Raphaela Edelbauer – Das flüssige Land

Raphaela Edelbauer hat mit “Das flüssige Land” einen Roman geschrieben, der verwirrt und nachdenklich macht, der traumhaft, surreal wirkt und mit sprachlicher Genialität aufwartet. Ein großartiges Debüt.

Schlimmer kann eine Nachricht kaum sein: “Am Apparat war ein Polizist: Und ohne die Umschweife einer ausführlichen Begrüßung hatte er mir mitgeteilt, dass meine Eltern vergangene Nacht bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.” Fassungslosigkeit und Handlungsstarre verlassen die Protagonistin Ruth Schwarz, theoretische Physikerin, die gerade ihre Habilitationsschrift schreibt, erst, als sie den Gedanken fast, nun eine Beerdigung organisieren zu müssen.

Reise in einen Nicht-Ort, eine Utopie

Von ihrer Tante erfährt sie, dass es Wunsch der Eltern gewesen sei, in ihrem Heimatort, Groß-Einland, bestattet zu werden. Doch wo liegt dieser Ort eigentlich, warum ist er in keinem Ortsverzeichnis Österreichs zu finden? Wie dem auch sei, Ruth steigt in ihr Auto und macht sich auf die Suche und landet auch tatsächlich mehr per Zufall und nach einer Fahrt durch unwegsamstes Gelände in Groß-Einland, ein Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

“In einer solchen Wohlgeordnetheit, wie sie nur ein mittelalterlicher Markt zustande bringen kann, trat das Epizentrum des alltäglichen Geschehens bereits vom Tor aus in Erscheinung: ein rechteckiger Hauptplatz, an den sich pittoreske Gebäude anschlossen: eine puppenstubenhafte Volksschule; ein rot bepinseltes Postamt mit goldenem Horn; eine Bäckerei, an deren Toren eine glänzende Brezel wippte; ein einladendes Wirtshaus, das trauliches Licht absonderte; eine Milchstube, düster im schon spärlichen Abendlicht.”

Niemand nutzt hier das Internet, Filialen der gängigen Supermarktketten versucht man vergeblich. Dass die Uhren hier anders ticken, ist aber nicht das einzige Eigenartige an Groß-Einland. Die komplette Stadt droht zu versinken. Unter Groß-Einland befindet sich ein gigantischer Hohlraum. Ein ehemaliges Bergwerk sagenhaften Ursprungs. Nach und nach gerät die Stadt in Schieflage, Häuser bekommen Risse und werden unbewohnbar. Daher beauftragt die Gräfin, die trotz Existenz eines Stadtrates und eines Bürgermeisters scheinbar das Sagen in der Gemeinde hat, Ruth damit, eine Lösung des Problems in Form eines Füllmaterials zu finden. So bleibt Ruth dann doch länger als eigentlich gewollt in der Stadt, ihre Eltern werden zwischenzeitlich in Wien beigesetzt, ohne dass sie dabei ist.

Eine Metapher für das gesamte Land

Die Menschen in Groß-Einland sind so skurril wie die Geschichte des Ortes selbst. Das Loch ist allgegenwärtig, fast schon identitätsstiftend ist es oder mythomotorisch fundierend im Assmannschen Sinne wirkend, indem es die herrschenden  Verhältnisse als richtig, sinnvoll und unabänderlich rechtfertigt. Es wird schnell deutlich, dass Groß-Einstadt nicht einfach Sinnbild einer Kleinstadt in der Österreicher Provinz ist, sondern vielmehr metaphorisch für ganz Österreich steht. “Ich habe gewisse Facetten Österreichs genommen und sie bis zum Komischen, Bizarren, teilweise Surrealen übersteigert, ohne dass sie damit ihre Eigentlichkeit eingebüßt hätten. Österreich ist einfach komisch, bizarr und surreal”, so die Autorin Raphaela Edelbauer im Interview.

Ant-Heimatliteratur als Vorbild

Edelbauer orientiert sich bei ihrem Roman an der österreichischen Anti-Heimatliteratur, der etwa Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard zuzurechnen sind. Diese stand und steht im Gegensatz zum offiziellen Nachkriegs-Gründungsmythos und wirkt als Instrument der Vergangenheitsbewältigung. „Gemma, und sag ma, es war nix!“ schreibt die Germanistin Ingeborg Rabenstein-Michel. Eine weitere Parallele zur Anti-Heimatliteratur ist das Bild der Landschaft in “Das flüssige Land”. Dieses schöne kleine, pittoreske Städtchen wird nach und nach von der eigenen Vergangenheit verschlungen. Die Zerstörung des Idylls ist des Öfteren Motiv in der Anti-Heimaliteratur. “In der Serie Alpensaga  dient die grandiose Berg- und Alpenkulisse als Hintergrund für ein immer neues Spiel der Niedertracht; die definitive Zertrümmerung des Mythos Landschaft unternimmt Elfriede Jelinek später unter anderem in Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr”, so Rabenstein-Michel weiter. 

Raphaela Edelbauer hat mit ihrem Debüt direkt einen Volltreffer gelandet, wenn man das so prosaisch sagen darf. Ein Roman, so unterhaltsam wie im wahrsten Sinne des Wortes tiefgründig. Ein absoluter Favorit im Rennen um den Deutschen Buchpreis 2019.

Raphaela Edelbauer – Das flüssige LandRaphaela Edelbauer
Das flüssige Land
Klett-Cotta Verlag, 2019
350 Seiten
22,- Euro


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