Interview mit Kultzeichner Jean-Marc Rochette

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„Diese Art von Drama könnte ich jeden Tag haben.“

Ein endlos fahrender Zug durch eine vereiste Welt ist die letzte Zuflucht für die Überlebenden der Menschheit. Die Armen fristen in den hinteren Waggons ein erbärmliches Dasein, während die selbsternannte Elite in den vorderen Abteilen in Saus und Braus lebt, bis einer der Unterprivilegierten ausbricht und sich seinen Weg bis zur Zugspitze bahnt …

Ein düsteres, aufwühlendes Thema, das Comicautor Jacques Lob und Zeichner Jean-Marc Rochette 1982 aufs Papier brachten. Band 1 des „Transperceneige“ (Dt. Schneekreuzer) war ein Erfolg in Frankreich, dennoch geriet der Comic schnell wieder in Vergessenheit. Jacques Lob starb 1990, und Jahre später erinnerte sich niemand mehr an den ewig fahrenden Eisbrecher, also beschloss Jean-Marc Rochette die Arbeit am „Transperceneige“ wieder aufzunehmen, in der Hoffnung, der erste Band würde dadurch eine Wiedergeburt erleben, und damit auch Jacques Lob. Gemeinsam mit dem jungen Autor Benjamin Legrand schuf er zwei Fortsetzungen. Doch leider erfüllten sich Jean-Marcs Hoffnungen nicht. Er dachte schon, er hätte einen Fehler gemacht – bis einige Jahre später der koreanische Regisseur Bong Joon-Ho den Comic in einem Buchladen in Seoul entdeckte.

Der Rest ist Geschichte …

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„Snowpiercer“ mit Tilda Swinton, John Hurt, Ed Harris und Chris Evans startete 2013 und spielte weltweit über 100 Millionen Dollar ein. Jetzt soll der Film fürs Fernsehen adaptiert werden. Das Drehbuch wird Josh Friedman („Terminator: S.C.C.“, „Crossbones“) beisteuern, der zurzeit mit James Cameron an „Avatar 2“ arbeitet. Regisseur Bong Joon-Ho fungiert als ausführender Produzent.
Nachdem der Schneekreuzer so viele Jahre einsam und vergessen seine Bahnen gezogen hat, nimmt er jetzt richtig Fahrt auf. Höchste Zeit also, Jean-Marc einige Fragen zu stellen. 2014 lernte ich ihn auf dem ElsterCon kennen. Die Chemie zwischen uns stimmte sofort, und wir kamen bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch. Als ich ihn vorletzte Woche um ein Interview bat, zögerte er keine Sekunde.

Wie war das eigentlich damals: Hat Bong Joon-Ho dich angerufen und gesagt „Hallo, Mister Rochette, ich will einen Film auf der Grundlage Ihres Comics drehen. Was halten Sie davon?“

So ist es nicht passiert. Mein Verleger hat mich darüber informiert, dass sich ein koreanischer Regisseur für den „Transperceneige“ interessiert, ohne mir allerdings einen Namen zu nennen, was mich sehr gewundert hat, weil ich dachte, der Comic würde weder bei koreanischen noch bei englischen Verlagen erscheinen. Dann stellte sich aber heraus, dass es doch einen koreanischen Verlag gab, der den „Transperceneige“ herausgab. Am Anfang dachte ich, er wäre illegal, da auch mein Verleger nichts von dessen Existenz wusste. Während meiner ersten Reise wollte ich diesen „Piraten“ kennenlernen, um mich für die Veröffentlichung meines Buchs zu bedanken, denn ohne ihn hätte Bong Joon-Ho es niemals entdeckt. Dabei stellte sich heraus, dass der koreanische Verleger mehrmals versucht hatte, meinen belgischen Verleger zu kontaktieren. Doch weil dieser nicht reagiert hatte, hatte der koreanische Verleger beschlossen, das Buch ohne Genehmigung zu veröffentlichen. Durch seine mehrmaligen Anfragen hatte er sich sicher gefühlt.
Anschließend habe ich Bong Joon-Ho in Paris getroffen und begriffen, dass der „Snowpiercer“ tatsächlich entstehen würde. Der Mann wirkte in der Tat motiviert und aufrichtig, abgesehen davon, dass er talentiert ist.

Warst du am Set des „Snowpiercer“?

Ja, ich musste die Zeichnungen des Malers im Film machen, einige davon direkt live vor der Kamera.

Was hat dich dort besonders beeindruckt?

