Demokratie nach Policy IV: Eine Bestandaufnahme

Im vergangenen Beitrag haben wir uns damit beschäftigt, wie man Demokratie messen kann. Heute soll es um die Ergebnisse dieser Messung gehen. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund:

1. Wie sieht es mit der Demokratie in den einzelnen Weltregionen aus?
2. Ist die Demokratie, wie gefühlt, auf dem Rückzug?

Weil der Beitrag länger geworden ist als geplant, widme ich mich der zweiten Frage in der kommenden Woche. Damit verlasse ich kurz meinen üblichen 2-Wochen-Rhythmus, da ich ja eigentlich die Informationen schon diese Woche einbauen wollte.

Bevor wir uns diesen beiden Fragen widmen, müssen wir aber eine dritte beantworten, nämlich welche Datengrundlage nehmen wir? Policy IV oder Democracy Barometer Ideal wäre es natürlich beide zu nehmen und zu schauen, ob sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Allerdings beschäftigt sich das Democracy Barometer nur mit Demokratien oder zumindest Staaten, die einmal welche waren. Den schlechtesten Wert hat im Jahr 2014 die Ukraine, allerdings sah das ein Jahr zuvor noch ganz anders aus.

Das Democracy Barometer nimmt auch keine Einteilung in Autarkie, Anokratie und Demokratie vor, sondern gibt nur einen Punktwert an - und die Daten reichen nur bis 1990 zurück. Somit ist die Wahl klar, allerdings möchte ich gerne wissen, ob sich beide Barometer in der Bewertung deutlich unterscheiden. Schließlich verfolgen beide einen anderen Ansatz, der des Democracy Barometer ist viel umfangreicher.

Ich habe kurz untersucht, in wie weit die beiden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Weil das die meisten Leser nicht besonders interessieren wird, habe ich diesen Teil ausgelagert. Um es kurz zu machen, bei den meisten Ländern ist die Bewertung beider Rankings ähnlich, obwohl sie in vielen Teilen einen unterschiedlichen Ansatz verfolgen. Das Democracy Barometer berücksichtigt beispielsweise auch die Vielfalt der Medienlandschaft und die Meinungsfreiheit, was bei Policy IV nicht in diesem Maße einfließt.

Die Welt im Überblick

Wer sich die Karte von Policy IV ansieht, dem fällt zunächst die rote Sichel in Asien ins Auge, die Autokratien. Beginnend auf der arabischen Halbinsel, eigentlich schon in Afrika mit Eritrea, zieht sich ein Gürtel von Autokratien im Halbkreis über den Nahen und Mittleren Osten über den Iran und die islamischen Staaten der GUS (ehemalige Sowjetunion, mit Ausnahme des demokratischen Kirgisistan und des anokratischen Tadschikistan) bis nach China und dann im Norden weiter nach Nordkorea und im Süden nach Vietnam und Laos.

Das sind fast die letzten „echten Autokratien", daneben fallen vor allem Weißrussland, Kuba und Swaziland ins Auge. Zusätzlich gibt es aber eine ganze Reihe von Anokratien, vor allem in Afrika ist das die vorherrschende Form des Regimes. Darunter befinden sich auch viele geschlossene Anokratien, die wir umgangssprachlich auch als Diktaturen bezeichnen würden, beispielsweise in Angola.

Auffällig ist, dass die vollwertigen Demokratien vor allem in Europa und Nordamerika liegen, hinzu kommen Australien und Neuseeland, einige in Südamerika und einige in Ostasien. In Afrika gibt es (noch) keine einzige, aber dazu in der Länderbetrachtung. Das Konzept der Kontinente ist zwar für politische Fragen eigentlich wenig geeignet, die übliche Einteilung in Großregionen wie subsaharisches Afrika, Westeuropa und Ostasien würde aber den Rahmen sprengen. Kontinente gibt es dagegen weniger, auch wenn ich hier Nord- und Mittelamerika von Südamerika trenne.

Nord- und Mittelamerika

Policy IV sieht die USA als erste Demokratie und außerdem seit dem Ende des Bürgerkriegs außerdem durchgehend als vollwertige Demokratie mit zehn von zehn möglichen Punkten. Kanada betritt diesen Club erst in den 1920er Jahren.

Im Jahr 2013 sind fast alle nord- und mittelamerikanischen Staaten Demokratien, Ausnahmen sind die Autokratie Cuba sowie Haiti, das von sieben Punkten in den 1990ern auf null Punkte gefallen ist und damit gerade noch so als offene Anokratie gewertet wird.

Neben den USA und Kanada erhält aber nur Costa Rica zehn von zehn Punkten - und das durchgehend seit 1890. Damit ist das Land der Musterknabe in Lateinamerika. Das Democracy Barometer sieht das Land übrigens schlechter aufgestellt und hinter Mexiko oder Brasilien, insgesamt aber ebenfalls als Demokratie.

Diese Stabilität zeigt sich auch beim Korruptionsindex von Transparency International. Hier schneidet das Land ebenfalls deutlich besser ab als fast alle Nachbarn.

Südamerika

Auch Südamerika ist weitgehend demokratisch geworden. Ecuador, Surinam und Venezuela sind als offene Anokratien die Ausnahmen. Chile und Uruguay sind aber die einzigen Länder mit voller Punktzahl, Brasilien und Argentinien kommen auf acht Punkte.

