Wenn Kunst richtig Spaß macht

Unter dem Generalthema “Ein außergewöhnlicher Tag in Selestat” war das Festival nouvelles zu Gast im FRAC

Teil 1
Einer der ersten warmen Frühsommertage, ein „Bring“ und fünf Performances, das sind, auf den Punkt gebracht, jene Zutaten, aus denen ein interessanter, abwechslungsreicher und sogar lustiger Kunstnachmittag gemixt war. Veranstaltet wurde er gemeinsam von Pôle-Sud, jenem Straßburger Veranstaltungszentrum, das sich auf Jazz und zeitgenössischen Tanz spezialisiert hat und dem FRAC Selestat, dem “Fonds régional des arts contemporains d´Alsace”. Und dies anlässlich des „festival nouvelles“, einem Tanzvestival, das in diesem Jahr sein 20. Bestehen feiern kann. Die Zusammenarbeit der beiden Institutionen ermöglichte dem Publikum einen etwas tieferen Einblick in das zeitgenössische Kunstgeschehen, in welchem sich bildende Kunst und Tanz treffen, überschneiden und ergänzen.

Eingeladen waren Prinz Gholam, Miet Warlop, Nicolas Boulard, Marjorie Burger-Chassignet & Galaad le Goaster mit der CIE Somebody sowie Guillaume Desanges. Eine internationale Besetzung aus Tänzern und zeitgenössischen bildenden Künstlern – oder besser gesagt – aus Kreativen, die dazu übergegangen sind, die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstsparten zu übertreten, aufzuweichen und zu ignorieren. Kunsttheoretiker, die ihre Theorie mit den Mitteln der Körpergeste unterstreichen, bildende Künstler aus dem Fotobereich, die das Publikum mit lebenden Skulpturen konfrontieren, ein Tänzer, der behende einen Stahlsteher im Museum erklimmt,  eine Performancekünstlerin, die ohne Worte in einer Performance mit Bekleidungsstücken einen Krimi entwickelt und ein Künstler, der mit seinem Hang und profunden Kenntnissen zu Wein und Käse Parallelen zwischen Käseerzeugung und Kunstproduktion aufzeigt – das war das breit aufgestellte Programm, dem man Schlag auf Schlag folgen konnte.

Wenn Kunst richtig Spaß macht

Moule 18 von Nicolas Boulard (c) document recu

Mit Nicolas Boulard gelang ein kurzweiliger und überraschender Einstieg mit dem Titel „Specific Cheeses“. Als Vortrag konzipiert, referierte der in Paris lebende Künstler mit bildlichem Anschauungsmaterial, das von seinem laptop auf eine Leinwand projiziert wurde, darüber, dass die Annahme, geometrische Formen seien nicht in organischem Material zu finden, falsch ist. Diese Aussage Sol LeWitts, die er an den Anfang seiner Erläuterungen stellte und mit der Abbildung  einer Skulptur des Minimalkünstlers unterstrich, widerlegte er mit der Abbildung eines „Valencay“, einem Käse in Form einer gekappten Pyramide. Unter allgemeinem Publikumsgelächter erinnerte er dabei auch an die der Legende nach überlieferte Aktion Napoleons, der anlässlich eines Aufenthaltes in Valencay die Spitze des pyramidenförmigen Käses kappte, den man ihm servierte. Wohl aufgrund der bitteren Erinnerungen an seinen Ägyptenfeldzug. Danach prasselte ein geistiges Feuerwerk nach dem anderen auf die Zuhörerinnen und Zuhörer ein: Vergleiche mit Entwürfen aus der Renaissance oder aus der Revolutionsarchitektur von Étienne-Louis bis hin zu Kasimir Malewitschs wurden immer wieder verschiedenen Käseformen entgegengestellt. Der platte Witz jedoch wurde zum Großteil von philosophischen Überlegungen untermauert, die sich mit der Infragestellung tradierter kultureller Überlieferungen und einem radikalen Blickwechsel auf eben diese Traditionen zusammenfassen lässt. Boulards „Specific cheese“ wird – laut Ankündigung auf seiner eigenen Website – demnach dort auch bald nachzulesen sein, was allen Interessierten ans Herz zu legen ist. Bleibt nur noch zu erwähnen, dass dieser Aktion selbstverständlich eine Käsedegustation folgte, bei der – armes Frankreich – ausgerechnet ein englischer Cheddar reüssierte. (Und das in Form eines der Länge nach halbierten Zylinders!)

