Sonderaktion 1005 • Vertuschung der Shoah

Für die fürchterlichsten Verbrechen benutzten die Nationalsozialisten verharmlosende Begriffe um ihr Handeln im entsprechenden Schriftverkehr zu verschleiern. So wurde das Wort ‚Aktion’ mit entsprechender Kennzeichnung gern verwandt; so auch für die Aktion 1005, auch Sonderaktion 1005 oder Enterdungsaktion genannt. In der historischen Aufarbeitung finden sich alle drei Begriffe, die aber immer die gleichen Begebenheiten bezeichnen. Leider ist anzumerken, dass die historische Forschung in Hinsicht auf die Aktion 1005 noch lange nicht abgeschlossen ist, die Frage muss aufgeworfen werden, ob sie es denn je sein wird. Es wurde versäumt die wahrlich sehr wenigen Überlebenden dieser Aktion zu befragen, und die Aussagen von Angeklagten und Mittätern in den wenigen Prozessen die es dahingehend gab, sind stark zu hinterfragen. So sind zwar die Vorgehensweisen der Aktion 1005 bekannt und deren Fakten auch entsprechend recherchiert, doch kann das Ausmaß der Maßnahmen nicht genau dargestellt werden, da es hinsichtlich vieler Orte noch keine gesicherten Daten, beziehungsweise belegbare Beweise gibt. Doch um ein Schlaglicht auf diese Vorgänge zu werfen, wie in diesem Artikel, reichen die Fakten, die bis heute stichhaltig vorhanden sind aus. Sollten Vermutungen geäußert werden, so werden sie für den Leser hier deutlich werden.

Verzweiflung von Koska Andrej

Unter dem Decknamen der ‚Aktion 1005’, deren Ursprung das Aktenzeichen 1005 hatte, in dem die Korrespondenz zwischen den Gestapo-Chef  Heinrich Müller, seines Zeichens SS-Gruppenführer, und dem im Außenministerium tätigen Martin Luther verlief, ging es um die Massengräber, aus denen übel riechende Verwesungsgasen entwichen und deren Erdkrusten aufbrachen, weil sich die toten Leiber aufblähten. Hierzu sollten die Massengräber geöffnet und die Leichen verbrannt werden, dazu sollten jüdische Häftlinge für die Arbeit herangezogen werden, zur Bewachung sollte ein ‚Sonderkommando 1005’ gebildet werden. Die erste Planung ging auf das Frühjahr 1942 zurück, dringlicher wurde die Situation im äußerst heißen Sommer 1942, da immer mehr Massengräber aufbrachen. Der Kommandoführer des Einsatzkommandos 4a, SS-Standartenführer Paul Blobel wurde zu einem Treffen in das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin einbestellt, hier bekam er den Befehl für die Aktion 1005. Heinrich Müller gab ihm die entsprechenden Instruktionen, ob Bobel den Befehl direkt von Heinrich Himmler bekam, ist nicht belegt, dass dieser um die Aktion wusste, beweisen spätere Schriftstücke eingehend. Drei Gründe waren dabei entscheidend:
1. Den Alliierten waren die Massenmorde zu Ohren gekommen und nicht alle glaubten an ein permanentes Kriegsglück der Deutschen Wehrmacht.  
2. In Chelmno, Auschwitz-Birkenau, den Lagern der Aktion Reinhardt und anderen Plätzen, in denen die verschiedenen Einsatzgruppen ihr Unwesen trieben, lagen die Leichen in großen Massengräbern. Der grauenvolle Geruch lockte Millionen von Fliegen an, wodurch das Leben in den umliegenden Siedlungen sehr erschwert wurde. Örtliche Behörden fürchteten auch eine Vergiftung des Grundwassers.
3. Die Nazis fürchteten, dass künftige Generationen die Massenmorde nicht verstehen würden. 

