Die Katzen-Katastrophe oder Ivan, der Schreckliche

Es ist vollbracht. Ich habe das Wochenende mit Ivan überlebt. Nicht so ganz ohne Blessuren, aber lest selbst…

Gestern entschloss ich mich gegen Nachmittag tatsächlich, das Katzenvieh zu besuchen. Mehr aus so einem Verantwortungsgefühl heraus, als dass ich mich ernsthaft dafür interessiert hätte. Ich war vorbereitet. In meiner Notarztjacke fand ich noch eine Spritze mit einem Rest an Ketanest und eine mit etwas Midazolam. Man weiß ja nie. Vorsichtig öffnete ich also die Tür zu Blondie und Rambos Wohnung. Wenigstens hatten sie die Buldogge mit in den Urlaub genommen. Ich steckte vorsichtig den Kopf zur Tür hinein. Alles schien ruhig und friedlich. Behutsam schlich ich in den Flur. Die Wohnung, die ich nun erstmals ganzheitlich betrachten konnte, war erwartungsgemäß geschmacklos eingerichtet. An den Wänden hingen Fotos, die Rambo besoffen und Blondie halbnackt zeigten. Oder umgekehrt. Von Ivan keine Spur. Auf dem Küchentisch stand eine Packung mit Trockenfutter und daneben lagen ein paar handgeschriebene Anweisungen von Blondie, die darauf schließen ließen, dass Deutsch in der Schule nicht ihr Lieblingsfach gewesen war. Lustlos schüttete ich also das Trockenfutter in den dafür vorgesehenen Behälter und gab noch etwas Wasser in den Napf daneben. Von Ivan noch immer keine Spur. Ich fühlte mich allerdings beobachtet. Irgendwie unwohl. So als würde Ivan hinter irgendeiner Ecke lauern und einen Schlachtplan aushecken. Ich verharrte etwa zwei Minuten still neben dem Napf mit Trockenfutter und lauschte. Da war nichts. Das Unwohlsein in mir nahm jedoch weiter zu. Mit leisen Schritten bewegte ich mich wieder in Richtung Wohnungstür. Ich hatte schon fast die Hand am Türgriff, da hörte ich ein leises Maunzen hinter mir. Ich drehte mich reflexartig um. Ivan saß auf dem Garderobenschrank und bedachte mich mit einem eiskalten Blick. Mein Herz krampfte sich dabei zusammen. Dann setzt Ivan zum Sprung an, so schnell, dass ich mich nicht mehr vollständig wegdrehen konnte. Die Attacke kam quasi aus dem Nichts und erwischte mich völlig unvorbereitet. Ivan hing in meinem Genick und fauchte, dabei rammte er mir seine Krallen in alles, was er fassen konnte. Verzweifelt ruderte ich mit den Armen und versuchte, seiner habhaft zu werden, aber es war zwecklos. Immer wieder schlug er auf mich ein. Ich bin von einer Katze vermöbelt worden! Aus lauter Verzweiflung, und weil ich mir anders nicht mehr zu helfen wusste, griff ich in meine Tasche, zog das Ketanest heraus und stach blind hinter mich. Ich erwischte Ivan am Hintern. Er jaulte kurz auf, schlug noch ein paar Mal nach mir, und glitt dann endlich zu Boden. Jetzt weiß ich nicht genau, wie viel Ketanest da noch in der Spritze waren oder was so eine Katze überhaupt verträgt, aber für Ivan schien es genug gewesen zu sein. Er lag da und starrte mich aus leeren Augen an. Ich hob ihn hoch und legte ihn auf den Tisch. Sein schwarzes Fell glänzte. Eigentlich sah er fast friedlich aus. Natürlich übermannte mich sofort ein schlechtes Gewissen. Können Katzen auch Alpträume kriegen? Ich debattierte das eine Weile mit mir, schließlich entschied ich mich, ihm noch etwas