Elif Shafak. Der Bastard von Istanbul

shafak_bastard_von_istanbulUnd weiter geht es mit meiner kleinen Reihe der Istanbul-Romane. Lange Zeit war er nicht lieferbar, nun ist endlich Der Bastard von Istanbul bei Kein & Aber im Paperback mit diesem wunderschönen farbigen Buchschnitt erschienen. Die Paperbacks haben damit für mich fast schon Sammlerwert.

Inhaltlich geht Elif Shafak diesmal fast 100 Jahre zurück. In eine Vergangenheit, die so sehr schmerzt und deshalb oftmals besser verschwiegen und vergessen wird. Im Vorwort der Ausgabe von Februar 2015 sagt sie: Berlin ist eine Stadt, in der Erinnerung sichtbar gemacht wird. Istanbul ist das genaue Gegenteil … Gewiss, das geliebte und schöne Istanbul ist alt und voller Geschichten, aber bei einem Spaziergang durch die Stadt fällt einem auf, dass es fast keine Anzeichen urbaner Erinnerung gibt … Die Türkei ist eine Gesellschaft, die unter kultureller Amnesie leidet.

Gegen diese Amnesie schreibt Elif Shafak, die seit ihrer Kindheit eine irrationale Liebe zu Wörtern und Geschichten hat. Aus Fragmenten und winzigen Puzzleteilchen setzt Shafak ein großartiges Panoramabild zusammen. Unzähligen türkischen und armenischen Frauen verleiht sie eine Stimme. Ihr Thema in diesem Roman ist “die armenische Frage”. Ihr Wunsch, Gegensätze abzubauen, polarisierendes Denken zu überwinden. 

Da ist Rose, die ihre Ehe mit dem Armenier Barsam verlässt und somit auch ihrer ewig strickenden Schwiegermutter Sushan den Rücken kehrt. Anfangs aus Rache, später aus Liebe, heiratet sie den schüchternen Türken Mustafa. Gemeinsam ziehen sie das kleine Mädchen Armanoush – das Kind aus der ersten Ehe von Rose – groß. Das aber entsetzt Großmutter Sushan. Für sie ist Mustafa der Erzfeind! Er wird den Genozid an 2 Millionen Armeniern von 1915 leugnen!

Im Laufe der Geschichte lerne ich Mustafa und seine “türkische” Familie in Istanbul kennen. Eine Familie aus lauter Frauen. Die Männer sterben früh in dieser Familie. Verwirrende, verworrene Schicksale. Mit Spuren, weit zurück in die Vergangenheit. Viele Armenierinnen sind damals – um zu überleben – zum Islam konvertiert, haben einen Türken geheiratet und so die Spuren ihrer Herkunft verwischt. Es gab und gibt noch heute Vergewaltigungen in Familien.

Shafak erzählt all dies auf ihre Art. Sie spricht die Dinge an. Manchmal versponnen und märchenhaft, dann wieder kritisch und politisch sehr offen. Nach der Erstveröffentlichung des Romans im Jahr 2006 wurde Elif Shafak in Istanbul von den Ultranationalisten der “Verunglimpfung des Türkentums” beschuldigt. Ihr Bild wurde öffentlich verbrannt. Elif Shafak ist zu dieser Zeit hochschwanger, einen Tag vor dem Prozess kommt ihr Kind zur Welt. Sie wird frei gesprochen, lebt seitdem in London. Ihre Romane schreibt Elif Shafak in Englisch, hat aber viele Leser in der Türkei, die ihre Romane lieben und schätzen. Auch Kurden, Aleviten, Juden und Armenier.

Der 24. April 2015 ist für die Armenier ein Trauertag. An diesem Tag vor 100 Jahren begannen in Konstantinopel die Masseninhaftierung und Deportation der intellektuellen und politischen Elite der Armenier. Den anschließenden Massentötungen fielen mehr als eine Million Menschen zum Opfer. In Erinnerung an die Verfolgung und Tötung der armenischen Minderheit im damaligen Osmanischen Reich findet am 21. April 2015 ein worldwide reading statt. An verschiedenen Orten in Berlin und Potsdam wird an diesem Tag aus Büchern zum Thema gelesen.

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Elif Shafak. Der Bastard von Istanbul. Aus dem amerikanischen Englisch von Juliane Gräbener-Müller. Verlag Kein & Aber. Zürich 2015. 464 Seiten. 12,90 €



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