04.11.2011 – SPD-Chef Gabriel hat sich was ausgedacht. Er will DGB-Chef Michael Sommer in den SPD Vorstand berufen. Und nicht nur das: Auch Sommers künftige Nachfolger sollen automatisch zum kooptierten Vorstandsmitglied werden. Als solches sitzt man zwar dekorativ in dem Gremium, hat allerdings kein Stimmrecht.
Die Sozialdemokraten wollen den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten auf diese Weise eine Orientierungshilfe für künftige Wahlen bieten. Eine Verbindung zwischen organisierten Arbeitern und der SPD ist vor dem Hintergrund von Programm und Personalie nicht mehr erkennbar.
Gabriels „double dipping“ soll hier jetzt für Abhilfe sorgen. Zeigt sich der DGB künftig wieder häufiger in der Aura der SPD, so könnte der ein oder andere Wähler auf den Gedanken kommen, die Sozialdemokraten hätten am Ende doch irgend etwas mit Lohn- und Arbeitsgerechtigkeit, sozialer Verantwortung, Toleranz oder gesellschaftlicher Fairness zu tun.
Angst vor links und rechts
Die SPD ist in einer denkbar schlechten Ausgangssituation für künftige Wahlen. Wer von einer Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft unter christlich-konservativen Vorzeichen träumt, der landet bei der Union. Wem ein grün angepinselter Turbo-Kapitalismus mit elitären aber fair gehandelten Bio-Produkten und alternativen Energien für Besserverdiener vorschwebt, der findet seine politische Heimat bei den Grünen.
Will man den Politikbetrieb umkrempeln, kann sich aber noch nicht für einen konkreten Standpunkt entscheiden, dann macht man sein Kreuz bei den PIRATEN. Würde man dagegen den nächsten Wahl am liebsten fernbleiben oder den Stimmzettel ungültig machen, kann das aber mit seinem demokratischen Gewissen nicht vereinbaren, dann bietet sich ein Votum für die FDP an.
Kommt man angesichts von fortschreitendem Sozialabbau, einer immer unmenschlicheren Arbeitswelt, sinkenden Bildungschancen, dem Diktat von Wirtschaft und Banken über Politik und Menschen oder der zunehmenden Bereitschaft Deutschlands, sich aktiv an internationalen Kriegseinsätzen zu beteiligen zu dem Schluss, dass es Zeit für einen Systemwechsel wird, dann hat man sich wahrscheinlich ohnehin bereits für die Linkspartei entschieden.
Die Grünen starren ungläubig auf die jetzt wieder sinkenden Umfragewerte, die sie ebenso wenig nachvollziehen können, wie den „Fukushima-Hype“. Die PIRATEN sind gespannt sind, ob sie ihren Berliner Wahlerfolg auch ohne Programm auf die nächste Bundestagswahl übertragen können. Die FDP tut zur Zeit alles dafür, die ein-Prozent-Hürde nach unten zu reißen.
Vom Mindestlohn zum Mindesthohn
Die Union geht in die Offensive und startet die Kampagne „Gesetzliche Lohnuntergrenze“. Ganz geheuer ist ihnen das selber nicht. Viele Parteivertreter wirken sichtlich überfordert damit, öffentlich den „Teufel“ anzubeten. Und für Sigmar Gabriel wird die Luft dünn. Sein Versuch, den Mindestlohn für seine Partei zu reklamieren und die Union zum Plagiator zu erklären, konnte in der Öffentlichkeit nicht überzeugen. Zu viele Menschen erinnern sich daran, dass es gerade die Sozialdemokraten waren, die, wenn es darauf ankam, den Mindestlohn verweigert haben.
Zuletzt im Juni 2007, als die SPD, gemeinsam mit Union und FDP, einen entsprechenden Antrag der Linkspartei im Bundestag abgelehnt hat. Dessen Wortlaut war annähernd identisch mit einer SPD-Unterschriftenaktion zum gleichen Thema und zur gleichen Zeit. Obwohl sich Franz Müntefering und Kurt Beck hier als Erstunterzeichner präsentierten, konnte man sich in der Fraktion nicht dazu durchringen, einen Antrag der Linken zu unterstützen.
Auf der verzweifelten Suche nach potenziellen Wählern sind der SPD jetzt eine Handvoll früherer Freunde wieder eingefallen: Rund sechs Millionen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die dem DGB angehören, haben den Appetit von Sigmar Gabriel angeregt. Nun stehen die Sozialdemokraten vor einer schwierigen Aufgabe: Über der Agenda 2010, der Rente ab 67 oder der Causa Sarrazin muss zuerst der Mantel des Vergessens ausgebreitet werden, bevor man ernsthaft mit Stimmen aus Gewerkschaftskreisen rechnen kann.
DGB-Chef Sommer könnte sich, Spekulationen zufolge, tatsächlich für das unmoralische Angebot interessieren. Einige Beobachter gehen nämlich davon aus, dass er sich 2013 um ein Bundestagsmandat bewerben wird. Einen gewerkschaftlichen Wahlkämpfer könnte die SPD in jedem Fall mehr als gut gebrauchen.