Demokratie in Bewegung

Eigentlich wollte ich ja mit dem vergangenen Beitrag schon das Thema Demokratiemessung nach Polity IV abschließen und die Frage beantworten, wie sich die Demokratie - immer auf Grundlage der Definition von Polity IV natürlich - entwickelt hat.

Am Ende des vergangenen Beitrags habe ich es ja schon angekündigt: Die Welt war tatsächlich schon mal demokratischer als heute, aber in den meisten Zeiträumen sehr viel undemokratischer.

Das wurde ja bereits in den Kapiteln über Afrika und Südamerika deutlich. In den 1970er Jahren waren dort die meisten Staaten Autokratien. Heute haben sich in Südamerika die Demokratien durchgesetzt, in Afrika sind es zumindest mehr geworden und einige Staaten nur noch Anokratien.

Die Seite ourworldindata.org bietet ein schönes Gimmick, um die Entwicklung von Demokratie, Autokratie und Anokratie nachzuverfolgen. Man kann durch die Jahre wandern und zusehen, wie sich die Farben auf der Weltkarte verändern.

Leider ist die Karte an manchen Stellen schlecht gemacht. Der Einfachheit halber hat man für alle Zeiten die heutigen Grenzen verändert. Das ist ein großer Nachteil auf Kontinenten mit sehr instabilen Staaten und häufig wechselnden Grenzen, namentlich Europa. Statt alle GUS-Staaten und das Baltikum für die Zeit der Sowjetunion rot zu färben, sind diese als Kolonien gekennzeichnet und Russland als „No Data". Die Slowakei und Tschechien werden wiederum als Kolonien der Tschechoslowakei geführt.

Das ist nicht besonders logisch. Zumal man für Deutschland auch Daten aus der Zeit vor Gründung der Bundesrepublik ausweist und beispielsweise für das Jahr 1868, als es das Deutsche Reich ja noch nicht gab, einfach Daten für Preußen verwendet.

Deshalb habe ich das Tool als Gimmick bezeichnet, es ist eine nette Spielerei, aber mit Vorsicht zu genießen. Die falsche Darstellung von Ländern mit dem Wert von 6 im Ranking von Polity IV zieht sich durch alle Jahre, deshalb wird die Weimarer Republik auch fälschlicherweise nicht als Demokratie eingefärbt.

Der grobe Überblick

Trotzdem erhält man schon einen Überblick, dass die Welt früher weit weniger demokratisch war. Wer Geschichtskenntnisse besitzt oder die Originaldaten für Europa aufruft stellt fest, dass auch unser Kontinent lange nicht besonders demokratisch war. Der gesamte Ostblock, der hier nur als Kolonie oder mit „No Data" gekennzeichnet wird, bestand bis 1990 überwiegend aus Autokratien.

Die DDR wurde beispielsweise ab ihrer Gründung als solche gesehen. Sie verschlechterte ihre Bewertung sogar noch, gestartet war sie mit einem Wert von -7 (bei maximal -10), sank 1951 auf -8 und 1961 auf -9. Das ist schlechter als die UdSSR, die sich mit Stalins Tod auf -7 verbesserte.

In den 1940er Jahren war ein Großteil der Staaten in Europa Autokratien. In den USA wurde vor allem der südliche Teil Europas wegen seiner Instabilität ähnlich ängstlich beäugt wie heute Nordafrika. Sehr deutlich wird das im Buch „ American Freedom and Catholic Power " des Autors Paul Blanshard, der vor den Gefahren für die Demokratie durch die oft schlecht ausgebildeten, streng religiösen und in Parallelkulturen leben Katholiken aus instabilen, autokratisch oder erst seit kurzem demokratischen Ländern wie Spanien, Italien und Portugal warnte.

Es geht nicht nur bergauf

Falsch wäre aber der Eindruck, die Entwicklung wäre einseitig in Richtung von mehr Demokratie gegangen. Das weiß jeder, der sich ein bisschen mit europäischer Geschichte auskennt. Die Karte unten stammt aus dem Jahr 1921. Italien ist bereits eine geschlossene Anokratie, das Land wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Demokratie. 1921 war man mit einem Wert von -1 aber noch nah an der offenen Anokratie (ab 0), doch stattdessen kam ein Jahr später Mussolini an die Macht und ab da verschlechterte sich der Wert von Jahr zu Jahr. Ab 1925 war das Land auch formell eine Autokratie und 1928 erreicht es den Tiefpunkt mit -8.

Spanien immerhin war 1921 noch eine Demokratie, doch zwei Jahre später wird es eine Autokratie unter Miguel Primo de Rivera. Deutschland wird bekanntlich 1933 von einer Demokratie zu einer Autokratie mit dem Wert von -9.

Auch in Afrika gab es in den 1960er Jahren mehrere Demokratien, darunter der Sudan, Somalia, Nigeria oder Uganda. Nigeria wurde ein Jahr später eine Diktatur, gilt seit 2015 aber wieder als Demokratie. Insgesamt gibt es viel Wechsel, ähnlich wie in Südamerika, wo Staaten wie Chile, Brasilien oder Argentinien immer wieder den Status wechselten.

Menschen in Demokratien

Allerdings ist die Zahl der Länder, die demokratisch sind, gar nicht das spannendste und auch nicht die Größe der grünen Flecken. Der afrikanische Musterstaat Botswana beispielsweise ist größer das Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen und bringt so viel grüne Farbe nach Afrika. Allerdings leben dort nur knapp über zwei Millionen Menschen, also etwa so viele wie in Hamburg und dem engeren Umland.

