Anna Sheehan – A Long, Long Sleep

Anna Sheehan – A Long, Long Sleep

Habt ihr euch je gefragt, was mit Dornröschen passierte, nachdem sie aus ihrem magischen Schlaf erwachte? Das traditionelle Märchen verrät uns nicht, wie die verfluchte Prinzessin ihr 100-jähriges Nickerchen verkraftete, sondern deutet lediglich an, dass sie glücklich wurde. Wie ihr das gelang, nachdem sie ein ganzes Jahrhundert verschlief, während sich die Welt außerhalb ihres Schlosses weiterdrehte, verschweigt es. Betrachtet man ihre Lage realistisch, müsste die Gute traumatisiert sein und unter einem gewaltigen Schock leiden. Wie schwer es für Dornröschen wäre, dieses Trauma zu überwinden, untersucht Anna Sheehan in ihrem Debütroman „A Long, Long Sleep", der dort beginnt, wo das Märchen aufhört.

Rose schlief und als sie erwachte, war die Welt eine andere. Zweiundsechzig Jahre verbrachte die 16-Jährige in Stasis. Sie verschlief die Dunklen Zeiten, in denen eine Serie globaler Katastrophen die Menschheit beinahe auslöschte. Sie verschlief den Tod ihrer Eltern und ihrer großen Liebe Xavier. Sie hätte geweckt werden sollen, aber irgendetwas ging schief. Allein der Zufall riss sie aus ihrem künstlichen Schlummer: Der ebenfalls 16-jährige Brendan entdeckte ihre Stasis-Kapsel im Keller und öffnete sie. Nun muss sich Rose allein in einer fremden Realität zurechtfinden, während jeder ihrer Schritte mit Argusaugen beobachtet wird. Denn sie ist nicht nur das bizarre Dornröschen, über das die Öffentlichkeit tuschelt und tratscht, sie ist auch die Alleinerbin von UniCorp, des gigantischen, interplanetarischen Unternehmensimperiums ihrer Eltern. Verwirrt und einsam klammert sich Rose an Brendan, der ihr seltsam vertraut erscheint. Doch als sie Opfer mehrerer Anschläge wird, muss sie lernen, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen. Sie muss herausfinden, wer ihren Tod will und warum. Haben die Attentate mit UniCorp zu tun? Oder geht es um das Geheimnis ihrer Eltern - das Geheimnis, das sie Jahrzehnte ihres Lebens kostete?

Ich habe Anna Sheehan unterschätzt. Da ich „A Long, Long Sleep" kaufte, als ich noch mitten in meiner Young Adult - Dystopie - Phase steckte, es jedoch erst Jahre nach dem Abklingen dieser Phase las, fürchtete ich, ein Buch in den Händen zu halten, aus dem ich längst herausgewachsen war. Ich habe mich getäuscht. „A Long, Long Sleep" ist keineswegs die kitschige, belanglose Science-Fiction-Adaption von „Dornröschen", die ich erwartet hatte. Es ist ein Buch, das bedeutsame Themen wie Empowerment und das Recht auf Leben in einem plausiblen, futuristischen Setting behandelt. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Rose wirkt zwar zuerst wie das stereotype Fräulein in Nöten mit einem spektakulär unterentwickelten Selbstwertgefühl, doch durch einige Rezensionen, die ich im Vorfeld gelesen hatte, war ich darauf vorbereitet. Deshalb konnte ich mit ihrer Neigung, sich bereits für die lästige Angewohnheit des Atmens zu entschuldigen, umgehen, denn ich wusste, dass es dafür einen Grund gibt. Einen Grund, der mir als äußerst traurig angekündigt wurde. „Traurig" trifft es nicht mal annähernd. Eigentlich gibt es kein Wort, das das Ausmaß des Unrechts, das Rose widerfuhr, adäquat beschreibt und Anna Sheehan gelang es mühelos, mit diesem nachvollziehbaren Szenario sowohl mein Herz als auch meinen Verstand zu berühren. Sie fällt natürlich nicht mit der Tür ins Haus; während Leser_innen Rose in der Gegenwart, die aus unserer Sicht in einer nicht näher definierten Zukunft spielt, bei ihrem schmerzhaften und verwirrenden Anpassungsprozess begleiten, offenbaren diverse Rückblenden Stück für Stück, dass in ihrer Vergangenheit so einiges faul ist. Diese Hinweise sind eng mit ihrer 62 Jahre andauernden Stasis verknüpft, die Rose den Spitznamen Dornröschen einbrachte. Die Stasis ist sicher keine brandneue Idee, aber mir gefiel es außerordentlich, wie ausgewogen Sheehan sowohl positive als auch negative Aspekte, das Potential für Fortschritt und Missbrauch des künstlichen Schlafes beleuchtet, wodurch mich „A Long, Long Sleep" zu weitreichenden Gedankenexperimenten einlud. Ebenso positiv empfand ich ihre Zukunftsvision, die das Ergebnis einer unglücklichen Mischung von Faktoren statt eines einzelnen singulären Ereignisses ist und dadurch ungewöhnlich realitätsnah wirkt. Geht die Welt eines Tages unter, wird es nicht eine Ursache geben, sondern viele. Rose verschlief den Großteil der Katastrophen, die die Menschheit erschütterten und erhält folglich einen Crashkurs der jüngeren Geschichte, was auch mich in den Genuss erfreulich ausführlicher Erklärungen brachte. Wieso sie jemand tot sehen will, muss sie hingegen selbst herausfinden. Ihr ist ein Killer auf den Fersen, der wirklich zutiefst beunruhigend und gruselig ist. Rose ist selbstverständlich verängstigt, am Ende ist diese Konfrontation allerdings der Auslöser für die dringend notwendige Begradigung ihres Selbstbildes. Sie lernt, dass viel mehr in ihr steckt, als sie glaubte und wächst in ihr wahres Ich hinein, was ich ihr von Herzen gönnte.

Manchmal verbergen sich auf meinem SuB unerkannt wahre Schätze. „A Long, Long Sleep" von Anna Sheehan gehört zweifellos dazu. Es ist ein unverhofft tiefsinniger, wohl durchdachter Young Adult - Roman, der schwerwiegende Themen verdaulich anspricht, ohne die gängigen Klischees zu bedienen. Sheehan widersteht sogar der Versuchung, ihre Protagonistin in eine überstürzte Romanze zu verwickeln und schildert stattdessen eindrucksvoll und bewegend, wie Rose langsam eine gesunde Beziehung zu der wichtigsten Person in ihrem Leben aufbaut: Sich selbst. Ich empfand die Lektüre als sehr fesselnd und bin glücklich, dass ich „A Long, Long Sleep" ungeachtet meiner Vorurteile und der Umstände, unter denen es bei mir einzog, eine Chance gab. Wahrscheinlich war es absolut richtig, dass es so lange auf mich warten musste. Denn wie bemerkenswert dieses Buch im Rahmen der Jugendliteratur ist, weiß ich erst jetzt wirklich zu schätzen.


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