Offene Standards in der Informationstechnik

Die IT-Beauftragte der Bundesregierung Cornelia Rogall-Grothe, als „Bundes-CIO“ für die IT der Bundesverwaltung zuständig, möchte mit offenen IT-Standards ein Höchstmaß an Interoperabilität und Herstellerunabhängigkeit erreichen. Das erklärte sie der c‘t in deren aktueller Ausgabe 15/2010 man ein entsprechendes Interview findet.

Dazu müssten in Frage kommende IT-Standards vollständig offengelegt sein und  ihre Nutzung darf nicht durch Urheberrechte oder lizenzrechtliche Bestimmungen eingeschränkt sein, so Frau Rogall-Grothe. Davon würden auf Dauer auch Anbieter und Dienstleister profitieren, da niemand zertifizierter Partner eines Herstellers sein müsse, um mit Dritten ins Geschäft kommen zu können.

Offene Standards sind insbesondere im Behördenbereich ein Thema von zunehmender Bedeutung. Dafür gibt es gleich eine ganze Reihe von guten Gründen. Die beginnen damit, dass man Bürger, die am e-Government d.h. dem elektronischen Austausch mit staatlichen Institutionen teilnehmen wollen, eigentlich nicht vorschreiben kann, dass das nur mit ganz bestimmten herstellerabhängigen Technologien funktioniert. Schließlich werden staatliche Einrichtungen von allen Steuerzahlern finanziert, nicht nur von denen die Produkte z.B. von Microsoft, Adobe oder Siemens einsetzen.

Von der öffentlichen Verwaltung wird Transparenz hinsichtlich ihres Wirkens und dem Zustandekommen ihrer Entscheidungen erwartet. Nahezu alles was Behörden tun, ist daher formal rechtlich prüfbar. Dazu gehört auch eine Offenlegung entsprechender Informationen in allgemein verfügbaren Datenformaten. Gesetzliche Informationsfreiheit ist da nur ein Anfang.

In diese Richtung zielt auch die Forderung nach Open Government und Open Data, d.h. offenem Zugriff auf maschinenlesbare Informationen, die im Zuge staatlicher Aktivitäten entstanden sind und die der Allgemeinheit, der diese Informationen ja eigentlich gehören, zur freien Verwendung zur Verfügung zu stellen sind. Beispiele wären z.B. Katasterkarten, Umweltmesswerte oder statistisch aggregierte Daten über die Bevölkerung in Stadtvierteln.

Wichtiger aber wäre noch die Kompatibilität auf Verfahrens- und Datenebene in den Verwaltungen. Da heute noch jede Behörde und jede Kommunalverwaltung mit einer Vielzahl eigener, zum Teil selbst entwickelter IT-Systeme arbeitet, könnten offene Standards sowie die Verpflichtung zu deren Einhaltung die Verwaltungskosten deutlich senken helfen. Bei gleichzeitig verbesserten Werten bezgl. Bearbeitungs- und Reaktionszeiten sowie einer Senkung von Verfahrensfehlern bei der Bearbeitung von Bürgeranliegen. Allerdings ist dafür eine längere Übergangszeit einzuplanen, da die funktionelle Erweiterung oder Neubeschaffung eines behördlichen Fachverfahrens (einer IT-Anwendung) Zeit und Geld kostet, die in Zeiten knapper Kassen erst mal politisch bewilligt und begründet sein wollen.

Offene Standards helfen Herstellerabhängigkeit zu vermeiden. Wer z.B. nur Microsoft-Architekturen oder SAP-Produkte einsetzt, macht sich direkt abhängig von der Produktpolitik und den Preisvorstellungen dieser beiden Softwaregiganten. Da können dann schon mal 80% des jährlichen IT-Budgets einer Firma nur für die Erneuerung von monopolpreisigen Lizenzen draufgehen. Oder eine gerade eben mit Mühe eingeführte und geschulte IT-Infrastruktur muss in absehbarer Zeit verschrottet und ersetzt werden, nur weil der Hersteller das Produkt aus seinem Angebot geworfen hat, Supportverträge nicht mehr verlängert und stattdessen das Nachfolgemodell verkaufen will.

Mit Hilfe offener Standards lässt sich auch die Komplexität heterogener IT-Umgebungen reduzieren, indem man Schnittstellen, Formate sowie den Datenaustausch generell vereinfacht. Und unnötige Komponenten zur Umwandlung von Daten in ein anderes Format ganz streicht, wenn diese Formatumwandlung nicht mehr erforderlich ist. Über längere Zeit gerechnet, können so beträchtliche Beträge an Planungs-, Entwicklungs-, Test-, Betriebs- und Supportkosten eingespart werden.

Eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung von Komplexität und Kosten ist der Wegfall von Lizenzen. Jedes wegfallende Lizenzmodell, jede nicht mehr zu verwaltende Lizenz, jede nicht mehr erforderliche rechtliche Prüfung von Lizenzkonditionen, AGBs und sonstiger Vertragsmaterie spart sofort bares Geld. Der Betrieb von Software wie z.B. Lizenzmanagementserver, die keinen produktiven Zweck erfüllt sondern allein der Absicherung fremder Interessen im eigenen Unternehmen dient, kann komplett entfallen.

Viele Hersteller lassen sich in ihren Lizenzen zudem eine Art „Betriebsprüfung“ zusichern, um in den Unternehmen ihrer Kunden die Einhaltung ihrer selbst gesetzten Regeln nachzuprüfen und im Falle der Nichteinhaltung happige Geldforderungen stellen und eintreiben zu können. Dieser unnötige Overhead entfällt beim Einsatz offener Standards und darauf basierender Lösungen ebenfalls.

Daher setzen sich Lobbys aus dem Bereich der Hersteller proprietärer Softwareprodukte zunehmend dafür ein, offene Standards aufzuweichen und zurückzudrängen, wenn es z.B. auf EU-Ebene um Neuregelungen im Bereich offener Standards als Grundlage für vergaberechtliche Festlegungen geht. So wird z.B. aktuell die Neufassung des EU-Rahmenwerks zur Herstellung von Interoperabilität bei E-Government-Diensten (European Interoperability Framework) diskutiert, in der bislang sehr klar gefasste Begrifflichkeiten zur Offenheit von Standards so aufgeweicht werden sollen, dass sich darin auch Positionen von Anbietern proprietärer Technologie sowie der Rechteverwerter unterbringen lassen. Das wäre ein  klarer Rückschritt auf dem Weg zur Offenheit und Anbieterneutralität der öffentlichen Verwaltungen.

Letztlich dürfte die Zulassung von Patent-Kartellen im öffentlichen Sektor auch zu einer indirekten Zustimmung zur umstrittenen Patentierbarkeit von Software ohne demokratische Übereinkunft und ohne Rücksicht auf die Bedenken vieler Europäer darstellen, so der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), der die geplante Verwässerung der European Interoperability Framework deutlich kritisiert.

Offene Standards stellen auch bei der Informationssicherheit das Abbild des aktuellen Standes der Technik dar, wie man z.B. im zum Jahresanfang aktualisierten „Kompass der IT-Sicherheitsstandards“, einer von BITKOM und DIN herausgegebenen Übersicht über Standards mit Bezug zur IT-Sicherheit nachlesen kann. In Standards und Normen kommen anerkannte gute Praktiken und erfolgreiche Vorgehensweisen zum Ausdruck. Daher gewinnen auch Forderungen nach einem transparenten Zustandekommen von Normen sowie einem möglichst freien und niedrigschwelligen Zugang zu den Normtexten zum Zwecke der Information und Meinungsbildung an Bedeutung.

Ein Standard kann somit als „offen“ bezeichnet werden, wenn er

  • veröffentlich wurde
  • kostenlos oder zu akzeptablen Kosten (Schutzgebühr für das Dokument) zur Verfügung gestellt wird.
  • ohne weitere Verpflichtungen (z.B. in Form von Lizenzkonditionen) genutzt werden kann und frei von  Rechten Dritter ist.
  • auch in Zukunft veröffentlicht und frei nutzbar bleibt.

Was u.a. eine vollständige Offenlegung sowie die Akzeptanz durch ein normgebendes Standardisierungsgremium (ISO, IEEE, DIN usw.) der Fachanwenderschaft voraussetzt.

Ein guter Einstieg in dieses Thema ist das von der bereits erwähnten Bundesbeauftragten für Informationstechnik Frau Rogall-Grothe herausgegebene Werk „Standards und Architekturen für E-Government“ (SAGA) in der derzeit aktuellen Fassung 4.0. Das SAGA-Dokument beschreibt Grundlagen der Standards, Technologien und Methoden für den Einsatz von Informationstechnik in Bundesbehörden und gibt Empfehlungen zur Entwicklung und Pflege von E-Government-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung. Es legt Schwerpunkte auf Interoperabilität, Plattformunabhängigkeit und Investitionssicherheit von Softwaresystemen. Ihre wirtschaftliche Relevanz bekommen solche Verwaltungsvorgaben insbesondere dann, wenn sie Eingang ins Vergaberecht finden oder in Vergaben mit einbezogen werden. Denn dann müssen sich Hersteller daran halten, wenn sie Aufträge der öffentlichen Hand akquirieren wollen. Auch das kann ein wirksames Steuerungsinstrument hin zu mehr offenen Standards und wenige „kreativer Inkompatibilität“ sein.



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