Rezension: Heinrich Steinfest – Der Allesforscher (Piper 2014)

Mit “Der Allesforscher” legt der österreichische Autor Heinrich Steinfest wieder einen Roman ausserhalb seines bevorzugten Genres der Kriminalliteratur  vor. Spannend ist die Geschichte um den vom Schicksal durch diverse Unwahrscheinlichkeiten gejagten Sixten Braun dennoch. Mit einem Hang zum Surrealistischen. Ein angenehm unkonventionelles Vater-Sohn-Abenteuer. 

steinfest

Titel: Der Allesforscher
Autor: Heinrich Steinfest
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-05408-9
Umfang: 400 Seiten, gebunden m. Schutzumschlag

Es beginnt mit einem explodierenden Wal: Sixten Braun, Geschäftsreisender, steht in Taiwan an einer Strassenecke und beobachtet wie ein gigantischer Pottwal auf einem Lastwagen vorbeitransportiert wird. In dem Moment, da der Wagen ihn passiert, explodiert der Wal. Eine Innerei trifft Sixten, wirft ihn ins Koma. Ein grotesker Paukenschlag, der die Odyssee des S.B. beginnen lässt. Ein “Urknall”, eine “Singularität”, sagt Steinfest selbst.

Im Spital lernt er die deutsche Ärztin Lana Senft kennen – die Liebe seines Lebens. Sie verbringen zwei Nächte miteinander, ehe Sixten weiterreisen muss, auf dem Rückweg stürzt sein Flugzeug ab, er bringt – unabsichtlich – einen Mitüberlebenden um, verbringt einige Zeit auf einer Boje mitten im Ozean bis er gerettet wird. Im Schnelldurchlauf erfährt man, wie das Leben in Deutschland für den vom Schicksal geplagten (und felsenfest an das Schicksal glaubenden) Protagonisten weitergeht: er heiratet seine Verlobte, die er nicht liebt, nimmt einen Job in der Firma ihres Vaters an, dann Scheidung, Umzug, neue Karriere als Bademeister in Stuttgart. Er erfährt vom Tod Lanas und Jahre später – hier beginnt der Hauptteil des Romans – wird ihm der siebenjährige Simon gebracht. Sein Sohn.

Es spricht alles dagegen, dass Sixten tatsächlich Simons Vater ist: das asiatische Aussehen lässt dies unmöglich erscheinen. Dennoch nimmt er die Vaterrolle an, nimmt den merkwürdigen Simon zu sich. Der Junge spricht in einer nur ihm verständlichen Privatsprache , klettert wie eine junge Gämse und zeichnet wie ein Alter Meister. Ein “Allesforscher”. (Den Begriff, so Autor Steinfest im Nachwort, stamme von seinem eigenen Sohn: eine verständlichere Variante des ‘Universalgelehrten’.)

“Es gibt keine Zufälle. Den Glauben an den Zufall hat die Aufklärung geschaffen, um die weissen Flecken auf der Landkarte zu füllen.”

 

Die Odyssee geht weiter: Sixten beginnt eine Beziehung mit Kerstin, die er auf der taiwanischen Botschaft kennengelernt hat. Macht sich gemeinsam mit ihr und Simon auf eine Reise ins Tirol, auf den Spuren seiner verstorbenen Schwester Astri, die mit zweiundzwanzig an einem Berg ihren Tod gefunden hatte. Es findet spätestens hier ein Wechsel in der Grundstimmung des Buches statt: die Toten übernehmen das Kommando, sei es als gejagte Erinnerungen, als ewig betrauerte Hindernisse, als mysteriöse Gäste in den Träumen der Protagonisten. Ein Geister-Vibe ergreift Besitz von der Geschichte. Glücklicherweise ist Steinfest als Erzähler überlegen genug, die Halbwelt des Traums und des leicht Übersinnlichen clever in die tour de force seiner Charaktere durch die stürmischen Tiroler Alpen einzugliedern.

Die Ärztin Lana Senft, Hirnspezialistin, erklärt Sixten die Tücken des menschlichen Gehirns: zum Beispiel, dass jedes Blinzeln eigentlich ein Verlieren des Blickkontaktes zur Welt, eine kurzzeitige Nacht sei. Ähnlich funktioniert die Geschichte “Der Allesforscher”: im Plauderton erzählt Protagonist Sixten von den Wechselfällen seines Leben – und immer mal wieder bricht da etwas ein, das man eben als ‘surreal’, ‘mysteriös’, ‘übersinnlich’, ‘unwahrscheinlich’ bezeichnen könnte – kleine geblinzelte Nachtmomente inmitten eines vertrauten Alltags.

Aber was ist schon unwahrscheinlich? Es geht in diesem Buch auch um die Widersinnigkeiten menschlicher Wahrnehmung, die zu plötzlichen Änderungen der Perspektive führen können. So wird der kleine Simon etwa in eine Schule für geistig Behinderte geschickt, als sich aber zeigt, dass er klettern kann wie kein Zweiter, heisst es:

“Das Faktum, dass er noch immer kein einziges allgemeinverständliches Wort sprach, schien eher den Mozartschen Genius zu bestätigen.”

 

Mit untrüglichem Humor und stellenweise hintergründigem Sprachwitz lotet Steinfest solche subtilen Widersprüche aus. Die Stimme, die er seinem Ich-Erzähler Sixten gibt, ist eine freundschaftlich plaudernde, die dennoch schwergewichtig zu werden vermag, wenn es um die grundsätzlichen Dinge geht (“Alles, was geschieht, ist ohne Alternative. Die Alternative bilden wir uns nachträglich ein.”).

Ein sprachlich und inhaltlich reichhaltiges Buch, durchdacht, dennoch mit offenem Ende, voller skurriler Figuren und fantasiesprühender Geschichten. Vergnügliche Lektüre!


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