Knochenmühle

Die Aktion wurde in den Jahren 1942–1944 unter Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, vorwiegend in der Ukraine und in Polen durchgeführt. Paul Bobel leitete die Aktion und verbrachte den Sommer 1942 im Vernichtungslager Kulmhof um verschiedene Methoden zur Beseitigung der Leichenmassen auszuprobieren. Es wurde versucht die Leichen mittels Sprengstoff zu beseitigen, was misslang. Auch errichtete Verbrennungsöfen konnten die riesigen Kapazitäten nicht aufnehmen. So wurde ein Verbrennungsverfahren entwickelt, das sich als wirksam erwies: Über ausgehobenen Gruben wurden Roste aus Eisenbahnschienen gelegt, darauf wurden die Leichen gestapelt, dazwischen immer wieder trockenes Reisig, bis der Leichenberg eine gewisse Höhe hatte um dann angezündet zu werden. Fielen die Unteren Reihen verbrannt in die Gruben, wurden oben neue ‚Lagen’ von Ermordeten gestapelt und mit Brandbeschleuniger übergossen. Die Verbrennungsrückstände wurden zermahlen, dafür wurde eine Knochenmühle (s. Bild) herbeigeholt, die auch die letzten Beweise für die Massenmorde beseitigen sollten. „Die Asche fiel während des ohne Unterbrechung fortgesetzten Verbrennens durch die Roste und wurde laufend entfernt und zerstampft. Das Aschenmehl wurde mittels Lastwagen nach der Weichsel gefahren und dort schaufelweise in die Strömung geworfen, wo es sofort abtrieb und sich auflöste.“ So der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, in seinen Aussagen nach dem Krieg. In Chelmno, also Kulmhof, und in den Lagern der Aktion Reinhardt, also in Belzec, Sobibór und Treblinka wurde die Asche nicht zerstampft, sondern mittels der Knochenmühle zu feinem ‚Mehl’ verarbeitet. Solche Mühlen wurden von der Ghettoverwaltung in Lodz von einer Hamburger Firma geordert. In diesen Lagern wurde die ‚Mehl-Asche’ in Gruben gekippt und wenn diese voll waren, wurde auf ihnen Lupinen oder Bäume gepflanzt. „Die Arbeiten selbst wurden durch Judenkommandos durchgeführt, die nach Beendigung des Abschnitts erschossen wurden. (Das) KL Auschwitz hatte laufend Juden für das Kommando 1005 zur Verfügung zu stellen.“ Rudolf Höß, aus den bereits erwähnten Aussagen nach dem Krieg. Nachdem sich eine ‚Methode’ der Leichenbeseitigung als die ‚Beste’ herauskristallisiert hatte, stelle Bobel im Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska das Sonderkommando 1005 zusammen. Dieses Sonderkommandos, die die arbeitenden Juden zu beaufsichtigen hatten, um sie nach den jeweiligen abgeschlossenen ‚Aktionen’ zu töten, bestand aus Einheiten des Sicherheitsdienstes und der Ordnungspolizei. Diese Kräfte wussten ganz genau, wo sich gerade in der Ukraine und in Teilen Weißrusslands riesige Massengräber befanden, denn sie hatten diese selbst gefüllt, bei Massenerschießungen. Auch diese sollten geöffnet werden und wie beschrieben beseitigt werden. Nachdem die Aktion 1005 in Janowska angelaufen war, fuhr Blobel im Juli 1943 nach Kiew, um von dort aus die Massengräber im Operationsgebiet der Einsatzgruppen C und D beseitigen zu lassen. In Kiew setzte er ein ‚Kommando 1005 A’ ein, das aus zehn Sicherheitsdienst-Angehörigen und 60 Ordnungspolizisten bestand. In Dnepropetrowsk stellte er ein ‚Kommando 1005 B’ auf. Beide begannen mit der Spurenverwischung von Massengräbern, hier wurden auch Bagger zum Transport der Leichen auf die Roste eingesetzt.  Nach Abschluss der Arbeit wurden die Arbeitskommandos erschossen; in einigen Fällen verwendeten die Täter auch Gaswagen. Als die militärische Lage die Beseitigung von Massengräbern in der Ukraine nicht mehr zuließ, wurden die beiden Kommandos 1005 A und B im April 1944 nach Riga und Salaspils verlegt. Blobel sagte in einem der Nürnberger Prozesse, dem Einsatzgruppen-Prozess, aus und wurde zum Tode verurteilt. In einer eidesstattlichen Erklärung bezeugte er gegenüber dem amerikanischen Militärgericht, dass sich seine Aufgabe befehlsgemäß über das ganze Gebiet der Einsatzgruppen erstrecken sollte, er jedoch wegen des deutschen Rückzuges aus der Sowjetunion nicht zur Gesamtdurchführung seines Befehls gekommen sei. Im Juni 1943 begannen 126 Männer des Sonderkommandos 1005 die Leichen in Piaski und im Distrikt Lviv auszugraben und zu verbrennen. Die Aufsicht führenden SS-Offiziere waren der Sicherheitspolizist und SS-Scharführer Johann Rauch und der Sicherheitspolizist Oberwachtmeister Kepick. Die ausgegrabenen Leichen wurden auf Scheiterhaufen gestapelt, jeder fasste 1.200-1.600 Leichen. Mit Teer und Benzin wurden die Scheiterhaufen in Brand gesteckt. Asche und verbliebene Knochen wurden durchgesiebt, um noch vorhandenes Gold zu finden. Nach Augenzeugenberichten fand das ‚Enterdungskommando’ während der fünfmonatigen