Des Fleißigen Lohn

WENN MAN DIE GESCHICHTE DES KOMMUNISMUS ZURÜCK VERFOLGT, KÖNNTE MAN ZU DEM SCHLUSS KOMMEN, DASS DAS WORT BETRUG EINE ERFINDUNG DESSEN IST.
Vincent Deeg
Etwas dazu verdienen. Seiner Freundin etwas mehr bieten können, als alle paar Wochen einen Kinobesuch oder hin und wieder eine Ausflugsfahrt auf der Elbe. Das war alles, was Jochen wollte. Der Grund, der ihn dazu brachte, seinen Maurerberuf nicht nur auf der Baustelle, sondern auch in seiner Freizeit, in der er für so manchen Schauspieler einen Bungalow und für so manchen Sänger ein neues Eigenheim im Grünen errichtete auszuüben.
Eine auf Grund der großen Nachfrage lukrative Nebenbeschäftigung, die Jochen in kurzer Zeit eine Menge Geld einbrachte. Doch das war noch nicht alles. Seine Geschwindigkeit und seine stets abgelieferte Qualität sorgten bald für einen entsprechend guten Ruf, der wiederum dafür sorgte, dass man ihn von einem Prominenten zum anderen weiter reichte.
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Alles lief bestens. Denn Jochen bekam einen Auftrag nach dem anderen und lernte so einen Prominenten nach dem anderen kennen. Prominente, zu denen auch Karl Heinz Kläger gehörte. Ein Parteifunktionär, der sich zu seiner bereits prachtvollen Villa noch eine Terrasse aus Naturstein wünschte und der dem Handwerker eine recht große Summe in Aussicht stellte, wenn dessen Arbeit diesem Wunsche entspräche.
Ein Auftrag, den Jochen natürlich ganz besonders gern annahm. Und das nicht nur des Geldes wegen. Sondern auch, weil er wusste, wie nützlich es sein konnte, einen solchen Mann zu kennen. Wie vorteilhaft eine solche Beziehung wäre, wenn man einmal Ärger hatte. Er konnte ja nicht ahnen, dass es genau dieser Mann sein würde, der ihm diesen Ärger bringen, dass ihn diese Beziehung zu diesem Funktionär noch zum Verhängnis werden würde.
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Drei Wocheneden und einige Stunden nach Feierabend hatte es gedauert. Dann war die Terrasse, deren Optik und Qualität die Wünsche des Auftraggebers um einiges übertrafen endlich fertig. Der Zeitpunkt, an dem Jochen eigentlich mit seiner vorher versprochenen Bezahlung gerechnet hätte. Doch Kläger dachte gar nicht daran, diesem Versprechen nur im Geringsten nachzukommen. Im Gegenteil. Denn statt den Handwerker angemessen zu bezahlen, hielt er diesem stattdessen das bis dahin bereitgestellte Bier und die gereichten Brote vor, die ja nach Meinung des Parteifunktionärs auch eine Menge Geld gekostet und damit die anstehende Rechnung abgegolten hatten.
Es ist wohl nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, was in diesem Moment in dem, sich betrogen fühlenden Jochen vor sich ging. Oder wie lange es dauerte, bis sich die beiden Männer, zumindest verbal in den Haaren lagen. Anders jedoch wird es mit dem sein, was diesem Streit, den Jochen schon nach sehr kurzer Zeit mit der Aufforderung beendete, den geschuldeten Lohn innerhalb einer Woche zu zahlen folgen sollte. Als nur einen Tag später drei Männer der Staatssicherheit vor seiner Wohnungstür standen und ihn, wie sie sich Jochen gegenüber im barschen Ton ausdrückten wegen des dringenden Verdachtes der Ungesetzliche Verbindungsaufnahme zu einer Person des kapitalistischen Auslandes, wegen des dringenden Verdachtes der Staatsverleumdung und wegen des dringenden Verdachtes der Vorbereitung eines Ungesetzlichen Grenzübertrittes in die Bundesrepublik Deutschland verhafteten.
Vorwürfe, die natürlich allesamt erfunden und konstruiert waren. Von einem Mann, der seinen Handwerker nicht bezahlen wollte. Ein Parteifunktionär, der genug Macht und Glaubwürdigkeit besaß, um diesen unliebsamen und schnöden Maurer, dem er ganze fünfhundert Mark schuldete, für eine lange Zeit verschwinden zu lassen.
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Jochen, dessen alleinige Schuld damals darin bestand, sich mit ein paar Stunden Schwarzarbeit ein paar Hunderter dazu zu verdienen, wurde im Oktober 1987 wegen des § 219. (Ungesetzliche Verbindungsaufnahme), des § 220. (Staatsverleumdung) und des § 213. (Ungesetzlicher Grenzübertritt) zu einer Haftstrafe von insgesamt fünf Jahren und acht Monaten verurteilt.
Eine Haftstrafe, die ihm, nachdem er ganze vier Monate in der berüchtigten Stasi U-Haft Berlin-Hohenschönhausen verbracht hatte, ins gleichsam berüchtigte Stasi Gefängnis Bautzen führte. Dort, wo Jochen, neben all den viele anderen politischen Gefangene bis zum Ende der grausamen Herrschaft des SED Regimes die Hölle auf Erden erlebte.
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Viel Zeit sollte noch vergehen, bis Jochen endlich erfuhr, wer die Verantwortung für sein furchtbares Schicksal trug. Wer damals schuld daran war, dass er all das Schreckliche erleben musste und dass er nun, auf Grund der schweren gesundheitlichen Schäden, die diese menschenunwürdige Gefängniszeit mit sich brachte, kein normales Leben mehr führen, dass er Zeit seines Lebens ein kranker Mann sein wird, der ohne Medikamente nicht mehr leben kann.
Und Karl Heinz Kläger? Ein Mann, der bis heute jede Schuld oder Beteiligung von sich weist. Der trotz der aus Jochens Stasiakte hervorgehenden Indizien jede Schuld leugnet. Der, als wäre das alles noch nicht genug, sein Opfer von damals verhöhnte und wegen Verleumdung vor ein Gericht zerrte. Dort, wo man sich, wie es damals, kurz nach der Wende leider all zu oft vorkam, in „Täterschutz vor Opferschutz“ übte und Jochen jede weitere Anschuldigung verbot.
Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie wurde mir von Jochen erzählt. Alle hier beschriebenen Namen wurden geändert.

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