Anthony Doerr. Alles Licht, das wir nicht sehen

doerr_alles_lichtEs gibt Romane, die ganz leise daherkommen und dann eine Wucht entwickeln, die man ihnen nie zugetraut hätte. Sie schlummern monatelang in den Regalen der Buchhandlungen. Fast landen sie auf dem “Friedhof der vergessenen Bücher”, weil kaum einer über sie spricht. Dann kommt, einem kleinen Erdbeben gleich, eine Erschütterung (ein Buchpreis beispielsweise), aus welcher sich eine stetige Riesenwelle entwickelt. Plötzlich wollen alle das Buch lesen und es liegt in Stapeln auf dem Bestsellertisch deiner Buchhandlung –

Auch ich will endlich diesen Roman lesen, für den Anthony Doerr den Pulitzer-Preis 2015 gewonnen hat. Neugierig tauche ich ein, lasse mich in die 40er Jahre in den Nordwesten Frankreichs, nach Sain Malo entführen. Ich spüre und höre den wilden, salzigen Atlantik. Nur sehen kann ich ihn nicht. Und damit geht es mir fast genauso, wie Marie-Laure, die mit sechs Jahren erblindet ist. Auch ihre Welt besteht seitdem aus intensiver Sinneswahrnehmung. Tastend, riechend, schmeckend und lauschend erfährt sie diese Welt. Doch nur selten sind die Erfahrungen strahlend und süß. Denn es ist Krieg und die Deutschen haben Frankreich bereits besetzt. Auf der Flucht aus Paris erlebt sie mit ihrem Vater ganz besonders intensiv die Hysterie der Menschenmassen, den Geruch von nassen Kleidern und Urin, das Weinen von Babys, die von Mauern widerhallenden Schreie. Es versetzt sie in Angst und Panik. Angenehme Empfindungen erlebt Marie-Laure, wenn ein Fenster mit Blick zum Atlantik geöffnet wird und sie überraschend Wind und Meer spürt: plötzlich, klar, süss, salzig, strahlend. Das Dröhnen hebt und senkt sich. Sie liest Jules Verne in Braille-Schrift. Bücher, die so dick und so groß sind wie Sofakissen. Mit diesen Romanen träumt sie sich weit weg zum Mittelpunkt der Erde und zwanzigtausend Meilen unter das Meer.

Marie-Laure liebt das Rauschen des Atlantik, sie ertastet Muscheln und Schneckenhäuser. Und sie liebt ihren Vater, der ihr jedes Jahr zum Geburtstag eine Rätselschachtel mit einem Geschenk im Innern überreicht. Marie-Laure findet schnell und sicher das geheime Rätsel, um die Schachtel zu öffnen. Ihr Vater ist es auch, der für Marie-Laure zur Orientierung ein kleines Modell ihres Viertels gebaut hat. Seine Worte – ich werde dich nie verlassen, auch in einer Million Jahre nicht – begleiten den Roman wie ein blauer Strahl der Hoffnung.

Im Wechsel zu den Kapiteln um Marie-Laure erlebe ich Werner, einen Waisenjungen aus Deutschland, der in dieser Zeit ganz andere Erfahrungen macht. Werner ist ein zartgliedriger, empfindsamer Junge mit weißem Haar und abstehenden Ohren, der alles versucht, um seine kleine Schwester Jutta zu beschützen. Bis er – noch immer ein Junge – in den Krieg muss. Er hat ein besonderes Talent für den Bau und die Reparatur von Radios und muss in einer Spezialeinheit der Wehrmacht helfen, Feindsender der Résistance zu finden.

Auch wenn der Roman eine Geschichte in Zeiten des Krieges erzählt, so ist er für mich irgendwie kein Kriegsroman. Weil er feinfühlig und ganz genau von Menschen erzählt, von ihren Schwächen und ihren Stärken. Von Angst und von Mut. Was ganz tief in mir bleibt, das sind deshalb die Figuren – starke, einzigartige Charaktere. Es bleibt dieses Gefühl der fast unerträglichen Spannung, die Doerr bei mir erzeugt. Die Angst um Werner und Marie-Laure, um den alten Etienne, um Jutta und all die anderen Figuren, die ich ganz fest in mein Herz schließe. Diese Spannung verstärkt sich durch den Wechsel der beiden Welten von Marie-Laure und Werner. Man spürt, beide werden sich irgendwann begegnen. Nur, wann und wie das sein soll, bleibt ein Rätsel bis fast zum Ende des Romans.

Anthony Doerr. Alles Licht das wir nicht sehen. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence, Verlag C.H. Beck 2014 (22,95 €) und 2015 (19,95 €), 519 Seiten



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