Vergessen nach der Waldweihnacht

„Hallo, guten Abend Hänschen, wie war’s denn bei der Waldweihnacht?“ Draußen ist es schon ganz dunkel und es schneit ein wenig. Hans erzählt mit Begeisterung von der Pfadfinderfeier, von den Liedern und der schönen Geschichte, die vorgelesen wurde … er erzählt vom lichterfüllten Tannenbaum, dort in der Waldlichtung. „Und das Beste, Mama, wir haben ein Geschenk bekommen!“ Aber wie er das Geschenk aus der Tragtasche ziehen will, wird er ganz bleich: seine Tasche ist nicht da, wo ist bloß die Tasche? Hat er sie bei der Tür hingeworfen? Und plötzlich erinnert er sich, dass er die Tasche an einen Ast gehängt hatte, und dann hat er sie … vergessen.

Nach kurzer und heftiger Diskussion im Familienkreis sagt der Papa von Hans plötzlich: „Komm, wir gehen sie holen.“ „Jetzt? In der Nacht? Dort oben im Wald?“ Genau. Die beiden holen die stärksten Taschenlampen im Haus, Papa hat eine mit acht Batterien im Auto, sie packen sich warm ein und fahren los. „Wo war’s denn?“ fragt Papa. Den kleine Parkplatz am Waldrand bei der alten Scheune finden sie bald. Der ist jetzt ganz leer und wieder ganz zugeschneit. Hans und sein Vater binden sich den großen und den kleinen Schal um den Hals und stapfen los, auf dem Holzweg in den dunklen Wald hinein. „Da vorne sind wir links gegangen“, sagt Hans etwas ängstlich. Seine Stimme klingt so komisch im verschneiten Wald. Das war vor einer Stunde ganz anders, mit den vielen andern Kindern, der Gitarre und den Liedern.

„Wir sind gleich da“, beginnt Hänschen wieder, „vom Wegweiser aus konnten wir schon die Lichter des Baumes sehen…“ und da bleibt Hans abrupt stehen. „Schau mal Papa, “ flüstert Hans, „Schau mal, man sieht die Lichter vom Baum dort.“ Vater braucht einen Moment, bis er begreift. Die Weihnachtsfeier ist ja längst vorbei, die Kerzen sind runtergebrannt, es konnte keine Lichter haben dort. Und doch sieht man einen erleuchtete Tanne durch die Bäume. Er nimmt die Hand von Hänschen, und sie schleichen ganz leise näher. Bald sehen sie etwas Eigenartiges.

Um den Weihnachtsbaum sind Schneemänner versammelt, mit Rübennasen und Kochtopfhüten, mit Besen und einige tragen sogar einen Schal. Auch Schneefrauen sind dabei. Ein Schneemann hat eine Eisgitarre und sagt mit einer eigenartigen Stimme „Dann singen wir noch ein Lied.“ Und schon erklingt aus vielen Schneekehlen ein Weihnachtslied. Hans kann es nicht glauben. „Das gibt es doch sonst nur im Traum“ flüstert er, und blickt seinen Vater an. Aber der kann auch nicht helfen: er steht mit offenem Mund da und versucht zu verstehen, was er hier sieht. Plötzlich erkennt Hans den Schneemann aus ihrem Garten, den, welcher er heute Morgen gemacht hat, seinen Schneemann, den Pepe.

Hans reißt sich von der Hand seines Vaters los und rennt hin, zwischen den singenden Schneemännern durch zu Pepe. Er stellt sich neben Pepe und nimmt seine Kalte Hand, die aus einem Zweig besteht, den Hans heute Morgen vom Lavendelstock abgezwickt hatte. „Hallo Pepe“, flüstert Hans seinem Freund zu, „Hallo Hans,“ antwortet der Schneemann, „schön, dass du auch zu unserer Weihnachtsfeier gekommen bist.“ Nach dem Lied las der dicke Schneemann vom Pausenhof der Schule eine Geschichte vor. Wahrscheinlich konnte der am besten Vorlesen von allen, weil er auf einem Schulhof stand. Und danach gab’s eine kleine Erfrischung – besonders gut gekühlten Eistee. Und dann machen sich die ganzen Schneemänner und  -frauen auf den Heimweg. Auch Hans geht zurück zu seinem Papa, der immer noch unbeweglich mit Offenem Mund dasteht. Zum zweiten Mal sind die Kerzen abgebrannt, zum zweiten Mal freute sich Hans auf die warme Stube zuhause.

Und zum Glück kommt ihm beim Wegweiser in den Sinn, warum sie nochmals hierhergekommen sind. Während die Schneemänner langsam im Dunkel verschwinden, gehen sie zum dritten Mal zum Waldweihnachtsbaum zurück. Und dort ist ja auch seine Tasche, und das Geschenk ist auch noch drin. Er schwingt sie über die Schulter und bald sind sie auch schon beim Parkplatz.

Im Scheinwerferlicht sehen sie auf der Straße noch eigenartige Spuren im Schnee, die nicht von Füssen sein können.


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