Atomlobby, PR Strategen und Qualitätsmedien

Atomlobby, PR Strategen und Qualitätsmedien03.11.2011 – In der vergangenen Woche hat die taz ein Strategiepapier der Düsseldorfer Lobbyagentur Deekeling Arndt Advisors veröffentlicht. Die Unterlagen skizzieren eine Kampagne, die das Deutsche Atomforum im Frühjahr 2008 in Auftrag gegeben hatte.

Die zentralen Zielsetzungen: „Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen“, ein „verändertes Meinungsklima zur Kernenergie in Deutschland etablieren“.

Bei dem Auftraggeber, dem Deutschen Atomforum, handelt es sich um einen Zusammenschluss der vier Betreiber deutscher Atomkraftwerke – RWE, Vattenfall, Eon und EnBW.

Das PR Konzept beschreibt detailliert, wie der Meinungsumschwung in Deutschland durch die Aktivierung von Verbänden, die Gründung von Vereinen, die Einbeziehung von Experten und das Lancieren positiver Presseberichte erreicht werden kann. Am Ende dieses Beitrags steht das Dokument zum Download bereit.

Die Mission glückte: Am 28. Oktober 2010 wurde im Bundestag – mit den Stimmen von Union und FDP – die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke beschlossen.

Atomlobby, PR Strategen und Qualitätsmedien

Ein Lehrstück in Sachen Öffentlichkeitsarbeit

Auf insgesamt 79 Präsentationsseiten stellt die strategische Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors ihrem Kunden, dem Deutschen Atomforum, ein detailliertes Konzept vor, mit dem die Grundstimmung in der deutschen Bevölkerung auf „pro Laufzeitverlängerung“ gewandelt und das „Meinungsklima“ zur Kernenergie positiv verändert werden soll.

Die Agentur sieht sich als Bindeglied zwischen Wirtschafts- und Interessensverbänden und der Politik. Hierzu heißt es auf der Homepage des Unternehmens:

Wollen sich Verbände heute Goodwill in der Politik sichern, reicht es nicht mehr, das persönliche Gespräch mit einzelnen Akteuren zu suchen. Gefragt sind umfassende Dialogangebote an alle Stakeholder.

Um das gesetzte Ziel zu erreichen, werden drei Aktionsphasen definiert. In Phase eins soll die Bevölkerung zunächst für neue „Rahmenbedingungen der Kernenergie sensibilisiert“ werden. In Phase zwei will man „öffentliche Zweifel“ an der Ablehnung der Atomenergie „säen“. Phase drei soll die „Debatte über die Kernenergie“ in Deutschland „moralisch aufladen“. Eine vierte Phase dient der Bilanz und der Bewertung des Erreichten.

Bewerkstelligt wird der Meinungswechsel durch einen Presseauftakt in Hamburg mit „beachtlicher medialer Resonanz“ (FAS, dpa, Handelsblatt, ZEIT online, Welt), durch intensive Hintergrundgespräche mit Journalisten (Pressereisen in die Schweiz oder nach Finnland), durch die großangelegte Buchung von pro-Kernenergie Beilagen in der Welt am Sonntag, der Bild am Sonntag und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, durch die gezielte Platzierung redaktionell wirkender Botschaften in der Presse, durch Aktionsstände auf Gewerkschafts- und Parteitagen und durch ein umfassendes Online-Angebot der Kernenergie Befürworter.

Nach Abschluss der Phase zwei dokumentiert die Agentur die ersten Erfolge:

  • „Die meinungsführende Presse verzichtet auf klare Festlegung zum Thema“,
  • „Die Kernenergie wird verstärkt im Kontext übergreifender Zukunftsfragen thematisiert“
  • „Die anachronistische Haltung der Kernenergie Gegner wird mehr und mehr zum Gegenstand der Berichterstattung“

Das zusammenfassende Resümee von Deekeling Arndt Advisors: „Die Kampagnenstrategie funktioniert – aber es ist mit heftigem Gegenwind zu rechnen“.

Mit Gegenwind, so erläutert das Konzept, sind vor allem die Auswirkungen der Finanzkrise auf die politische Debatte gemeint. So werden unerwartet die „kurzfristigen Gewinninteressen der Energiewirtschaft“ öffentlich kritisiert. Die Agentur befürchtet, die Politik könne die Energiewirtschaft angesichts steigender Strompreise zum „Sündenbock machen“.