Midazolam nachzugeben. Man weiß ja nie. Ich ging dann ins Bad und begutachtete meine Blessuren. Ich sah aus, als hätte ich eine Runde im Stacheldraht geschlafen, meine Haare waren zerzaust und stellenweise abgenagt, ein erbärmliches Bild. Ich fragte mich, ob Ivan wohl Tollwut hat. Ich kämmte mir die Haare mit Blondies Bürste und wischte mir die gröbsten Blutspuren aus dem Gesicht. Dann ging ich wieder zurück ins Wohnzimmer, wo ich Ivan abgelegt hatte. Er lag noch immer genau so da. Kritisch beäugte ich das Heben und Senken seines Brustkorbs. Die Atmung kam mir irgendwie flach vor. Zu flach. Sofort fühlte ich Panik in mir aufsteigen. Ich hatte Ivan auf dem Gewissen. Ich hob ihn hoch und begann ihn zu schütteln: “Ivan… Chichi… ach, scheiße!” rief ich. Ivan reagierte nicht. Ich tat nun das einzig Sinnvolle, was mir in dieser Situation einfiel. Ich holte mein Telefon aus der Tasche und rief in der Klinik an –  im Zimmer der Feuerwehr. Schon nach dem ersten klingeln meldete sich ein Kerl namens Philipp. Den kannte ich glücklicherweise recht gut. “Philipp!” rief ich. “Schnell, ich brauche Hilfe! Du musst vorbeikommen!” Ich schilderte ihm kurz die Misere. “Du hast nen Knall.” war alles, was er sagte. “Jetzt sei nicht so! Ein Leben steht auf dem Spiel!” brüllte ich. “Das einer Katze!” gab er ungerührt zurück. “Ja, und? Ich brauche HILFE!” ich fing an zu betteln. “Anna, ich habe keine Ahnung von Katzen!” gab er zurück. “Ich doch auch nicht!” rief ich. “Aber du, Philipp, bist doch bei der Feuerwehr, ihr macht doch dauernd so Zeug mit Katzen.” “Ich bin Rettungsassistent, verdammt, ich mache überhaupt nichts mit Katzen!” Ich flehte noch eine Weile, während ich hingebungsvoll Ivan weiter schüttelte. Schließlich gab Philipp nach. “Wo bist du jetzt?” Ich gab ihm die Adresse. “Ok,” sagte er. “das liegt noch im Wachgebiet. Ich komme vorbei. Dr. Ungut ist heute Notarzt, dem wird das nicht gefallen. Aber ich lass mir was einfallen.” Grußlos hing er das Telefon auf. “Aber komm mit Sondersignal!” rief ich noch in die tote Leitung. Mittlerweile war ich zur Mund auf Schnauze-Beatmung übergegangen. Ja, es war widerlich, aber was sollte ich machen. Ivans Atmung war bedenklich langsam geworden. Vielleicht war das Midazolam einfach zu viel. Es dauerte gefühlte drei Stunden, bis es an der Tür klingelte, und Philipp und Dr. Ungut davor standen. “Du bist völlig bescheuert.” waren Philipps Worte, als ich mit der Katze vor meinem Gesicht die Tür öffnete. “Frau Kollegin, ich kann das nicht gutheißen!” dozierte Dr. Ungut. “Woher haben Sie überhaupt das Ketanest?” “Ach, halt die Klappe und setz dich hin.” herrschte ich Dr. Ungut zwischen zwei Atemstößen auf Ivan an. Philipp hatte den Kinder-Notfallkoffer dabei. “Was brauchst du?” fragte er mich. “Gib mir den kleinsten Tubus den Du hast. und den kleinsten Spatel. So eine Katze muss doch auch zu intubieren sein. Philipp sah mich zweifelnd an. “Aber von dir? Vielleicht solltest du einfach einen neuen Ivan kaufen.” Ich stellte mir kurz vor, wie ich mit dem toten Ivan in die Tierhandlung ginge und sowas sagte, wie: “Bitte noch einmal das Gleiche, aber nicht ganz so steif.” Ich schüttelte den Kopf. “Kommt nicht in Frage. Tubus