Hocken statt Sitzen!

Die Evolutionsbiologie der menschlichen Inaktivität

Es ist eine neue Bewegungs-Studie bei einem Naturvolk in Afrika, bei den Hadza, erschienen (1-4). Die Hadza werden nach vielen Parametern von der Wissenschaft als sehr gesunde Menschen erachtet. Sie jagen oder sammeln etwa eine gute Stunde pro Tag, sind also in der Zeit gut in Bewegung. Ansonsten sitzen sie herum und schwatzen miteinander. Sie sind also etwa dieselbe Zeit am Tag "inaktiv" wie wir das sind, die wir uns zunehmend mehr auf die museintensive Lebensweise unserer Jäger-Sammler-Vorfahren zurück bewegen. Und deshalb fragt sich, warum sie dennoch so viel gesünder sind als wir.


Die Studie spricht - schon in ihrem Titel - sehr sinnig von der "Evolutionsbiologie der menschlichen Inaktivität" ("evolutionary biology of human inactivity"). Der gedankliche Hintergrund ist, daß Inaktivität und Ruhepausen im Tierreich von der Evolution im allgemeinen eigentlich als vorteilhaft "bewertet" werden, zumindest aber als nicht nachteilig. (Dies ist im übrigen ein Umstand, dem sogar von manchen Philosophen des 20. Jahrhhunderts eine keineswegs unbeträchtliche Bedeutung zugesprochen worden ist.)

Und so ist zu fragen, warum das die Evolution gegenüber der modernen menschlichen Inaktität nicht tut. Die Forscher sagen nun, daß der Mensch als Jäger und Sammler seine "Inaktivität" vorwiegend hockend oder kniend verbracht hat, bzw. verbringt. Und die Studie sagt, daß die Menschen dabei mehr Muskelbewegung haben als wir, wenn wir auf einem Stuhl oder einem Sofa sitzen (1-4).

Noch während des Lesens von Wissenschaftsberichten über diese Studie (2-4) ist man versucht, den fast schon vergessenenern Gymnastikball als Sitzgelegenheit herbei zu holen, bzw. den Schaukelhocker, den mancher rückengeplagte Mensch sich schon angeschafft haben mag. Aber eigentlich spricht diese Studie ja von etwas ganz anderem, sie spricht von "auf dem Boden Hocken".

Das heißt: Lagerfeuer-Romantik am Schreibtisch ist angesagt. Hocken, aktiv bleiben. Vielleicht auch "Palaeochair" benutzen. Oder - wie man auch sagen könnte: Sitzen üben wie die Asiaten. Was für ein Unsinn, daß die Asiaten in den letzten hundert Jahren überhaupt westliche Stühle eingeführt haben. Wer so sitzt, wie unsere Vorfahren am Lagerfeuer, hat seine Bein- und sonstige Muskulatur um 20 bis 30 % mehr aktiviert als er dies auf Stühlen tut.

Weg also mit den Stühlen. Aus Asien ist das ja schon lang bekannt, Sichworte: "Asian Squat" ( Wiki), Asiatische oder "Tiefe" Hocke. Auch vom japanischen "Fersensitz" wird gesprochen ("Seiza") ( Wiki).

Allerdings sollten gerade auch diese Hocke und dieser Fersensitz nicht übertrieben werden: Asiaten, die in dieser Ruhehaltung länger als eine Stunde ihres Tages zubringen, haben in höherem Alter deutlich mehr Knieprobleme. ("There is increased incidence of knee osteoarthritis among squatters who squat for hours a day for many years.") Es gibt viele Asiaten, die das deutlich länger als eine Stunde am Tag machen, wobei das Frauen in Asien auch häufiger machen als Männer. Und solche Menschen haben deutlich mehr Knieprobleme - nach einer Studie aus dem Jahr 2007.

Aber immerhin gibt es ja noch zahlreiche andere Sitzformen auf dem Boden als diese Hocke. Der Autor dieser Zeilen hat also gleich seinen Schreibttisch auf Bodenhöhe erniedrigt und Tage der Computerarbeit auf dem Boden verbracht. (Die Zeit des Homeoffice während des Lockdowns im April war dafür sehr geeignet.) Nach dem ersten ganzen Tag, den er auf dem Boden verbracht hat, hat er Muskelkater in Körperregionen gehabt, wie er es sonst noch nie gehabt hat: Also in der Tat, Muskeln werden dabei aktiviert!

Runter auf den Boden mit Euch, also, ihr Zivilisationsmenschen. Duckt euch! Kauert euch hin! Wer das praktisch übt, wird merken, daß selbst das Denken in Kauerposition ein anderes sein mag. Der Autor dieser Zeilen möchte jedenfalls von sich behaupten, daß er im Sitzen auf einem Stuhl klarer und stringenter denken und forschen kann als in Kauerposition. Aber es gibt sicherlich noch mancherlei Gründe, all diesen Zusammenhängen weiter nachzugehen. Denn womöglich ist letzteres ja auch nur eine Frage der Gewohnheit.

  1. Sitting, squatting, and the evolutionary biology of human inactivity David A. Raichlen, Herman Pontzer, Theodore W. Zderic, Jacob A. Harris, Audax Z. P. Mabulla, Marc T. Hamilton, Brian M. Wood Proceedings of the National Academy of Sciences Mar 2020, 117 (13) 7115-7121; first published March 9, 2020, DOI: 10.1073/pnas.1911868117, https://www.pnas.org/content/117/13/7115.abstract?etoc
  2. https://www.spektrum.de/news/lieber-hocken-statt-sitzen/1711786
  3. https://www.welt.de/kmpkt/article206589271/Trotzdem-fit-Jaeger-und-Sammler-sitzen-so-viel-herum-wie-wir-aber-anders.html
  4. https://www.fitbook.de/health/statt-sitzen-warum-wir-alle-haeufiger-hocken-sollten

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