Auch im Hinblick auf den nahenden Bundestagswahlkampf 2009 raten die PR-Berater zur Vorsicht: Dieser könnte von den Kernenergie Gegnern genutzt werden, um das Thema zu „emotionalisieren und zu popularisieren“.

Um das zu verhindern, schlägt die Agentur vier Gegenmaßnahmen vor:

  1. Gegner sollen als ideologisch und unsachlich vorgeführt werden
  2. Energie soll als soziale Frage thematisiert werden
  3. Stimmen aus dem Ausland sollen eine Plattform erhalten
  4. Neue Unterstützerkreise sollen aktiviert werden

Die Umsetzung dieser Maßnahmen konnte man in der Folge, ebenso wie die Phasen eins und zwei, öffentlich deutlich wahrnehmen: Zeitungen und Zeitschriften machten verstärkt auf den Zusammenhang von Atomenergie und niedrigen Strompreisen aufmerksam. Kernenergie-Gegner wurden als unsachlich und ideologisiert diffamiert. Berichte über die erfolgreiche Nutzung der Kernenergie in anderen Ländern wurden in den Vordergrund gestellt. Selbst Gorleben galt plötzlich als sicher.

Energieintensive Unternehmen wandten sich mit Alarm- und Drohszenarien an die Öffentlichkeit, Wissenschaftler und Experten wurden in den Dialog eingebunden und Fotostorys über Frauen, die selbst schwanger in Atomanlagen gearbeitet hatten, erschienen in den Zeitschriften und Magazinen.

Als die Regierung Merkel die „verantwortliche Laufzeitverlängerung mit Augenmaß“ beschloss und als „alternativlos“ verkündete, blieb die öffentliche Empörung weitgehend aus. Erst durch die Ereignisse in Fukushima, die selbst gewiefte PR-Strategen nicht voraussehen konnten, änderten sich die öffentliche Wahrnehmung, der Kurs der Regierung und die Position der Energiewirtschaft.

 

Atomlobby, PR Strategen und Qualitätsmedien

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Die ethische Bewertung der Kampagne

Das Studium der Konzeptpapiere zeichnet ein deutliches Bild der Maßnahmen und Instrumente, mit denen das Ziel des Auftraggebers erreicht wird. Auftraggeber sind die vier großen Energiekonzerne, vertreten durch das Deutsche Atomforum. Der Weg ist der Meinungsumschwung in der Bevölkerung. Das Ziel ist die Laufzeitverlängerung. Es wird im Oktober 2010 mit den Stimmen von Union und FDP und ohne sonderliche Gegenwehr in der Bevölkerung erreicht.

Die ethische Beurteilung der Kampagne fällt schwer. Unzählige PR- und Kommunikationsagenturen beschäftigen sich in Deutschland damit, das Image ihrer Kunden zu verbessern, Märkte zu bearbeiten, das Interesse von Verbrauchern zu wecken und die Konkurrenz zu schwächen. Es handelt sich hierbei weder um eine ehrenrührige noch um eine verbotene Tätigkeit.

Ebenso sind die Motive des Auftraggebers nachvollziehbar und im Rahmen der geltenden Verhältnisse legitim. Natürlich sind die Energiekonzerne von dem Wunsch geleitet, mit abgeschriebenen Atomkraftwerken möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Und natürlich nutzen sie hierzu alle legalen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit und der Kommunikation, die man für Geld kaufen kann.

Bei aller Entschiedenheit und finanziellen Potenz des Kunden und bei aller Geschicklichkeit der ausführenden PR-Berater: Ohne ein hochtouriges Vehikel sind die sorgfältig konzipierten Botschaften allerdings nicht an das Volk zu bringen. Bei diesem Vehikel handelt es sich um die Medien und im Falle der hier betrachteten Kampagne vor allem um die Presse.

Ohne willfährige Vertreter der schreibenden Zunft würden die Inhalte solcher Strategien nämlich dort bleiben, wo sie hergekommen sind: In den Konferenzräumen und Präsentationsmappen der namhaften Agenturen in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg oder Berlin.

