Mittwochs-Disco in Mendoza

Bevor wir in die Natur, nach San Rafael, flüchteten.

Nach Weißwein und Bier entkorkten wir das zweite Bier. Nicht nur Sebastian, auch mir, imponierten die bildhübschen Niederländerinnen, die mit uns zu Abend aßen: Am nächsten Morgen wollten sie, quer über die argentinische Pampa, ins mehr als 1.000 km entfernte Buenos Aires. Per Anhalter. Beide sind 22. Es wäre auch nicht das erste Mal. Irgendwann packten sie ihre Koffer. Wir öffneten das dritte Bier. Dann leerten wir den Rest Cabernet Sauvignon. Von mir aus hätte der Abend nun zu Ende sein können, aber Sebastian wollte es anders – später heulte er herum, wo ich mich denn wieder herum getrieben hätte und warf mir vor, dass er ganz alleine, ohne Spanisch und Fremdenführer nach Hause finden musste.

Nun, wir schlurften los, die Straße zum Zentrum, bis ein anderer Straßenname den alten Straßennamen ablöste, und ein noch neuerer Straßenname den ehemals Neuen ablöste. Obwohl es Mittwoch war und Mendoza tendenziell eine kleine Stadt ist, pulsierte das Nachtleben. Cafés und Restaurants waren mancherorts bis auf den letzten Platz besetzt – Argentinier essen spät, obwohl auch sie um Acht auf der Matte stehen müssen. Wir fragten uns durch, fanden aber keine Kneipe, dafür drei durch die Straße rollende Eichenfässer. Wir blieben an einer Bar hängen. Sebastian und ich tranken argentinisches Schwarz-Bier. Die rothaarige Engländerin packte ihren Rotwein aus, denn sie tagsüber bei Mr. Hugo in eine Plastikflasche abgefüllt hat. Ihre Freundinnen verschwanden alsbald – sie wären müde von der Weintour – wir blieben zu dritt. Die Engländerin wollte zu Electro tanzen, ich und Sebastian wünschten Rock. Aber das Leben ist kein Ponyhof – wir landeten in …

Blöde Bässe wummerten auf die Straße. Apeteco stand da in leuchtenden Lettern. Absperrungen bildeten eine Gasse bis in den Eingang des Clubs – einem Laufstall für Nutztiere gleich. Die Pforten der Zerstreuung wurden von Gestalten bewacht, die ihrem Äußeren nach eher in zoologischen Gärten anzutreffen sind. Ihre Oberarme hatten den Umfang von Sebastians Oberschenkel und waren somit dicker als meine – Respekt. Einige trugen Sonnenbrillen. Ich empfand das Mondlicht als nicht sonderlich grell. Sie trugen Schwarz. Bedenken. ›Und was machen wir jetzt?‹ Dann platzten zwei leicht bekleidete Argumente aus der Tür. Sie boten uns Zigaretten an. Wir sollten unbedingt rein, es wär’ super-geil und gleich gäb’s ‘n Live-Konzert. Ihre Kleider waren knapp, die Absätze hoch und die Schönere der beiden – ein Leberfleck blühte oberhalb ihrer Lippen – hatte weinrote Strähnen in ihren rabenschwarzen Locken. Für den Eintritt bekamen wir Fernet-Branca mit Cola – in Argentinien ein beliebter Longdrink. Bevor der Strohhalm die Lippen der englischen Furie gefunden hatte, war mein Glas bereits leer. Ich schwitze, auf Sebastian wartend, der noch immer nach mit dem richtigen Halten des Glases beschäftigt war. Alle tanzten. Niemand stand – nur ich und Sebastian. Nein, die Musik war nicht ernst: Sie war ordinär, billig, anspruchslos – in jeglicher Hinsicht. Aber sie vermochte die Menge zu bewegen, sie zu belustigen, sie buchstäblich vom allem zu befreien, sie vergessen zu lassen oder sie sich zu erinnern zu lassen. Ich wurde als Kind im Spielzeugfachgeschäft verzaubert: Einmal mehr staunte ich über diese Schönheit, diese betörende Anmut der Argentinierinnen (›So was kenne ich nur aus dem Fernsehen‹ Zit.: Anonym): Sie tragen ihr Haar lang, ellenlang und offen. Es ist schwarz wie Fernet-Branca, und in berauschenden Wellen fließt es über Ohren, Wangen und Hals auf ihre nackten blassen Schultern hinab. In manches Haar hat der Kummer eine graue Strähne eingeflochten. In diesen Augen schimmern kalte Bergseen, immergrüne Wiesen und braune wärmende Erde, die alle von dunklen Augenbrauen umwölbt werden. Schön ist, was selten ist – und einige dieser Frauen färben sich ihr Haar. Die Pappbecher zitterten auf den Boxen, und die schellen Blicke der Argentinierinnen zielten auf zwei blonde Europäerinnen, die Sebastians hündischen Blick in Ketten legten. Sebastian mag dunkle Behaarung auf Armen nicht, aber ich durchtauchte gerade einen kalten Bergsee, in dem sich traurige Wolken widerspiegeln. Lippen, warm und voll, in die man sich, wie in ein aufgewärmtes Bett zu kuscheln wünschte. Und manch langer Blick entstand aus dem Versuch heraus, etwas Ungewohntes, Unmögliches zu begreifen.

Ich verstand ihre Körpersprache nicht. Sie schauten, schauten herausfordernd, bis ich erwiderte – aber sobald mein Blick einen Wimpernschlag ausließ, versteckten sie sich hinter selbigem oder ihren Freundinnen. Was sehen diese jungen Frauen, wenn sie in den Spiegel schauen: Sich selbst? Die anderen? Nur die? Diese Frauen buhlen, konkurrieren: Kurze Röcke, die die Beine verlängern, enge Kleider, die die Taille betonen, Büstenhalter, die lügen, Absatzschuhe, die größer machen und den Arsch knackiger. Vielleicht verstecken sie auch was sie nicht haben …

Auf der Männertoilette wurden ich und Sebastian mit argentinischem Humor konfrontiert. Auf unsere Antwort, wir wären Deutsche, fragte uns ein betrunkener Gast, ob wir Nazis wären. Für mich war es an diesem Abend die zweite Anmache dieser Art. Ich behaupte ›Ja! Alle Deutschen sind es.‹ Der Argentinier wirkte irritiert, fragt dann mehrfach nach und mokierte, dass er das nicht gutheiße. Er sagte das ohne Ironie. Ich ignorierte ihn.

Es wurde leer. Meine Flasche habe ich längst verloren gehabt. Sebastian und die Engländerin auch. Ich ging.

Vor dem Club lag ein junger Mann. Winselnd und im Staub. Sein Arm wurde von einem Muskel in die Höhe verrenkt. Das Knie des Muskels lastete dabei auf dem Rücken des am Boden Liegenden. Auf meinem Rückweg ins Gästehaus spielte ich Luftgitarre. Zwei Prostituierte glotzen mich an. Ich fiel vor ihnen auf die Knie, wälze mich im Staub und ging in ein Endlos-Solo über. Sie schweigen. Ich richte mich erst wieder auf, als mein Kopf gegen einen Mülleimer schlug.


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