«Die Schweiz ist ein Verbrecherstaat»

Die Schweiz gerät europaweit zunehmend in ein schiefes Licht, besonders bei jenen Menschen, die unter dem gnadenlosen Spardiktat zu leiden haben. So bezeichnet – zum Beispiel – der spanische Journalist Ignacio Escolar,  ein vielgelesener politischer Analyst und  Leiter von eldiario.es, in einem gehässigen Kommentar die Schweiz als Verbrecherstaat. – Sein Kommentar und seine spätere Relativierung, übersetzt von Walter B.

Verkehrte Welt: Die griechische Polizei hat einen Journalisten festgenommen, weil er die Namen von 2’059 Straftätern veröffentlicht hat. Der Journalist heisst Kostas Vaxevanis, und die Täter sind eine ganz schöne Menge Millionäre, die ihr Geld in der Schweiz parkieren, damit sie keine Steuern zahlen müssen. Vaxevanis zeigt auf die Kriminellen, und die Polizei verfolgt ihn wegen «Verletzung ihrer Privatsphäre». Sein Fall weist deutlich auf etwas Offensichtliches hin: dass die Steuerparadiese ohne die Mittäterschaft der übrigen westlichen Regierungen nicht existieren würden. Es sind die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und Japan, die es zulassen, dass ihre Finanzoligarchen dem Fiskus entgehen. Es sind unsere Regierungen, die dulden, dass die Schweiz, diese Höhle Ali Babas, ein ehrbares Mitglied der internationalen Gemeinschaft ist und nicht ein isolierter Verbrecherstaat, der von all seinen Nachbarn mit einer Handelsblockade belegt ist. Es ist der Westen, welcher den Schweizer Freibeuterbanken erlaubt, auf unserem Boden Niederlassungen zu eröffnen. Es ist Europa, das hundert Prozent der Schweizer Grenze kontrolliert und gleichzeitig dieser Zufluchtsstätte für Schwarzgeld ermöglicht, sich an das weltweite Finanzsystem anzuschliessen. Die Schweiz lebt davon, die anderen um ihr Geld zu prellen. Doch sie wird in keiner Weise bestraft, da unsere Regierungen und die Finanzeliten unserer Länder aus diesem unmoralischen Geschäft ihren Nutzen ziehen.

Auf der Liste von Vaxevanis stehen zwei konservative Exminister Griechenlands und ein Berater von Antonis Samaras, dem gegenwärtigen griechischen Ministerpräsidenten. Das ist nur ein Beispiel. Bestimmt gibt es weiter griechische Politiker, die ihr Geld in einem Steuerparadies versteckt haben. Der Journalist hat den griechischen Teil eines sehr viel grösseren Datenstamms veröffentlicht, den Hervé Falciani im Jahr 2007 aus der Schweizer Niederlassung der Bank HSBC mitlaufen liess – bei weitem nicht die einzige Bank in der Schweiz.

Falciani sitzt heute in Spanien im Gefängnis, im Gefängnis von Valdemoro, inhaftiert unter der Anklage einer Straftat, die es in unseren Gesetzen gar nicht gibt: wegen Verletzung des Bankgeheimnisses. Der Widerspruch ist schreiend: In Spanien ist es die Pflicht eines jeden, die Justiz in Kenntnis zu setzen, wenn er von einer steuerrechtlichen Straftat erfährt. Weil Falciani genau dies tat, sperrt ihn die spanische Justiz ins Gefängnis.

In Kürze muss die Regierung entscheiden, ob sie ihn an die Schweiz ausliefert oder – wie es die PSOE [Spanische Sozialistische Arbeiterpartei] und die IU [Vereinigte Linke] verlangen – freilässt. Dank Falciani, der seine wertvollen Informationen Frankreich aushändigte, konnte Spanien sechs Milliarden hinterzogene Euros von insgesamt 659 Personen einfordern. Sie stehen auf einer Liste, die in Spanien nie vollständig veröffentlicht wurde.

Falciani hat angeboten, mit Spanien zusammenzuarbeiten, damit weitere Delinquenten aufgespürt werden können, die ihr Geld in der Schweiz verstecken, um dem Fiskus zu entgehen. Wird die Regierung von Rajoy den Handel akzeptieren – dieselbe Regierung, die einer Steueramnestie zugestimmt hat und mit der Schweiz ein Abkommen mit ähnlicher Stossrichtung aushandelt? Ich würde nicht drauf wetten.

Aktualisierung vom 30. Oktober

Das Motto dieses Blogs [Escolar.net] heisst: «In jenem Moment schien es eine gute Idee». Einen Tag später finde ich es keine so gute Idee mehr, diesen Post so zu übertiteln, wie ich es tat. Einige von euch werfen mir zu Recht in euren Kommentaren vor, die Schweiz hätte ihr Bankgeheimnis ziemlich zusammengestutzt, die grossen Mächte, welche die Schweiz kritisierten, unterhielten zudem ihre eigenen Steuerparadiese – die Vereinigten Staaten etwa Delaware oder Grossbritannien Jersey – und es gäbe auf der Welt andere Länder, die viel systematischer vom Steuerbetrug und von Schwarzgeldern lebten als die Schweiz heute – im übrigen ein wohlhabendes Land, das nicht nur von seinen Banken abhängig sei. Das ist richtig. Doch das befreit die Schweiz nicht von ihrer Verantwortung. Und ihre Banken sind nach wie vor die beliebteste Zufluchtsstätte eines grossen Teils der Schwarzgelder – oft auch verbrecherischer Herkunft –, das sich weltweit vor dem Fiskus verstecken will. Das kommt nicht von ungefähr.

Andere hinterfragen das Adjektiv «verbrecherisch». Es geht zurück auf das Wort «Verbrechen», das laut dem Wörterbuch der Real Academía Española bedeutet: 1. schwere Straftat, 2. rechtswidrige oder verwerfliche Tat, und 3. willentliche Tat, um jemanden zu töten oder schwer zu verletzen. Die ersten beiden Bedeutungen stimmen bestens mit dem überein, was ich brandmarken möchte. Der Steuerbetrug ist eine sehr schwere Straftat, vielleicht die Straftat, die unserem Wohlstand am meisten schadet, und zweifellos eine rechtswidrige und verwerfliche Tat. Das ist offensichtlich, doch man erwähnt es selten. Deshalb muss man es anprangern. Die dritte Bedeutung des Wortes – Töten oder Verletzten – trifft allerdings in keiner Weise zu. Auf der Liste der verbrecherischen Länder, die töten oder verletzen, wäre die Schweiz weit von den Spitzenplätzen entfernt. Seit vielen Jahren hat sie nicht mehr an einem Krieg teilgenommen.

In jenem Moment schien es eine gute Idee. Und heute? Ich bereue keine einzige Zeile, die ich in diesem Artikel geschrieben habe. Allerdings würde ich einen anderen Titel wählen. Er legt eine falsche Schlussfolgerung nahe, weil der Begriff «Verbrechen» mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. Und es ist nicht das, was ich sagen wollte.

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Anmerkung:
Das Original des Kommentars von Ignacio Escolar ist auf dem Blog Escolar.net erschienen und wurde innerhalb von kurzer Zeit gegen 6’000mal «geliked», also auf Facebook empfohlen.


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