Es sind die Verleger, Journalisten und Redakteure, die sich den PR-Strategen und ihren Auftraggebern als unkritische Multiplikatoren andienen. Mit einer kleinen Reise hier, der Buchung eines Beilegers oder einer Anzeige dort oder mit einem exklusiven Empfang an einem extravaganten Ort und mit handverlesenem Publikum macht man sich die Zeitungen, Magazine und Zeitschriften gefügig. Hier wird wunschgemäß berichtet, hier werden Gastartikel und Interviews mit den Meinungsführern der Lobby unkommentiert abgedruckt und hier wird ein Medium nach dem anderen in den Dienst einer Sache gestellt, bei der es am Ende des Tages ausschließlich um Geld und Macht geht.

Die Konzernzugehörigkeit der meisten Erzeugnisse „freier Presse“ in Deutschland, machen den PR Strategen ihren Job dabei heute deutlich einfacher als noch vor einigen Jahren. „Klinkenputzen“ und kleinschrittige Überzeugungsarbeit sind nicht mehr erforderlich, wenn man die gewünschten Inhalte inzwischen mit nur einem einzigen Anruf in die auflagenstärksten Blätter schieben kann.

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Qualitätsjournalismus, Pressekodex und Blogosphäre

Sie sind subjektiv, tendenziös und werden in der Regel von Menschen ohne journalistische Ausbildung oder berufliche Erfahrungen in namhaften Redaktionen verfasst. Ihnen fehlt nicht selten die kritische Distanz zum Objekt der Berichterstattung und sie vertreten meist unverhohlen eine deutliche Meinung:

Blogs und Artikel auf bürgerjournalistischen Plattformen werden von Journalisten und Medienschaffenden belächelt und aufgrund mangelnder Neutralität, Professionalität oder Relevanz kritisiert.

Journalisten berufen sich in diesem Zusammenhang zur Abgrenzung gegenüber dem Bürgerjournalismus auf publizistische Grundsätze. Der sogenannte Pressekodex regelt in Deutschland seit 1973, an welche Vorgaben sich ein Berufsberichterstatter, im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung, zu halten hat.

Die wesentlichen Punkte im Pressekodex, der seit Anfang 2009 auch für journalistische Beiträge in Onlinemedien gilt:

  • Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
  • Nachrichten und Informationen sind auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.
  • Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich richtig zu stellen.
  • Redaktionelle Veröffentlichungen dürfen nicht durch private oder geschäftliche Interessen der Journalisten, Verleger oder Dritter beeinflusst werden. Eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Werbung ist ebenso notwendig wie die Verweigerung der Annahme von Vorteilen.

Misst man die Aktivitäten der Presse anhand des Beispiels der Atom-Lobby-Kampagne in Bezug auf die Einhaltung des Pressekodex, dann stellt man fest, dass in eklatanter Weise gegen jeglichen Grundsatz verstoßen wird, aus dem Verleger, Journalisten und Redakteure ihren Berufsethos ableiten.

Doch eben dieser Ethos rechtfertigt auf Seiten der offiziellen Medien die Überlegenheit gegenüber bürgerjournalistischen Plattformen und der Blogosphäre.

Stellt nun der Leser fest, dass er die Veröffentlichungen der Qualitätsmedien ebenso kritisch überprüfen muss, wie die privaten Publikationen von Bloggern und Online-Informationsdiensten, dann macht es im Prinzip keinen Unterschied mehr, für welche Informationsquellen er sich letztlich entscheidet. Blogs bieten hierbei sogar den Vorteil, dass sie aufgrund fehlender finanzieller Interessen und Angebote weniger verführbar sind, vorgefertigte Inhalte ohne kritische Überprüfung und unkommentiert zu bringen.

Blogosphäre und Bürgerjournalismus bilden eine Gegenöffentlichkeit, deren Bedeutung für eine informationsbasierte politische Meinungsbildung immer wichtiger wird. Dass der Leser hierbei jeden Beitrag sorgfältig und kritisch auf seinen Wahrheitsgehalt und seine Quellenlage hin überprüfen muss, unterscheidet die privat initiierten Publikationen längst nicht mehr vom Qualitätsjournalismus.

PR Konzept Teil 1

PR Konzept Teil 2

 



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