Dromos-Gang: Was ist denn schon der Einbruch in eine Bank…?

calotto_coverDie vier Protagonisten des Krimis von Massimo Carlotto, schei­nen den ihnen sicher­lich unbe­kann­ten Bert Brecht (»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«) voll ver­in­ner­licht zu haben. Bereits vor 90 Jahren ging Brecht in sei­ner »Dreigroschenoper« auch auf nega­tive Auswüchse der Finanzbranche ein. Nicht nur das. Thematisiert wurde, daß das »alt­ehr­wür­dige« Verbrechen keine große Zukunft mehr habe, daß die Zukunft den Gangstern im Nadelstreifenanzug gehöre: Denn glo­bale Spekulationen auf dem Rücken der natio­na­len Volkswirtschaften mache sehr wenige Leute beson­ders reich und viele Leute beson­ders arm.

Carlottos Protagonisten, das sind der Russe Sosim Katajew alias Aleksander Peskow, die Schweizerin Inez Theiler, der Inder Sunil Banerjee sowie der Italiener Giuseppe Cruciani. Diese jun­gen Leute hat­ten ein­an­der beim Studium an einer teu­ren Privat-Universität in Leeds ken­nen­ge­lernt. Ihr Lieblingspub »Dromos« gab den Namen für die von ihnen gegrün­dete Gang. Sie beschlos­sen, ihre jewei­li­gen Talente und Möglichkeiten zu ver­ei­nen, um gemein­sam die Welt zu erobern:

Bei der Gründung ihrer Gang hat­ten sich als erste Regel gege­ben, nicht in die Welt des Verbrechens ein­zu­tre­ten, bevor sie nicht ihren Doktor hat­ten, min­des­tens drei Sprachen beherrsch­ten und kreuz und quer durch die Welt gereist waren. (S. 131)

Ihre geschäft­li­che Basis fin­den sie Marseille. Mit »Kleinvieh« woll­ten sie sich in die­ser Metropole des inter­na­tio­na­len Rauschgifthandels aber nicht abge­ben. Sondern Reichtum und Macht erobern mit­tels Wirtschafts- und Öko­kri­mi­na­li­tät (ille­gale Müllentsorgung in der Dritten Welt), ille­ga­ler Organhandel, Geldwäsche und Betrug in gro­ßem Stil. Allerdings ist hier in Marseille noch der rus­si­sche Geheimdienst, der von der Dromos-Gang nichts weiß, mit im Geschäft. Die Vier müs­sen also letzt­lich auch noch die­sen aus­schal­ten. Aber wie?

In Marseille tobt zu die­ser Zeit ein Territorialkrieg zwi­schen ein­hei­mi­schen, kor­si­schen und latein­ame­ri­ka­ni­schen Drogen- und Zuhälterbanden, was sich letzt­lich nicht för­der­lich auf die ganz ande­ren Pläne der Vier aus­wirkt.

Nicht zuletzt wirkt in der Hafenstadt eine inof­fi­zi­elle Polizeibrigade unter der Leitung der unkon­ven­tio­nel­len Kommissarin Bernadette Bourdet. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, einige pro­mi­nente Politiker, Geschäftsleute und Advokaten, die eng mit mafiö­sen Strukturen ver­bun­den sind, zur Strecke zu brin­gen. Dabei bedient sie sich u.a. eines kor­si­schen Mafiabosses alter Schule und eines frisch ein­ge­flo­ge­nen para­gu­ay­ischen Berufskillers, der groß ins Drogengeschäft ein­stei­gen möchte. Die Bourdet und der Korse wol­len den Territorialkrieg been­den, »geord­nete« fran­zö­si­sche Zustände wie­der­her­stel­len…

Die nicht mehr junge und alles andere als attrak­tive Bourdet, eine Lesbe mit einer Schwäche für schöne junge exo­ti­sche Frauen, küm­mert sich neben­bei auch um die Resozialisierung von Prostituierten und die Bestrafung von deren Zuhältern.

Und dann ist da noch Ulita Winogradowa, Leutnant des rus­si­schen Inlandsgeheimdienstes FSB, Führungsoffizier von Sosim Katajew. Dieser war ursprüng­lich Zögling einer rus­si­schen Mafiabande, ver­sucht aber über die Dromos-Gang den Absprung von die­ser und sei­nem Auftraggeber FSB.

Irgendwann kreu­zen sich die Wege der Gang, der Bourdet und der Winogradowa. Und das eher bei­läu­fig, zufäl­lig…

Interessant ist Carlottos Einstieg in das Geschehen: Im ers­ten Kapitel stellt er unter den jewei­li­gen geo­gra­phi­schen Koordinaten alle wich­ti­gen Figuren und ihre jewei­li­gen Geschäfte vor.

Das Buch liest sich gut, schil­dert das Alltagsverbrechen (Bandenkriege, Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Prostitution) unge­schö­nigt, hart, bru­tal. Natürlich kom­men auch Beschreibungen sexu­el­ler Affairen und Eskapaden nicht zu kurz (so die der Bourdet, die zwi­schen Sosim und Ulita, oder die des Paraguayers).

Es gibt aber auch echte, zärt­li­che Liebe, die aller­dings vor den Komplizen geheim gehal­ten wird (Sosim und Inez).

Leider krankt Carlottos Roman an eini­gen Klischees, die für die Handlung eigent­lich unnö­tig sind. Das betrifft vor allem Russenmafia, rus­si­scher Geheimdienst, tsche­tsche­ni­sche und andere isla­mis­ti­sche Terroristen.

Schließlich kommt es zum gro­ßen »Showdown« zwi­schen allen Interessengruppen… Wie die­ser aus­geht, wer »ins Gras bei­ßen« muß, wer wie mit dem Leben davon­kommt, das soll nicht ver­ra­ten wer­den. Nur dies: Kommissarin Bourdet »ihrer­seits würde bis zum Erreichen des Pensionsalters mit ihren eige­nen Methoden wei­ter­kämp­fen. Das war sie ihrer Heimatstadt schul­dig.« (S. 233)

Trotz der oben erwähn­ten Klischees ist die­ser Krimi ein ech­ter Thriller. Ein Thriller, der sich nicht in Oberflächlichkeiten erschöpft, son­dern der gesell­schaft­lich, soziale, poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Hintergründe nicht aus­klam­mert. Ein Thriller, der die moderne glo­bale »Nadelstreifen-Kriminalität ohne Moral und ohne Grenzen« durch­aus gelun­gen wider­spie­gelt.

Dieser Thriller ist auf seine Weise sogar eine Illustration eines ande­ren bekann­ten Zitates:

»… Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr klei­nem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit ent­spre­chen­dem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es über­all anwen­den; 20 Prozent, es wird leb­haft; 50 Prozent, posi­tiv wag­hal­sig; für 100 Prozent stampft es alle mensch­li­chen Gesetze unter sei­nen Fuß; 300 Prozent, und es exis­tiert kein Verbrechen, das es nicht ris­kiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit brin­gen, wird es sie beide encou­ra­gie­ren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel. (P. J. Dunning, zitiert in Das Kapital, Band I, S. 801, Dietz-Verlag Berlin, 1961)

Siegfried R. Krebs

Massimo Carlotto: Die Marseille Connection. Kriminalroman. Aus dem Ital. Von Hinrich Schmidt-Henkel. 240 S. geb.m.Schutzumschl. Tropen. Stuttgart 2013. 18,95 Euro. ISBN 978-3-608-50134-6

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[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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