Das aber ist ebenfalls schon eine deutliche Verbesserung zu den 1970er Jahren. 1972 waren praktisch nur Venezuela und Kolumbien Demokratien, Chile und Guyana standen als offene Anokratien schon gut da. Selbst Uruguay, seit 1950 eigentlich südamerikanisches Musterland, war damals für einige Jahre eine geschlossene Anokratie, ebenso wie Ecuador. Der Rest Südamerikas bestand aus echten Autokratien - abgesehen von Suriname, das damals noch eine niederländische Kolonie war und natürlich Französisch-Guayana, das bereits seit 1946 ein französisches Department und damit ebenfalls demokratisch ist. 1973 tauschen Chile und Argentinien übrigens das Regime, Argentinien wurde eine Anokratie und Chile nach dem Militärputsch Pinochets eine Autokratie.

Afrika

Afrika ist heute, wie gesagt, ein Kontinent der Anokratien. Auch dieser Kontinent hat aber ein demokratisches Musterland. Das Costa Rica Afrikas ist Botswana, als einziges Land seit der Unabhängigkeit 1965 immer eine Demokratie. Übrigens auch eines der wenigen afrikanischen Länder auf dem Korruptionsindex von Transparency International mit guten Noten. Mit 63 von 100 Punkten schneidet es dort besser ab als Spanien (58) oder Italien (44) und als das gesamte Osteuropa mit Ausnahme Estlands (70).

Botswana war auch eines der wenigen afrikanischen Länder, die in den 1970er Jahren demokratisch blieben. 1972 war Afrika fast komplett von Autokratien beherrscht, Burkina Faso und Madagaskar waren als geschlossene Autokratien schon fast vorbildlich. Rhodesien und Südafrika waren trotz des rassistischen Wahlsystems fast vorbildlich. Denn der Anteil der Bevölkerung, der mitbestimmen durfte, war hier immer noch größer als in den übrigen Staaten. Neben Botswana war fast nur noch Gambia demokratisch - das heute leider nur eine geschlossene Anokratie ist und kurz vor der Autokratie steht.

Heute gibt es eine ganze Reihe von Demokratien, was den reinen Punktwert angeht, haben Kenia und Südafrika Botswana sogar überholt. Allerdings sind nicht alle Demokratien auch erfolgreich, der bitterarme Niger ist beispielsweise auch eine Demokratie.

Allerdings gibt es bisher kein Land in Afrika, das als „Full Democracy" eingestuft wird, also zehn von zehn Punkten erhält.

Europa

Zumindest Westeuropa ist mittlerweile weitgehend demokratisch. Das ist keineswegs so selbstverständlich wie es sich anhört, noch 1968 Jahren waren Portugal und Spanien Autokratien, Frankreich eine (offene) Anokratie. 1958 kam es im Nachbarland zu einem Militärputsch, erst mit dem Ende der Amtszeit De Gaulles 1969 wurde Frankreich wieder eine Demokratie. Wegen der mangelnden gegenseitigen Kontrolle erhält das Land aber nur neun von zehn Punkten und gilt damit nicht als „full democracy".

Osteuropa und das östliche Mitteleuropa waren es natürlich ebenso, hier sind die meisten Länder aber mittlerweile ebenfalls demokratisch. Ausnahmen sind die Autokratie Weißrussland und die offene Anokratie in Russland. Die Daten auf der Internetseite von Policy IV reichen nur bis 2013, die Seite ourworldindata.org hat aber offenbar schon neuere. Demnach sind 2015 auch die Türkei (die ja zumindest teilweise in Europa liegt) und die Ukraine keine Demokratien mehr. Die Türkei hatte unter Erdogan ihre Bewertung zunächst sogar verbessern können, von sieben auf neun Punkte. Erst 2014 kam der Absturz, die neuesten Änderungen sind natürlich noch nicht berücksichtigt.

Asien mit Ozeanien

Asien kennt, wie erwähnt, noch viele Autokratien. Hier findet man aber auch mit Indien die größte und mit Indonesien die drittgrößte Demokratie der Welt. Im Vergleich mit Afrika wirkt Asien extrem - mehr Autokratien und mehr Demokratien, darunter auch einige, die mit den vollen zehn Punkten bewertet werden. Neben Japan auch China. Natürlich ist hier nicht die Volksrepublik China gemeint, sondern die Republik China, die wir üblicherweise als Taiwan bezeichnen, deren offizieller Name aber nach wie vor Republik China, manchmal auch Republik China auf Taiwan ist.

Dritte volle Demokratie ist übrigens nicht Südkorea, sondern die Mongolei. Das Land war bis in die 1990er Jahre eine Autokratie. Südkorea erhält immerhin acht von zehn Punkten. Der Staat ist zwar ein treuer Verbündeter der USA seit dem Ende des Koreakriegs, aber deshalb keineswegs immer demokratisch gewesen. Das Land war nach dem Ende des Kriegs innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren erst Demokratie, dann Autokratie, schließlich offene Anokratie und dann wieder Autokratie. Seit 1974 hat es sich langsam in Schritten zur Demokratie entwickelt.

Australien und Neuseeland sind schon lange volle Demokratien. Aber bei den Inselstaaten gibt es nach wie vor Anokratien, beispielsweise die Fidji Inseln.

Fazit

Demokratien gibt es heute auf allen Erdteilen, besonders wenige aber in Afrika. Dafür gibt es dort aber auch weniger Autokratien als beispielsweise in Asien, vielmehr befinden sich die meisten Staaten dort in einem Übergangsbereich, der Anokratie. Wie sich die Demokratie langfristig entwickelt hat, werden wir uns beim nächsten Mal genauer ansehen. So viel sei verraten: Die Welt ist nicht mehr so demokratisch, wie sie schon mal war, aber demokratischer als in den meisten der vergangenen 200 Jahre.


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