Arbeit etwa 110 kg Gold, das nach Deutschland verschickt wurde. Die Asche vergrub man oder verstreute sie auf den umliegenden Feldern. Größere Knochenreste wurden in einer Knochenmühle zermahlen, beaufsichtigt vom Sicherheitspolizisten Scharführer Elitko. Diese Maschine blieb nach dem Rückzug der Deutschen erhalten und wurde als Beweismittel in Kriegsverbrecherprozessen in der UdSSR verwendet. Leon Wells (damals Wieliczker) war Mitglied dieses Kommandos und beschrieb die Vorgehensweise im Prozess gegen Eichmann: "Wir suchten alle Massengräber der letzten drei Jahre, holten die Leichen heraus, schichteten sie auf und verbrannten die Körper. Wir zermahlten die Knochen und suchten in der Asche die Wertsachen wie Goldzähne, Ringe, usw. Nach Zermahlen der Knochen warfen wir normalerweise die Asche in die Luft, so dass sie verschwand, bedeckten die Gräber mit Erde und säten Pflanzen aus, so dass niemand erkennen konnte, dass da mal Gräber waren. Zusätzlich brachte man neue Leute, neue Opfer; sie wurden dort erschossen, unbekleidet, wir mussten diese Leichen auch verbrennen. Als am Dienstag, dem 29. Juni 1943, 275 Leute ankamen, wurden diese in Gruppen von 25 mit einem Maschinengewehr erschossen. Nachdem die ersten 25 in die Grube gegangen und erschossen worden sind, folgten die nächsten 25. Die 275 Erschossenen zeigten uns etwas, was wir schon vorher festgestellt hatten: Es gab einige Gräber, wo es schien, als ob die Leute gar nicht erschossen worden waren… Die Münder waren offen, die Zungen herausgestreckt. Sie sahen aus, als ob sie erstickt waren. Das zeigte uns, dass diese Leute lebendig begraben worden sind. Als wir sie verbrannten, merkten wir, dass sie teilweise nur leicht verletzt worden waren von den MG-Salven. Einige waren nur leicht am Arm verletzt, fielen nieder und wurden unter anderen Körpern begraben. So kam es vor, dass diese Nacht, als wir einen Körper ins Feuer warfen, die Person im letzten Moment anfing zu schreien, laut brüllend, weil noch am Leben… Das Kommando war in verschiedene Abteilungen unterteilt. Da gab es, am Anfang einen, später zwei, ‚Brandmeister’, zwei ‚Zähler’, einen ‚Aschenkommandeur’, ‚Träger’, ‚Zieher’ und auch ‚Reiniger’. Die ‚Brandmeister’ waren für das Feuer zuständig. Sie passten auf, dass das Feuer der Leichenpyramiden (manchmal bis zu 2.000 Leichen) nicht ausging. Die ‚Zähler’ zählten, wie viele Leichen verbrannt wurden. Die Zahlen verglichen sie mit den Originallisten. Es gab genaue Listen über die Ermordeten. Deshalb suchten wir manchmal stundenlang nach einer oder mehreren vergrabenen Leichen. Die Statistik wurde mit Bleistift und Papier geführt, es war jedem verboten, die Zahl zu erwähnen, und der ‚Zähler’ hatte sie zu vergessen. Wenn der Hauptscharführer oder Untersturmführer am nächsten Morgen fragte, wie viele gestern verbrannt wurden, durfte der ‚Zähler’ es nicht sagen. Er musste sagen, dass er es vergessen hat. Wir mussten beim Gang zur Arbeit Lieder singen. Der ‚Brandmeister’ marschierte voran, angezogen wie ein Teufel. Er hatte eine besondere Uniform, trug einen Haken in der Hand, und wir mussten singend hinter ihm marschieren. Später begleitete uns auch ein Orchester zur Arbeit. Man sagte uns, dass wir nach 8 oder 10 Tagen ausgetauscht werden würden. Wir würden erschossen und eine andere Gruppe käme. Deshalb war es uns verboten zu sagen, dass wir länger als 6, 8, bis zu 8 oder 10 Tage und nicht länger da waren, wenn SD-Leute kamen und fragten…" Die Öffnung der Leichengruben in den Vernichtungslagern unterstand nicht mehr Paul Bobel direkt, dort war der Leiter aller Vernichtungslager der Aktion Reinhardt, Christian Wirth zuständig, doch wurde auch hier die Aktion 1005 wie beschrieben durchgeführt.

Zeichnung Leichenberge

In Prozessen in denen es ausschließlich um die Aktion 1005 ging, konnten die Angeklagten ‚nur’ die Ermordung er zur Zwangsarbeit erniedrigten Juden zur Last legen, da das öffnen der Leichengruben juristisch nur eine Störung der Totenruhe war. So erhielten die einzelnen Täter höchsten Strafen zwischen zwei und vier Jahren, die meisten blieben unbehelligt.

Weiterlesen: 

➼ Aktion Reinhardt • Industrielle Menschen-Vernichtung

➼ Die Vernichtungsstätte Stutthof • Das Tor des Todes

➼ Vernichtung in Treblinka • Ort des unvorstellbaren Grauens

➼ Das Vernichtungslager Belzec in Bełżec

➼ Sobibór · Ort der Menschen-Vernichtung

➼ Kamenez-Podolsk • Erster Massenmord an 23 000 Juden

➼ Das Massaker von Kraljevo und Kragujevac in Serbien

➼ SS-Sondereinheit Dirlewanger • Perversion des Verbrechens

darüber hinaus:

➼ Ein SS-Mörder über die Ermordung Tausender Juden

Bilder: wikimedia.org


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