und Laryngoskop bitte.” Philipp seufzte erneut, gab mir aber schließlich das Gewünschte. “Und Lidocain-Gel. Damit er keinen Laryngospasmus kriegt. Ich hab da mal so was gelesen.” Philipp schüttelte nur noch den Kopf, gab mir aber das Gel. Ich drehte Ivan auf den Bauch und machte mich ans Werk. Es war gar nicht so einfach, aber nach ein paar Versuchen hatte ich den Tubus positioniert. “Ambu-Beutel, den für Babies!” Philipp machte sich resignierend an die assistierte Beatmung von Ivan. “Bravo, Frau Kollegin.” applaudierte es von der Couch. “Ach, halt’s Maul.” gab ich ebenso barsch zurück. Während Philipp den armen Ivan bebeutelte, versuchte ich, den Tubus zu fixieren. Es ging nicht, der Kopf war einfach zu glatt, und der Tubus drohte herauszurutschen. “Wie machen die das denn beim Tierarzt?” fragte ich. “Keine Ahnung,” sagte Philipp, aber bestimmt nicht so wie du.” Ich sah mich hilfesuchend um. Dann hatte ich einen Einfall. “Rasieren!” rief ich. “Was?” fragte Philipp. “Wir rasieren ihm den Kopf. Dann können wir den Tubus festkleben.” Philipp widersprach schon gar nicht mehr. Wortlos reichte er mir einen Rasierer. Nach zwei Minuten hatte ich den kompletten Schädel rasiert und konnte so den Tubus festmachen. Sah etwas komisch aus, so der schwarze Fellkörper und der rasierte Kopf, aber wenigstens konnte ich so sehen, dass die Oxygenierung gut war, Ivan war recht rosig. “Meinst du, wir könnten das Pulsoxy…” “Nein!” wies Philipp meine Idee entschieden zurück. “Du hast unsere Nerven schon genug strapaziert. Und unser Equipment. Das Beatmungsgerät bekommst du auch nicht, falls du danach fragen wolltest. Oder die Sauerstoffflasche. Das muss reichen!” Enttäuscht strich ich Ivan über das verbliebene Rest-Fell. Da riss mich ein lautes Beep Beep aus meinen Gedanken. Der Funk der beiden gab Alarm. “Scheiße, wir müssen los.” Philipp packte hastig seine Sachen zusammen. Dr. Ungut rannte schon zur Tür. Schließlich diskonnektierte er Ivan vom Ambu-Beutel. Ich kreischte. “Anna?!” fragte er ungläubig. “Es reicht schon, dass ich hier in einer semilegalen Aktion mit dir eine Katze bearbeite. Du willst jetzt nicht ernsthaft verlangen, dass ich dir auch noch Teil meines Equipments überlasse?” Also hob ich Ivan wieder hoch und machte jetzt Mund-zu-Tubus-Beatmung. So begleitete ich Philipp zur Tür. Einen rasierten, beatmeten Ivan vor mir hertragend. “Viel Glück noch.” sagte Philipp und sprintete Dr. Ungut hinterher.

Noch eine halbe Stunde lang beatmete ich so das Katzenvieh, bis Ivan endlich so weit war, dass er sich extubieren ließ. Er schien mir die ganze Aktion und vor allem das geschorene Haupthaar übel genommen zu haben, denn sobald er sich halbwegs wieder erheben konnte, verzog er sich beleidigt in eine Ecke und sah mich nicht mehr an.

Weiß noch nicht, wie ich das mit dem rasierten Schädel erkläre.

*Disclaimer: Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Heimbeatmung und Intubation von Katzen durch den tiermedizinischen Laien keine gute Idee ist, und dass es sich bei dem hier beschriebenen Ereignis um ein Werk der Fiktion handelt, oder? Bevor das jetzt die Tierschützer auf den Plan ruft…*


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