Deep Purple

Zweite Hälfte der 70er-Jahre. Heisse Sommertage im Tullnerfeld. Ich schwinge mich in der Früh auf mein Vier-Gang-Fahrrad und ziehe mit den Nachbarskindern in der Gegend herum. Abkühlung von der Sommerhitze bringt ein Sprung in den nahen Schotterteich. Zutritt verboten, aber wen interessiert’s. Im Zaun sind alle hundert Meter große Löcher, die zeitweilig geflickt und umgehend wieder aufgerissen werden.

Neben dem Sommerhaus meiner Eltern gibt’s eine Tischlerei. Der Älteste Tischlersohn hat eine Stereoanlage mit allen Schikanen. Marantz-Verstärker, Lenco-Plattenspieler, Teak-Tonbandgerät. Der Lautstärke-Regler steht irgendwo zwischen 7 und 10, und das Fenster ist offen. Ich ziehe enge Kreise mit dem Fahrrad vor dem Fenster. Emerson, Lake and Palmer. Pink Floyd. Deep Purple. Eben noch großer Abba-Fan gewesen, eröffnet sich mir eine neue Welt. Ich kopiere mir Platten wie Pink Floyds Ummagumma oder Deep Purples Made In Japan auf Kassette. Wieder daheim in Wien höre ich die Musik im Dauergang. Mono, dafür laut. Was der Kassettenrekorder so hergibt.

Im Dezember 1979 kaufe ich mir meine erste Platte. CDs werden gerade erst in Labors entwickelt, im Meki in der Operngasse in Wien kauft man ausschließlich Langspielplatten. Also Vinyl! Für das Deep-Purple-Doppelalbum Made in Japan reicht das Taschengeld nicht, es wird Deep Purple In Rock. Meine Eltern besaßen eine Stereo-Anlage von ITT Schaub Lorenz. Das war die mit den kugelförmigen Lautsprechern. Aber die bleiben stumm, denn meine Wunschlautstärke wird über die Kopfhörer direkt ins Gehirn geleitet. Plattennadel aufsetzen.

Speed King. Bloodsucker. Child In Time.

Platte umdrehen.

Flight Of The Rat. Into The Fire. Living Wreck. Hard Lovin’ Man.

Ritchie Blackmore. Ian Gillan. Roger Glover. Jon Lord. Ian Paice. Martin Birch an den Reglern. Dass die Band zu der Zeit schon lange nicht mehr existiert, betrübt mich. Dafür muss umso öfter die Musik gehört werden. Ich habe die Kopfhörer auf, den Lautstärkeregler irgendwo zwischen 6 und 7 (bei mehr als 7 dröhnt es nur mehr), und singe mit Gillan mit. „Sweet child in time, you’ll see the line. The line that’s drawn between the good and the bad.“ Wenig später kommt Blackmore langsam zur Sache. Wie ist es nur möglich, ein Stück derart gemütlich beginnen zu lassen, und dann in jeder Sekunde zu steigern? Und wenn Du glaubst, mehr geht nicht, kommt noch etwas dazu. Es wird schneller, lauter, dichter. Ich komme auf der Luftgitarre gerade noch mit. Ich habe die Augen geschlossen, und stelle mir vor, wie ich auf der Bühne stehe, hinter mir eine Wand von Marshall-Verstärkern. Vor mir himmeln mich die Mädels aus meiner Klasse an. Darunter natürlich auch die Wesentliche.

Ich bin Blackmore, ich bin Child in Time, ich bin das Solo.

Jeden Ton davon kann ich auswendig, und trotzdem entdecke ich ständig neue Aspekte. Die Musik nutzt sich nicht ab. Wie macht das der Blackmore an der Gitarre nur? Damals weiß ich noch nicht, dass der Mann hauptsächlich Pentatonik- oder Blues-Tonleiter spielt. Heute bin ich immer noch erstaunt, wie es nur möglich ist, mit dem Tonmaterial so facettenreich zu spielen, und dabei immer interessant zu klingen. Vergiss mixolydisch, dorisch und alteriert. Blackmore ist kein musiktheoretischer Revolutionär. Aber sein Gefühl für fette Gitarrenriffs (Into The Fire!!) bereitet vermutlich den Weg für Metallica, Pantera und Konsorten.

Kurz darauf erlösen noch drei weitere Platten das Album von seiner Einsamkeit im Plattenregal. Deep Purple Made in Europe, Rory Gallagher Live! In Europe, und Emerson, Lake and Palmer In Concert. Vier LPs legen den Grundstein meiner Plattensammlung, und es soll noch lange dauern, bis eine fünfte Platte dazu kommt. Deep Purple In Rock bleibt vorerst das einzige Studio-Album in meiner Sammlung.

Mit dem ersten verdienten Geld aus Ferienjobs kaufe ich mir später einen Aiwa-Receiver, einen Dual-Plattenspieler und Bose-Lautsprecher. Die vier Alben laufen in Heavy Rotation. Deep Purple In Rock wahrscheinlich ein wenig öfter, und ein wenig lauter. Die Bose-Lautsprecher 301 Version I mit dem Hochtöner im schrägen Winkel arbeiten immer noch, erst im Vorjahr habe ich die Sicken von einem Bastler reparieren lassen. Das Deep-Purple-Album In Rock ist 31 Jahre alt und befindet sich im Bestzustand. Aufgeladen mit Träumen und Emotionen. Unverkäuflich.

Über den Autor: Selbständig im Bereich Online-Marketing. In den Neunzigern bei Radio CD und ORF (Ö3 und Ö1) gearbeitet. Als Jugendlicher Klassik-Gitarre gelernt, mehr als 20 Jahre später die Welt der Stromgitarren betreten. Ein kleiner Marshall-Verstärker steht unmittelbar neben dem Bett. Heinz Duschanek bloggt, twittert und ist auch auf Facebook zu finden.

Deep Purple

Website Myspace Amazon

Dieser Text entstand im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts „31 Tage – 31 Platten“. Mehr dazu gibt es an dieser Stelle.


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