Es gibt unzählige Dinge, die gibt es nur, weil es ein Wort dafür gibt.
Zum Beispiel die “Mode” oder der “Zeitgeist“. Klar, man beobachtet, dass Menschen manchmal ähnliche Kleider anziehen oder dass sie dasselbe tun. Weshalb? Man erfindet ein Wort, und dann ist es auf einen Schlag erklärt und man kann darüber Zeitschriften erstellen oder ein Produkt (zB. Kleider) jedes Jahr neu verkaufen.
Manchmal ist es ein Wort, das unser Weltbild und die Lebensgestaltung prägt. Zum Beispiel die “Hölle” beim konservativen Gläubigen, oder das “Jenseits” den Esoteriker. Die “Erleuchtung” fokussiert fernöstlich orientierte und der “Wotan” die neuen Heiden. All die Worte bezeichnen in unserem realen Leben etwas, das nur existiert, weil wir ein Wort dafür gefunden haben.
Selbst bei den Gefühlen ist es so. Die Gefühle, die wir benennen können, haben wir öfter (oder erkennen wir sofort) gegenüber den Gefühlen, für die wir keine Begriffe (mehr) haben. So sind Freude, Trauer oder Wut sehr geläufige Gefühle, die wir von klein auf zu benennen lernen.
Aber bei uns ist zum Beispiel das Japanischen Wabi-Sabi-Gefühl fast unbekannt. Das ist ein melancholisches Glücksgefühl bei etwas sehr schönem, aus dem die Vergänglichkeit spricht (zB einem Treibholz am Strand). Dieses ästhetische Gefühl Spiegelt sich in vielen Haikus wieder. Sobald wir ein solches Gefühl kennen lernen können wir es auch kultivieren, mit einem Begriff versehen und erleben.
So erschaffen wir unsere Wirklichkeit mit den Begriffen, die wir haben.
Je grösser unser Wortschatz, umso vielfältiger unsere Erlebnisfähigkeit.
Und je mehr wir die Worte für den Beweis der Wirklichkeit halten, umso eingeschränkter unsere Sicht.
Kennst Du weitere Dinge, die nur existieren, weil es ein Wort dafür gibt?
Hast Du Dir auch schon überlegt, wie Worte Wirklichkeit erschaffen?
Bild: Jenseitig / 66cm x 46cm / Acryl und Spachtelmasse auf Aquarellpapier / 2006, Nr.06-043
Japanisch Wabi-Sabi: ästhetisches Konzept
wabi = einsam, elend
sabi = alt
