Life Itself (2018)

Life Itself (2018)

USA 2018
Mit Oscar Isaac, Olivia Wilde, Antonio Banderas, Laia Costa, Sergio Peris-Mencheta, Àlex Monner, Olivia Cooke, Annette Bening, Lorenza Izzo u.a.
Drehbuch und Regie: Dan Fogelman
Dauer: 117 min

Filme wie Life Itself, welche Publikum und Kritik extrem spalten, sind in der Regel einen Blick wert. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung mit solchen Werken kann ich das sagen; einige dieser Streifen wurden nämlich gar zu Lieblingsfilmen, etwa Wonderstruck oder A Prairie Home Companion. Meist handelt es sich dabei um Kinowerke, die formal völlig aus der Reihe tanzen, die schwer einzuordnen sind, welche die Grenzen der Konvention, in denen sie sich zwar immer noch bewegen, erweitern. Ich erinnere mich an die Erstaufführung von Terry Gilliams Brazil, vor allem an die Reaktion der Kritiker, nicht zuletzt, weil ich zu jener Zeit selbst zur Zunft dazugehörte und einer der wenigen war, die begeistert waren. Dem Film schlug – zumindest aus der schweizer Kritikerszene – offene Ablehnung, Unverständnis, Indifferenz entgegen. Heute ist er ein Kultfilm.
Als ich die miserablen Kritiken über Life Itself las, wusste ich, dass ich diesen Film nicht verpassen darf.

An den Reaktionen auf diesen Film offenbart sich exemplarisch, was ich dem Gros der Filmkritiker und -kritikerinnen schon lange vorwerfe: Dass sich zu viele vom Filminhalt leiten lassen; gefällt dieser ihnen nicht, wird der Film verrissen. Die Rezensionen zu Life Itself sind denn auch voll von abwertend gemeinten Attributen wie „Soap Opera“, „Rührstück“, „Kitsch“. Sie betreffen alle den Inhalt – über die Form sagen sie nichts aus. Die Kritiker mögen keine Rührstücke, also ist der Film gleich unten durch. Das ist etwas so, als würde ein Restaurantkritiker die Küche eines Lokals negativ bewerten, weil er Broccoli nicht mag.

Vor lauter Abneigung schienen die Kritiker gar nicht mehr richtig hinzugucken. Dabei glänzt, ja brilliert das Drehbuch zu Life Itself geradezu; da sind nicht nur herausragende Dialoge, die ganze Erzählstruktur ist derart originell, dass man zwei Stunden aus dem Stauen nicht mehr herauskommt. Es ist keine angestrengte Originalität, sie fliesst ganz selbstverständlich in den Film ein. Fogelman ist wohl einfach so, dafür sprechen auch seine anderen Drehbücher (Crazy Stupid Love, Rapunzel neu verföhnt, Danny Collins). Für mich war es eine reine Freude, dem Film zu folgen – was bisweilen nicht ganz einfach ist. Vielleicht… na, ich will ja nix gesagt haben…

In welchem anderen Film etwa tritt die Hauptfigur erst in der allerletzten Filmminute in Erscheinung? Und wird von einer gänzlich unbekannten Schauspielerin gespielt? Aber genau darauf läuft Life Itself mit seinen zunächst verwirrend vielen Charakteren und Geschichten hinaus: Am Ende entpuppt sich alles als die Familiengeschichte der Elena Dempsey (Lorenza Izzo) – und sie erzählte diese aus dem Off. Kaum tritt sie endlich in Erscheinung, ist der Film fertig.
Und trotz aller Verwirrung und Desorientierung, die Fogelman mit seinem Skript anstiftet, bleibt man gebannt dabei und versucht, die Fäden zu entwirren. Dass er einen festnagelt, hängt einerseits mit seiner Fähigkeit zusammen, messerscharf zu skizzieren: Aus einigen knappen „Strichen“ erschafft er glaubhafte Figuren, die für etwa 20 Minuten die Leinwand in ihr eigenes Universum verwandeln. Der andere Punkt, mit dem Fogelman einen permanent bei der Stange hält, ist der gewitzte, bisweilen brilliante Dialog. Ein reines Vergnügen, ihm da zu folgen. Wenn man ein Ohr dafür hat. Aber ich will ja nix gesagt haben…