Ein weiteres Problem haben wir bei der Betrachtung im Zeitverlauf. Denn die Zahl der Menschen in Demokratien ist ein schlechter Indikator, schließlich steigt die Zahl der Menschen. Aber auch ihr Anteil an allen ist nur mäßig geeignet, um gute Aussagen zu treffen. Denn für die Vergangenheit liegen für viele Länder keine Daten vor oder sie waren Kolonien. Wird ein Land von der Kolonie zur Demokratie, dann ist das natürlich auch ein Fortschritt. Aber es ist ein Prozess, der von dem der Demokratisierung zu trennen ist. Außerdem hat die Entkolonialisierung auch den Anteil der Menschen in Autokratien erhöht, wobei viele Kolonialregime natürlich auch eine Diktatur waren.

Außerdem haben Indien und China einen großen Einfluss auf die Daten. 1911 wurde China vom Kaiserreich zur Republik und damit von einer Autokratie zur Anokratie. 1912 war das Land sogar für ein Jahr eine offene Anokratie und damit so nah an der Demokratie wie nie mehr. Der Anteil von Menschen in Autokratien brach damit von über 30 Prozent auf unter zehn Prozent ein. China wurde zwar 1913 wieder zur geschlossenen Anokratie, aber noch nicht wieder zur Autokratie. Anfang der 1920er Jahre lag der Anteil von Menschen in autokratischen Regimen so niedrig wie nie mehr, allerdings sind dabei nicht die autokratischen Kolonialregime berücksichtigt. Als der Anteil der Autokratien 1922 und 1923 seinen Tiefpunkt hatte, lebte rund ein Drittel der Menschen in Kolonien.

Dass aktuell deutlich mehr Menschen, nämlich rund 25 Prozent, in Autokratien leben, hängt auch damit zusammen, dass China 1948 wieder zur Autokratie wurde, man sieht das in der Grafik deutlich.

Auch bei den Menschen in Demokratien gibt es so einen Sprung, allerdings nur einmal. 1947 wurde Indien unabhängig und zur Demokratie. Damit verdoppelte sich die Zahl der Menschen in demokratischen Staaten.

Die aktuelle Entwicklung

Ist also der Zuwachs der Menschen in Demokratien eine Folge der Entkolonialisierung? Ja, zum Teil. Aber nicht nur. Ein großer Teil der Demokratisierung der Welt fand ab Mitte der 1980er Jahr statt. Sichtbarer wird die Entwicklung, wenn man die Kolonien außen vor lässt und nur die Menschen in den Staaten betrachtet, die als Autokratie, Demokratie oder Anokratie bewertet werden.

Dann sehen wir von 1900 bis 1945 zunächst wenig Veränderung. Anfang der 1920er steigt der Anteil, dann sinkt er noch unter den Wert von 1900. 1940 leben fünfmal so viele Menschen in Anokratien oder Autokratien wie in Demokratien. Auf jeden Bewohner eine Ano- oder Autokratie kommen nur 0,2 Demokratiebewohner.

Die meisten leben damals in geschlossenen Autokratien, was allerdings vor allem an China liegt. Aber auch in Autokratien gab es deutlich mehr Menschen als in Demokratien, wobei letztere damals vor allem in den USA wohnten. Von den damals rund 2,3 Milliarden Menschen auf der Erde lebten rund 215 Millionen in Demokratien, davon mehr als die Hälfte in den Vereinigten Staaten von Amerika (132 Millionen - seitdem ist die Bevölkerung der USA auf über 300 Millionen gestiegen).

Wie erwähnt gibt es einen weiteren Anstieg ab Mitte der 1980er. Seit 2000 stagniert der Anteil und ist zeitweise sogar gesunken. Das liegt nicht nur an Ländern wie der Türkei oder der Ukraine, die von Polity IV nicht mehr als Demokratien eingestuft werden, sondern auch am höheren Bevölkerungszuwachs in nicht demokratischen Ländern.

Wie aussagekräftig sind die Daten

Zeigen diese Daten eine reale Entwicklung? Ich meine ja. Natürlich kann man streiten, ob die USA wirklich die Einstufung als „full democracy" verdienen, wenn dort mehrfach Präsidenten gewählt wurden, die nicht die Mehrheit der Stimmen hatten. Das allerdings geht in die Untersuchung nicht ein. Aber insgesamt zeichnen sie ein sehr gutes Bild.

Man kann ebenfalls beklagen, dass auch in vollen Demokratien manche gleicher sind als andere. Nicht nur Reiche haben mehr Einflussmöglichkeiten, auch bestimmte Berufsgruppen wie Journalisten, Professoren oder Künstler haben größeren Einfluss als, sagen wir Sozialversicherungsfachangestellte und Schneidewerkzeugmechanikermeisterinnen. Aber das ist nichts im Vergleich zu jenen Einschränkungen, denen die demokratischen Rechte in Autokratien und auch Anokratien unterliegen.


wallpaper-1019588
The Great Cleric: Serie wird auf Disc erscheinen
wallpaper-1019588
Why Raeliana Ended Up at the Duke’s Mansion: Disc-Release geplant
wallpaper-1019588
SHY: Anime erscheint als Gesamtausgabe auf Disc
wallpaper-1019588
86: Eighty Six – Anime erscheint auf Disc + Vorbestellung