Die Übersetzungen seien immer mustergültig, da es Rückert gelinge, nicht nur zu übersetzen, sondern die poetische Form der Originale, ja sogar fast unübersetzbare Wortspiele so weit wie möglich in der deutschen Sprache nacherlebbar zu machen. Auf diese Weise habe Rückert für den deutschen Sprachraum die orientalische Dichtung erschlossen, wie dies in keiner anderen Sprache geschehen sei.

Zehntausende Gedichte

Annemarie Schimmel betrachtet Rückerts immense Produktivität an eigenen Gedichten, die in die Zehntausende gehen, aus dem Blickwinkel seiner Übersetzertätigkeit: Man könne nicht trennen – hie deutscher Dichter, hie Übersetzer -, denn Rückerts ununterbrochenes Dichten sei einerseits die Voraussetzung für die Sprachbeherrschung, die er auch in seinen Übersetzungen und gerade da gezeigt habe, andererseits hätten die Formen der orientalischen Dichtung auch auf den ungeheuren Formenreichtum seiner eigenen Gedichte zurückgewirkt.

Ein lyrisches Tagebuch

Rückert schrieb Gedichte über alles und jedes, fast wie ein lyrisches Tagebuch. Sein Alterswerk wird derzeit in zehn Bänden unter dem Titel „Liedertagebuch“ im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe bei Wallstein herausgegeben.

Vielfach ging es ihm darum, eine Weisheit pointiert in Worte zu fassen, aber er dichtete genauso über Alltagsdinge, über seine Kollegen, vor allem aber über seine Frau und seine Kinder.

Berühmt sind ja die rund 400 „Kindertotenlieder“, in denen er seinem Schmerz über den Tod zweier seiner zehn Kinder durch Scharlach freien Lauf lässt, und die Gustav Mahler in knapper Auswahl vertont hat.

Liebesgedichte an seine Frau

Auch seiner Frau widmete er Unmengen von Liebesgedichten, beginnend mit dem Band „Liebesfrühling“. Luise Wiethaus-Fischer hatte er bei seinem Gastgeber in Coburg, wo er an der fürstlichen Bibliothek Forschungen unternahm, kennen gelernt. Sie blieb bis zu ihrem Tod 1857 seine große Liebe, führte aber auch mit Umsicht den Haushalt und „managte“ ihren Dichter-Gatten. Sie war keine der „großen Frauen“ der Romantik, aber vor diesen hatte Rückert ohnehin eine gewisse Scheu.

Seine Weisheitsdichtung nannte Rückert „Die Weisheit des Brahmanen“. Dabei handelt es sich nicht, wie man annehmen könnte, um Übersetzungen aus dem Indischen, sondern um Rückerts eigene Lebensweisheit. Der titelgebende „Brahmane“ steht hiebei für einen Weisen schlechthin, jenseits aller Religionen.

Rückert befremdete manchen strengen Protestanten oder Katholiken durch seine tolerante Einstellung in Fragen der Religion. Jenseits der einzelnen Religionen suchte er einen Weg zu Gott und schrieb darüber in seinen Gedichten.

Weniger tolerant war Rückert in politischer Hinsicht, wo er sich ganz auf die Seite des deutschen Nationalismus, wie er im Kampf gegen Napoleon aufkam, stellte. Dementsprechend „geharnischt“ war seine Dichtung, und mit Napoleon-Freunden wie Goethe wurde er, zumindest politisch, nicht warm.

Professor für Orientalistik

Seine Karriere als Universitätsprofessor für orientalische Sprachen hatte nur zwei große Abschnitte: die Jahre an der Universität Erlangen und jene an der Universität Berlin. An beiden Universitäten lehrte er ohne große Begeisterung, da ihm das Unterrichten nicht lag. Seine Stärke lag darin, sich in kürzester Zeit neue Sprachen so weit anzueignen, dass er die in dieser Sprache geschriebenen Werke lesen, verstehen und übersetzen konnte. Darin hatte er eine seltene Hochbegabung. Kein Wunder, dass er der lästigen Lehrtätigkeit im kalten Berlin schließlich zu entkommen trachtete, sich 1848 pensionieren ließ und sich auf sein Landgut in Neuses (heute ein Stadtteil von Coburg) zurückzog und dort seinen Interessen und seiner Familie lebte.

Rückerts Haus in Neuses ist übrigens seit einigen Jahren als Museum zugänglich.

Der Dichter dürfte auch einen deutlichen Hang zur Melancholie gehabt haben. Er litt darunter, dass er als Doppelbegabung keine seiner beiden Seiten – die des Dichters und die des Orientalisten – zu höchster Entfaltung bringen konnte.

Fand sich zu hässlich und zu groß

Daneben war er auch mit seiner äußeren Erscheinung unzufrieden: Er fand sich hässlich und zu groß. Immerhin maß er zwei Meter, was neben seiner bei weitem kleineren Frau besonders aufgefallen sein musste. Eines seiner Stehpulte konnte ich in der Gedenkausstellung in Erlangen besichtigen: Es ist mindestens 160 cm hoch. Nichts für kleine Leute! Auf einer der in den Band eingestreuten Schwarzweißabbildungen sieht man eines dieser Stehpulte (S. 95).

Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert. Lebenslauf und Einführung in sein Werk. Aktualisierte Neuausgabe. 2. Auflage. Wallstein, Göttingen 2016. 157 Seiten.

2016/17 läuft unter dem Titel „Der Weltpoet“ eine äußerst sehenswerte Ausstellung über Friedrich Rückert: in Schweinfurt 8. April – 10. Juli 2016, im Stadtmuseum Erlangen 24. Juli – 26. Dezember 2016 und im Kunstverein Coburg 14. Jänner – 17. April 2017.

Bild: Wolfgang Krisai: Friedrich Rückert. Skizze nach einer Büste in der Ausstellung „Der Weltpoet“, Erlangen. Tuschestift, 2016.


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