Eine Inhaltsangabe ist fast unmöglich, sie klingt sofort so banal, wie die Kritiker den Film jetzt hinzustellen versuchen. Am besten versucht man es gar nicht erst – und beschreibt statt dessen seine Form: Life Itself besteht aus vier Kapiteln, immer eine Person aus dem vorangehende Kapitel wird ins nächste „mitgenommen“; die ersten beiden Kapitel spielen in New York, die letzten zwei in Spanien. Das erste und das dritte handelt von je einem Liebespaar, das zweite und vierte von deren jeweiligen Kindern. Ziemlich genau in der Mitte des Films erzählt der spanische Gutsbesitzer (Antonio Banderas) eine lange Geschichte – von einem Paar und dessen Kind (ihm selbst). Diese Struktur erscheint somit drei Mal im Film, und zwar in fast symmetrischer Anordnung – man könnte von einem Triptichon sprechen mit jeweils immer drei Personen im Zentrum: Vater, Mutter, Kind. Und wenn der Film zu Ende ist, realisiert man, dass das grosse Ganze, in welches das Triptichon eingebettet ist, nochmals dieselbe Struktur aufweist. Natürlich ist dieser geradezu mathematische Aufbau „bloss“ eine Spielerei; doch die Struktur verleiht dem Film eine formale Schönheit, die viele einfach übersehen. Und sie zeigt, dass Fogelmans Film keineswegs so dumm ist, wie ihm nachsagt wird.

Life Itself ist im Grunde eine Meditation über das Erzählen. Und als solche sollte man ihn auch anschauen. Alles, was wir sehen wird erzählt, im ersten Kapitel ist der Erzähler immer wieder im Bild mit sichtbar, die Erzählerin der folgenden Kapitel tritt erst ganz am Schluss in Erscheinung. Der Erzähler des ersten Kapitels ist verrückt, entsprechend ver-rückt ist die Damaturgie, sind die Bilder. Da gibt es zum Beispiel einen Anfang, der sich als Fehlstart erweist; der Film (die Erzählung) muss neu begonnen werden. Hier hat Fogelman bisweilen Inszenierungs-Einfälle, die in ihrer schlichten Verspieltheit grösstmögliche Wirkung erzielen und bezaubern oder verblüffen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Life Itself ist nicht nur heile Welt. Es gibt immer wieder auch schreckliche Momente – der Tod drängt sich immer wieder in die Geschichten hinein; Figuren, die einem ans Herz gewachsen sind, werden, teils gewaltsam, aus der Geschichte / dem Leben gerissen. Das wirkt bisweilen etwas aufgesetzt, und hier setzt die Kritik denn auch genüsslich an; doch es ist reichlich engstirnig, Fogelmans Film auf die schwachen Momente zu reduzieren. Deren gibt es einige, auch der aufgesetze Schluss gehört dazu, wo der Autor (oder das Studio?) leider glaubt, noch eine gesunde, balsamische Moral einfliessen lassen zu müssen. Bis dahin hat der Film aber schon so viel richtig gemacht, dass ihm diese Ausrutscher auch nicht mehr schaden. Für mich steht seit diesem Film endgültig fest: Dan Fogelman gehört zu den grössten Talenten, die Hollywood aktuell unter Vertrag hat. Möge er aus seinen Fehlern lernen, Ausrutscher beim nächsten Film vermeiden und danach noch viele weitere drehen.

PS: Die schauspielerischen Leistungen in diesem Film sind zum Teil beachtlich. Namentlich Oscar Isaac überrascht mit einer fulminaten Darstellung, und auch Antonio Banderas liefert eine denkwürdige Leistung ab.

Die Regie: 8 / 10 
Das Drehbuch: 10 / 10 
Die Schauspieler: 9 / 10 
Gesamtnote: 9 / 10

Verfügbarkeit:
Der Film läuft zur Zeit in der Schweiz in den Kinos. Ein Starttermin für Deutschland ist erst im April in Sicht – falls man einen Kinostart nach all den Verrissen überhaupt noch wagt!

Der Trailer gibt einen nur ungenügenden Eindruck des Films – notgedrungen. Es ist schlichtweg unmöglich, dieses Gebilde auf zwei Minuten einzudampfen. Hier hat man sich zur Flucht nach vorne entschieden und ein möglichst schnell geschnittenes Kaleidoskop hergestellt, das eher abschreckt statt einlädt. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen. Und leider ist der deutsche Trailer – einmal mehr – furchtbar schlecht synchronisiert.

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