Es wurde in Prag gedreht, und was mich am meisten beeindruckt hat, war die Größe der Örtlichkeit, aber vor allem die Laiendarsteller für die letzten Waggons. Es waren alles Obdachlose aus Prag, und man spürte körperlich das Elend.

Manchen Lesern des Comics ist der Film nicht düster genug. Wie siehst du das?

Der Comic ist in der Tat düsterer als der Film. Ich schätze, das Ende ist so etwas wie eine augenzwinkernde Hommage an die Happy Ends aus Hollywood, eine für diesen Regisseur typische humoristische Note.

Aktuelle Zeichnung (c) Jean-Marc Rochette

Aktuelle Zeichnung (c) Jean-Marc Rochette

Die Serie zum „Snowpiercer“ wird von anderen Leuten realisiert. Hast du Kenntnisse über den Inhalt? Werden sie sich eher am Film oder am Comic orientieren?

Ich habe keine Ahnung, wovon die Serie inhaltlich handeln wird, aber ich gehe davon aus, dass sie eher auf dem Film basieren wird. Andererseits hat sich Olivier Bocquet, der Comicautor der vierten und letzten Episode des „Schneekreuzers“, mit dem Regisseur der Serie kurzgeschlossen und ihm unsere Arbeit geschickt. Mal sehen, ob sie das Drehbuch beeinflusst …

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Es würde mich für euch freuen. Apropos letzte Episode. Sie ist kürzlich in Frankreich erschienen und lautet „Terminus“, auf Deutsch „Endstation“ – ein verheißungsvoller und zugleich schlüssiger Titel. Kannst du uns etwas darüber verraten?

Endstation kann wortwörtlich genommen werden, nämlich das Ende der Reise … Mir spukte die Geschichte schon lange im Kopf herum, bis mich mein Verleger infolge der erfolgreichen Neuauflage um eine Fortsetzung bat. Ich tauchte wieder hinein. Zunächst gemeinsam mit Benjamin Legrand, doch leider begriff er nicht, in welche Richtung das Ganze gehen sollte. Seine Vorschläge überzeugten mich nicht. Casterman, mein Verlag, präsentierte mir daraufhin einen neuen Autor, und diesmal passte es. Olivier und ich haben uns auf Anhieb verstanden, und es war ein großes Vergnügen, mit diesem jungen, überaus talentierten Autor zusammenzuarbeiten.

Wie lang hast du für die 222 Seiten benötigt? Es heißt, zuweilen sei die Arbeit recht mühsam gewesen …

Ich habe 9 Monate gebraucht, was sehr kurz ist, zumal ich mir meinen rechten Ellbogen in meinem Berliner Atelier gebrochen habe … Man kann mit einem kaputten Ellbogen zeichnen, aber man muss die Zähne ganz schön zusammenbeißen!

Kannst du uns sagen, wann „Terminus“ auf Deutsch erscheinen wird?

Keine Ahnung. Ich habe diesbezüglich vom deutschen Verleger des ersten Bandes keine Nachricht erhalten. Ich glaube, das Buch hatte nicht den Erfolg, den er sich erhofft hatte, genauso wenig wie der Film. Deutschland ist ein sehr kleiner Markt, was Comics angeht, und dieser Verleger ist in dem Genre nicht unbedingt zu Hause …

Ich kann mir vorstellen, dass der Film „Snowpiercer“ dein Leben auf dramatische Weise verändert hat …

Er hat mein Leben verändert, aber nicht auf dramatische, vielmehr auf wundersame Weise. Früher war ich zwar Kultautor, aber in Frankreich relativ unbekannt, jetzt gelte ich Kultautor, der weltweit in der Comicszene bekannt ist. Diese Art von Drama könnte ich jeden Tag haben.

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Aktuelle Zeichnung (c) Jean-Marc Rochette

Du bist nicht nur Zeichner und Grafiker, sondern auch Maler. Woran arbeitest du im Augenblick?

Zurzeit arbeite ich an einer Ausstellung für die Galerie Maghen in Paris, eine Ausstellung zum Schneekreuzer, wo es unter anderem 5 große Ölbilder vom Eisbrecher geben wird. Außerdem arbeite ich an einer „Autofiktion“ über meine Jugend als Bergsteiger wieder in Kooperation mit Olivier Bocquet, der meine Geschichte in Form bringen wird. Außerdem ist noch eine Drehbuchautorin mit von der Partie, die sie lesbarer und romanhafter gestalten soll. Sogar auf die Gefahr hin, dass die Wirklichkeit manchmal verdreht wird …

Lieber Jean-Marc, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg!

Ich danke dir.

Mehr Zeichnungen und Bilder von Jean-Marc Rochette findet ihr auf seiner Website.


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