Haruki Murakami. Wenn der Wind singt. Pinball 1973 – eine bekennende Harukinistin erzählt

murakami_wenn_der_wind_singtAm 15. Oktober 2010 bin ich Haruki Murakami begegnet. Es gab keine Garantie für sein Kommen. Es gab keine Garantie für sein Bleiben – nicht einmal, als er dann wirklich und real dort auf der Bühne im Admiralspalast saß. An einem schmalen Holztisch, mit Blick ins Publikum. Und jeder wusste, er würde wortlos die Bühne verlassen, sollte ein einziges Handy aufblitzen.  Bitte nicht fotografieren, mahnte ein Banner über der Bühne.

Vielleicht gerade deshalb ist dieses Ereignis in meinem Kopf minutiös aufgezeichnet. Ich musste mich nicht auf den Moment für das perfekte Foto konzentrieren. Ich war hochgradig und mit 100 % in der Gegenwart. Ganz besonders, als ich mich in die Schlange zum Signieren einreihte. Auch hier gab es Beschränkungen: keine Bierdeckel, keine Notizblöcke und auch keine Unterarme (!!) würde Murakami signieren, sondern nur ein einziges Buch: 1Q84!! Mit diesem Roman und der Taschenbuchausgabe von Wilde Schafsjagd unter dem Arm, rückte ich in der Schlange weiter vor. Stand dann vor ihm. Mutig, optimistisch und mit einem strahlenden Lächeln wedelte ich mit der Wilden Schafsjagd. Auf meine Frage “It’s possible, to take two?”, nickte Murakami großzügig. Signierte beide Bücher für mich. Dabei haben wir ein bißchen geplaudert.

Und jetzt sitze ich hier, habe diese Bilder im Kopf und lese seine beiden ersten Romane Wenn der Wind singt (1979) und Pinball 1973 (1980).
Bereits auf den ersten Seiten taucht ein alter Bekannter aus der Wilden Schafsjagd auf. Er steht in Jays Bar und schreit ganz wild herum. Jeder schreit hier irgendwie jeden an – wie auf einem Passagierschiff kurz vor dem Untergang … ich klappe das Buch zu, schließe meine Augen. Hole tief Luft, glaube nicht, was ich sehe. Lese noch einmal, lese weiter. Unfassbar! Na klar kenne ich ihn. Ratte!

Den ganzen Sommer über schütteten Ratte und ich so viele Biere in uns hinein, dass man mit der Menge wahrscheinlich ein fünfundzwanzig Meter langes Schwimmbecken hätte füllen können … anders hätten wir diesen stinklangweiligen Sommer nicht überlebt (S. 29).

Mit diesen beiden im DuMont Buchverlag veröffentlichten Romanen ist die “Trilogie der Ratte” vollständig – ein großer Glücksfall also, dass Murakami endlich der Übersetzung ins Deutsche durch Ursula Gräfe zugestimmt hat. Ich versuche, zu verstehen, was ihn jahrelang davon abgehalten haben könnte. In beiden Texten ist alles bereits da, manchmal vielleicht etwas roh und ungeschliffen. Skizzenhaft hingezeichnet wie mit Pinsel und Tusche. Aber unverkennbar Murakami! Beispielsweise, wenn sein Erzähler sagt: Ich mag Brunnen. Immer wenn ich einen sehe, werfe ich einen Stein hinein. Kein Geräusch ist so beruhigend wie das eines Kieselsteins, der auf die Wasserfläche eines tiefen Brunnens trifft (S.140). Hier deuten sich seine Traumsequenzen an. Tunnel, endlose Gänge und Brunnen ermöglichen den Figuren in Murakamis Romanen ein Gleiten in eine andere Welt.

murakami_pinballWie gewohnt bei Murakami, kann ich beide Romane mit allen Sinnen erfahren. Ich spüre den lautlos gleitenden Wind, lausche dem Rascheln der fedrigen Susukiblüten sowie dem Trällern der Feldlerchen. Ich streichele zwei abessinische Katzen und fühle diesen ganz typischen Rhythmus, der beide Romane durchdringt. Eine Art Melodie, die an Jazz, Pop oder Klassik denken lässt. Stan Getz, Charlie Parker, die Beach Boys, Händels Blocksonaten – ohne Musik geht in seinen Romanen gar nichts! Und was für eine Ästhetik in dem Auflegen einer Schallplatte liegt! Jedesmal werde ich regelrecht melancholisch beim sich anschließenden Kratzen der Nadel in der Rille, spüre Sehnsucht nach dieser Zeit. Gar keine Frage, dass auch Spaghetti gekocht werden und überhaupt jede Menge gegessen und besonders getrunken wird – Whiskey und Bier!

Diese beiden Romane zu lesen, fühlt sich an, wie nach einer langen Zeit eine einsame Insel zu besuchen, die man bereits kennt. Alles ist so vertraut – der Strand, das Zimmer, die Palmen … und doch ist Vieles anders, weil man einige Jahre versäumt hat, diesen Ort zu besuchen. Und hier lerne ich nun einen Murakami kennen, der selbst gerade 30 Jahre alt ist und über Dreißigjährige und deren Entscheidungen, wie es nach der Uni in ihrem Leben weitergehen soll schreibt. Auch er, ein junger Mann an einer Weggabelung in der realen Welt. Soll er die Jazzbar, die er gemeinsam mit seiner Frau Yoko eröffnet hat, weiter führen? Soll er nach dem Erfolg von Wenn der Wind singt weiter schreiben? Wird er damit Geld verdienen können?

Er kann zu diesem Zeitpunkt nicht mal ahnen, dass er schon wenige Jahre später weltberühmt sein wird. Dass nicht nur in Japan Millionen Fans seine Romane verschlingen werden und sich inspirieren lassen vom Leben seiner Romanhelden, sich “Harukinisten” nennen. Sondern in ganz Asien, besonders Korea, China und Taiwan. Und auch in der ganzen westlichen Welt und in den USA. Was uns Leser so unendlich begeistert, das sind seine Figuren in eigentlich ganz gewöhnlichen Situationen. Ob Jungs oder Mädchen – selten sind sie schrill oder exzentrisch. Oft spazieren sie durch die Romane, ohne große Spuren zu hinterlassen, sind dezent, distanziert und sensibel. Aber immer außergewöhnlich. Während die Jungs versuchen, cool zu sein, sind es die Mädchen bereits. Sie sind nicht immer hübsch im klassischen Sinn, manchmal sogar mit einem kleinen Makel behaftet (große Ohren, leicht hinkend) aber von einer unkomplizierten und herzzerreißenden Schönheit, wie nur Murakami sie beschreiben kann.

Haruki Murakami. Wenn der Wind singt. Pinball 1973. Aus dem Japanischen von Ursula Graefe. DuMont Buchverlag 2015. 19,99 €. 267 Seiten

Haruki Murakami. Wilde Schafsjagd. Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. DuMont Buchverlag 2005. 21,90 €. 297 Seiten / Suhrkamp taschenbuch 1991, 10,- € 306 Seiten (diese wunderschöne Ausgabe gibt es leider nur noch gebraucht)



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