Die junge flämische Künstlerin Miet Warlop bot im Anschluss ein richtiges Kontrastprogramm. Die auf das elektronische Bildverfahren der 3D-Technik spezialisierte Kreative benötigte jedoch kein Kabel, keinen Bildschirm, keine Beleuchtung und kein Podium, um ihr Werk „Proposition1: Reanimation“ aufzuführen. 1 Tisch, mehrere stapelbare, einfache Stühle und eine große Anzahl von Bekleidungsstücken war alles, was sie zu ihrer Performance benötigte. Nacheinander bekleidete sie die Stühle mit Pullovern, Hemden und Mänteln, aber auch mit Mützen und Schuhen, was dazu führte, dass man sich dadurch tatsächlich Menschen vorstellen konnte, die, zwar abwesend, so dennoch durch ihre Bekleidungsstücke auf den unterschiedlichen Stühlen sichtbar wurden. Mit bedachten Schritten eroberte Miet Warlop anstelle ihrer imaginären Figuren den Raum, bildete Pärchen oder auch Dreierkonstellationen, ließ einen jungen Mann an der neben ihm sitzenden Frau herumfummeln, ein Kind die Hand seines Vaters ergreifen und eine Frau vor einem Mann knien. Welche Handlungen genau den Gesten zugrunde lagen, blieb dabei ganz der Fantasie des Publikums überlassen. Durch abruptes Umstoßen von Sesseln, durch das Umlegen und Bedecken von Kleiderpuppen setzte sie schließlich so schlüssige Handlungen, dass klar wurde, das in Warlops stummer Erzählung Menschen zu Tode kamen. Einer der Großmeister der zeitgenössischen Skulptur, der diese gänzlich neu definierte – Erwin Wurm – hätte seine Freude, wüsste er um diese Weiterentwicklung. Warlops Arbeit, angesiedelt exakt im Dreh- und Angelpunkt zwischen bildender und darstellender Kunst benutzt Wurms Ansatz der „one-minute-sculptures“ weiter. Ihre Kehrtwendung, ja gänzliche Abwendung von den elektronischen Medien zeigt deutlich, dass der Live-act nach wie vor seine Berechtigung hat und, wie in diesem Fall, eine wahrscheinlich größere intellektuelle Herausforderung vom Publikum verlangt als es der Konsum vor einem Bildschirm verlangen würde. Eine auf den ersten Blick einfache Arbeit, die jedoch eine Reihe von interessanten kunsttheoretischen Fragestellungen aufwirft.

Wenn Kunst richtig Spaß macht

Prinz Gholam (c) document recu

Hinter dem undechiffrierbaren Titel “EKOGPMCFAEeD” des Künstlerpaares Prinz Gholam, das von Wolfgang Prinz und Michel Gholam gebildet wird, verbarg sich eine Performance, die, wie bei Miet Warlop, auf den ersten Blick extrem reduziert erschien. Was die gewählten Mittel betrifft, so stimmt das auch. Die beiden Künstler, die sich viele Jahre mit Fotoprojekten beschäftigt haben, in denen sie direkten Bezug zu bereits bestehenden und bekannten Kunstwerken herstellten,  taten während einer guten halben Stunde nichts anderes, als in der leeren Chapelle Madeleine zu zweit Posen einzunehmen, in welchen sie dann minutenlang regungslos verharrten. In der Kapelle selbst waren einige wenige, kleine Objekte wie ein Golfball oder ein Stein auf dem Boden platziert, ohne dass ein erkennbares Muster wahrgenommen werden konnte. Der Posenwechsel, der immer dann erfolgte, wenn die Muskelkräfte der Künstler ein weiteres regungsloses Verharren nicht mehr zuließen, geschah so fließend und ruhig, dass die Kontemplation, die sich während der Performance allmählich einstellte und steigerte, nie gestört wurde. Prinz Gholams Posen sind wohldurchdacht, nicht aus der spontanen Eingebung geboren, sondern in einem langen Prozess beinahe choreografisch erarbeitet. Ein sensibilisiertes Publikum kann während der Performance  erfahren, erspüren und auch sehen, dass diese Posen mit vielerlei Bezügen aufwarten können. Sowohl kunsthistorischen als auch ganz persönlichen. Aber auch Menschen, die keinerlei kunsthistorische Vorbildung haben, können ihre Gedanken fließen lassen. Bei der Performance in Selestat konnte gut beobachtet werden, wie gerade dieser unbeschwerte Zugang bei manchen zur völligen Entspannung führte. Art = Meditation, so könnte eine Gleichung aufgestellt werden, die ganz im Sinne des Künstlerduos funktioniert und von ihnen als Angebot gemacht wird, das man annehmen kann, aber nicht muss. So wie sie jegliche Interpretation völlig offen stehen lassen. Dennoch – antike Skulpturen oder auch Rodin lassen grüßen, wenn Prinz Gholam sich in Pose stellen. Der Raum, in dem sie sich mit ihrem Werk präsentieren, die lange Zeit, die sie dafür verwenden, um bewegungslos zu verharren bilden eine Qualität, die so nur während der Teilnahme dieser Aktion erfahrbar wird. Diese Gemengelage aus Zeit, Raum und den dahinter liegenden Bezügen, die je nach Kenntnisstand des Publikums bewusst oder nur unbewusst wahrgenommen werden können,  stellt unser Kunstverständnis infrage, ohne auch nur mit einem gesprochenen oder geschriebenen Wort aufwarten zu müssen. Neben kunsthistorischen Bezügen sind es aber auch Posen, die wie aus einem Filmstill entnommen scheinen. So wechselten ästhetische Posen, ausgefeilt bis in die Finger- und Zehenspitzen mit solchen, die wie auf Zuruf entstehen können. Dass auch das Verhältnis zwischen Unterordnung und Machtausübung, zwischen Vertrautheit und Befremdung, wie es in jeder Beziehung vorkommt, angesprochen – besser – vorgeführt wurde, ergänzte die angesprochenen Metaebenen um eine ganz persönliche  Komponente der beiden Künstler. Gerade diese unterschiedlichen und mehrschichtigen Bedeutungsebenen auf der einen Seite, sowie die performativ reduzierte auf der anderen, lässt “EKOGPMCFAEeD” als ein Werk wahrnehmen, das tief eingebunden ist in jene postmoderne Strömung, die Statements zur Kunstgeschichte abgibt, sich zugleich aber wieder, und das ist gerade das Phänomen, auch ein kleines Stück unbeschriebenes Kunstfeld erobert.


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