GDL-Streik: Vorwärts und nie vergessen – die Solidarität!

Es ist nicht leicht, den Streik der Lokführer auch dann noch gut zu finden, wenn man nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht nach Hause kommt – ist mir selbst vorhin auch passiert. Normalerweise brauche ich mit der S-Bahn keine 20 Minuten, wenn sie denn fährt. Heute habe ich fast eineinhalb Stunden gebraucht, denn der Alternativbus fuhr – warum auch immer – auch nicht. Und zu Fuß dauert es halt dann doch, selbst wenn man hier und da ein paar Teilstrecken mit anderen Verkehrsmitteln improvisieren kann. Und eigentlich war ich schon hungrig und müde, als ich mich auf den Weg gemacht habe. Jetzt bin ich einfach nur noch fertig.

Trotzdem komme ich aber nicht umhin, auf meine bisherigen Artikel zum Thema Streik zu verweisen. Hier eine Auswahl:

Streik ist die einzige Waffe der Arbeitnehmer
Was nützt ein Streik, den keiner bemerkt?
Alle Räder stehen still, wenn euer starker Arm das will!
Arbeitskampf in Sachsen-Anhalt: Callcenter-Mitarbeiter erstreiten Mindestlohn
New Yorker Schulbusfahrer üben Klassenkampf
Wir behaupten das Gegenteil!
Neu gelesen: Maschinenfabrik N.&K. von Willi Bredel (1930)

Und auf diesen Artikel von Jakob Augstein – und es kommt ja nun wirklich nicht oft vor, dass ich finde, dass Augstein recht hat. Aber in diesem Fall hat er seinen Einfluss und seine Möglichkeiten vorbildlich genutzt: Ich finde gut, dass Augstein auf Spiegel Online schreibt, dass der allgemein unbeliebte Claus Weselsky ein Steher ist, der eben nicht mit einem guten Job zu kaufen war, wie so viele andere Gewerkschaftsfunktionäre. Weselsky ist nicht korrupt – und das nimmt man ihm übel.

Was wird dem Mann vorgeworfen? Dass es bei dem neuerlichen Streik nicht allein ums Gehalt geht, sondern um Einfluss. Die Gewerkschaft der Lokführer will auch für die bei ihr organisierten Rangierführer, Disponenten und anderes Zugpersonal Tarifverträge abschließen. Die Deutsche Bahn will das nicht. Sie arbeitet da lieber mit der deutlich handzahmeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft zusammen, ihrer “angepassten Hausgewerkschaft”, wie Weselsky spottet. Der Konflikt ist real. Der Streit ist legitim. Es geht um die Interessen der Beschäftigten. Was sonst ist die Aufgabe einer Gewerkschaft?

Die Kritik an Weselsky und seinen Leuten stellt in Wahrheit die Legitimität dieser Aufgabe infrage. Dass es einen Interessengegensatz gibt zwischen denen, die ihre Arbeitskraft hergeben, und denen, die sie nehmen – denn so herum wird ja ein Schuh aus dem Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer -, das haben wir vergessen. Der Wind der öffentlichen Meinung bläst Weselsky auch deshalb so hart ins Gesicht, weil nicht wenig Leute inzwischen meinen, die Beschäftigten sollen gefälligst nehmen, was der Chef zahlt, und ansonsten das Maul halten. Wer zum Streik aufruft, macht sich heutzutage verdächtig.

Solidarität? Vergesst es! Solidarität muss man üben. Sie verlernt sich sonst. Aber nicht mal in der gleichen Branche üben sich die Kollegen heute noch in Solidarität. Das wissen wir spätestens seit dem Scheitern des Metaller-Streik von 2003. Weil der Arbeitskampf der Metall- und Elektroindustrie im Osten die eigene Produktion behinderte, kochten die Kollegen im Westen vor Wut. Unvergessen, wie der damalige Chef des DaimlerChrysler-Betriebsrats den IG-Metall-Vize Jürgen Peters, der sich hinter die streikenden Ost-Kollegen gestellt hatte, einen “tarifpolitischen Geisterfahrer” nannte.

Aber wo die Beschäftigten die Solidarität miteinander verlernt haben, wird jeder gesellschaftspolitische Konflikt zum individuellen Problem. Der Philosoph Byung-Chul Han hat geschrieben: “Der Neoliberalismus formt aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer, einen Unternehmer seiner selbst. Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmers. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Wer heute scheitert, beschuldigt sich selbst und schämt sich. Man problematisiert sich selbst statt die Gesellschaft.”

Der Klassenkampf findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Inneren. Margaret Thatcher musste die Gewerkschaften noch mit Polizeigewalt bekämpfen. Das übernehmen bei uns heute die Medien.

Die hasserfüllten Angriffe auf Weselsky sind die Personalisierung eines gesellschaftlichen Problems. Die öffentliche Meinung kann sich den Streik nur noch aus der problematischen Persönlichkeit des Gewerkschaftschefs heraus erklären, nicht mehr aus der Tarifpolitik der Deutschen Bahn.

Die Bahn ist ein Unternehmen in Staatshand, das aber nach den Prinzipien des privaten Profits betrieben wird – das ist die vollkommene Perversion des modernen Kapitalismus. Um es klar zu sagen: Wer nicht will, dass Lokführer streiken, der soll sie wieder zu Beamten machen

Ich weise noch einmal besonders auf folgenden Satz hin: “…weil nicht wenig Leute inzwischen meinen, die Beschäftigten sollen gefälligst nehmen, was der Chef zahlt, und ansonsten das Maul halten!” Diese Haltung finde ich derzeit interessanterweise genau bei den Kollegen, die sich sonst bei jeder Gelegenheit darüber beklagen, dass sie selbst zu wenig Geld verdienen. Und klar, das stimmt ja auch, ich bekomme auch viel zu wenig für den Job den ich mache.

Aber wenn andere den Mumm haben, ihre Chefs, die Medien und weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufzubringen, weil sie nicht nur lamentieren, sondern handeln, dann sind die natürlich egoistisch und verantwortungslos. Dabei wäre das echt mal ein Anlass, selbst in den Ausstand zu treten. Wenn alle, die mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden sind, ebenfalls den Mumm hätten, ihre Arbeit nieder zu legen, dann ginge vermutlich wirklich nichts mehr in Deutschland.

Dann würde man die Arbeitgeber und die Politik ziemlich schnell an den Verhandlungstisch bekommen. Dann könnte man Forderungen stellen. Aber die Arbeitnehmer sind nicht mehr solidarisch – denn sie kapieren nicht mehr, dass der Streik ihre einzige Waffe ist. Und dass sie eben nicht die Interessen ihrer Chefs vertreten müssen, sondern ihre eigenen.



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