Tag 92. Sonntag 4. August 2013. Von St.-Jean-Pied-de-Port über Roncesvalles nach Burguete.
Am heutigen Sonntag verlasse ich Frankreich und überquere die Pyrenären nach Spanien. Im Hotel Itzalpea bekomme ich bereits um 6 Uhr das opulente Frühstück. Um 6.40 Uhr bin ich in der feuchtwarmen Luft von Saint Jean Pied-de-Port. Ich gehe durch die Altstadt, wo überall Rucksackmenschen in die eine Richtung unterwegs sind:Raus aus dem Städtchen, den Berg hinauf. Der Ausgangspunkt des Hauptweges ¨Camino Frances¨ liegt nur 169 Meter hoch. Umso steiler zieht sich der Camino nun hinauf. Nach anderthalb Stunden bei der Hontto-Hütte sind wir schon auf 492 Metern angekommen. Eine wahre Völkerwanderung ist hier im Gange. Liegt es am Sonntag, der für viele der (erste) Starttag in den Urlaub ist? Täglich sollen etwa 600 Pilger St. Jean passieren, habe ich gehört. Hinter mir schnauft einer lautstark auf seinem Mountainbike den Berg hinauf, Vor mir ziehen rucksacklose Damen mit Stöcken redend den Berg hinauf. Man fühlt sich getrieben und mitgerissen. Noch immer ist es nicht richtig hell geworden. Doch es bieten sich weite Blicke Richtung Norden, auf St. Jean und das Umland. Einige kehren in der Hontto-Hütte auf einen Kaffee ein. Ich bleibe in meinem ruhigen Takt bergauf, obwohl der Rucksack wieder kräftig drückt. Nach zweieinviertel Stunden kommt auf 800 Metern die Orrison-Gaststätte. Wieder ziehe ich vorbei, bleibe in meinem Bergauf-Tempo. Der Schweiß lässt nach. Wieso das denn? Auf dieser Höhe ist die Luft angenehm kühl geworden, sie ist nicht mehr so schwülheiß wie unten im Tal. Das wirkt sofort! Immer weiter steigt es teils kräftig an. Bei etwa 1000 Metern beginnt die Nebelgrenze. Die rastlosen Pilger tauchen ins diesige Grau ein. Gerademal den vor mir kann ich noch erkennen. Der Weg ist bestens ausgeschildert, ab und zu fährt ein Bauer mit dem Auto vorbei. Große Schafherden grasen hier oben – ohne Zäune, die zotteligen Tiere bleiben meist im Rudel beisammen und verständigen sich mit andauernden Mäh-Rufen. Das Gras haben sie zum Kurzflor gestutzt, einzig die graublauen Disteln haben sie verschmäht. Aus dem Nebel haben die zarten Gräser Wassertropfen eingefangen. Wenn manchmal ein wenig Sonne durchschimmert glitzern und funkeln sie wie Diamanten. Mir gelingen einige schöne Aufnahmen, während der Rucksack eine Weile Pause machen darf. Über den Col de Bentarte (1326 m) zieht sich der Weg auf der sogenannten Route Napoleon weiter aufwärts. Eine steinerne Tafel beim Rolandsbrunnen weist noch ¨765 kms¨ bis Santiago de Compostela aus. Die Daten scheinen recht unterschiedlich zu sein. Ich lerne Jenny aus München kennen, die heute erst mit einem Stück Jakobsweg begonnen hat. So bin ich endlich auch mal auf einem meiner Fotos zu sehen. Sonnenstrahlen leuchten wie Spotlight zwischen den Bergbuchen hindurch, eine fantastisch schöne Situation. Fingerhutblüten säumen den Wegesrand. Bald sind wir auf dem Col de Lepoeder (1437 m) angelangt. Das ist der höchste Punkt der heutigen Strecke – ja seit langem überhaupt – den wir nach etwa sechseinhalb Stunden erreicht haben. Inzwischen hat der Nebel einem blauen Himmel Platz gemacht. Die Aussicht vor allem Richtung Süden ist einzigartig. Unten im Tal kann man das Kloster von Roncesvalles sehen und sogar weiter hinten die Strecke des folgenden Tages.
Gut eine Stunde braucht es, um auf 960 Meter Höhe durch schöne schattige Wälder hinab zu steigen. Die Abtei Roncesvalles (oder auf französisch: Roncevaux) bietet in ihrem pilgerhospiz mindestens 180 Betten an. Wir trinken im Restaurant Posada erstmal ein erfrischendes Radler, schauen uns dann die Klosterkirche aus dem 13./14. Jahrhundert an, die einer goldenen Marienfigur – Nuestra Señora de Roncesvalles gewidmet ist.
Um nicht in der Masse der Pilger abtauchen zu müssen, gehen wir weiter ins nächste Dorf. Ein Schild listet nunmehr 790 km bis Santiago auf.
In Burguete bekommen wir ein preiswertes Privatzimmer und gehen später in den Dorfgasthof zu einem wohlschmeckenden Abendessen. Wo gibt es schon ein mehrgängiges Menü inklusive Wein für nur 17,50 Euro?
27,6 km sind es heute geworden. Dabei gab es herbe 1550 Höhenmeter Aufstiege und 745 Höhenmeter Abstieg. 1890 Kilometer habe ich bereits zurückgelegt.