De dicto

"Wenn es um das Thema Volksentscheide geht, kommt schnell das Totschlagargument: Dann haben wir bald wieder die Todesstrafe. Unsere Umfrage beweist, dass zu derlei Misstrauen in die politische Reife der Deutschen kein Anlass besteht.
[...]
Volksentscheide bringen mehr Leidenschaft in die Politik. Was wäre daran verkehrt?"
- Michael Backhaus, Bildzeitung vom 10. März 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Ob der Volksentscheid eine Frage politischer Reife ist, muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Mindestens ist es aber eine Frage einer Medienlandschaft, die unabhängig recherchiert und informiert. Und ob die Zeitung Backhausens ein Medium ist, welches zur unabhängigen Willensbildung eines Publikums beitragen könnte, das per Volksentscheid fast schon judikative Mitbestimmung erhielte, bleibt schon mehr als fraglich. Seit Gustave Le Bon wissen wir zudem, dass "die Sittlichkeit der Massen [...] je nach dem Einflüssen viel niedriger oder viel höher sein (kann) als die der einzelnen, die sie bilden". Es geht also weniger um Reife als um die "Erregbarkeit [...] (und) Leichtgläubigkeit des Massen", die eine "Angleichung der Gelehrten und des Einfältigen" bewirkt.

Wenn nun aber ein Medium wie die Bildzeitung, das ja eigentlich an einem chronischen Skeptizismus gegenüber dem Volkswillen leidet, wenn dieser Forderungen stellt, die mit den agendistischen Zielen des Verlages nicht konform gehen - wenn nun also die Bildzeitung eine Lanze für den Volksentscheid bricht, dann muss es ein günstiges Klima für Sujets geben, die wirtschaftlichen Vorgaben entsprechen. Oder man will einfach nur niedere Instinkt bedienen, die man einfach mal zum Zwecke der Ablenkung von "wichtigen Themen" vorschiebt. Es ist natürlich eine theoretische Frage, aber wie wäre das im derzeitigen Klima, da man Osteuropäer und namentlich Roma diffamiert und mit allerlei rassistischen Etiketten versieht?
Stellen wir uns eine Gesellschaft des Volksentscheides mal vor. Gespräch derzeit sind die Roma. 2002 lehnten 58 Prozent der Deutschen Sinti und Roma als Nachbarn ab, wie das American Jewish Committee ermittelte. In anderen europäischen Ländern sieht es ähnlich oder noch schlimmer aus. Besonders Rumänen, Tschechen und Slowaken äußern sich antiziganistisch. Was unterlegt, dass die nach Deutschland kommenden EU-Bürger mit Roma-Hintergrund vom Regen in die Traufe gelangen. Wie endete wohl ein Volksbegehren, das einen Volksentscheid zu Themen forderte, die mit den Roma zu tun haben? Vielleicht Stadtbezirke nur für Roma oder Ausweisung von Roma oder Sozialstaatsausschluss für Roma? Möglich, dass man auch "nur" den gläsernen Roma fordert, wie in anderen Ländern teilweise geschehen. Und was trägt die Bildzeitung eigentlich zum politischen Reifeprozess ihrer Leser bei, wenn sie als Wahrheit über Roma nur weiß, dass es sich weitestgehend nur um Kriminelle handelt, die im Dreck leben? Wie endeten solche Bekundungen des Volkswillens?
Natürlich rudert Backhaus zurück, er sagt ja, dass die Bildleser nur für sie wichtige Themen behandeln wollten. Fundamentale Sujets eher nicht, denn nur (sic!) 41 Prozent würden über die Todesstrafe verhandeln wollen. Aber schon 65 Prozent würden sich zutrauen, die Fiskal- und Wirtschaftspolitik kriselnder EU-Staaten zum Gegenstand eines Volksentscheides zu machen. Und überhaupt: Ein deutscher Volksentscheid, der die Innenpolitik Griechenlands oder Spaniens vorgeben soll? So weit ist der Bildleser schon!
Die Bildzeitung feierte wie keine andere des Ratzinger-Papstes Rede vor dem Bundestag. In der legte er dar, dass die Mehrheitsgesellschaft nicht zwangsläufig immer richtig liegen müsse. Für Kriterien wie die "Würde des Menschen und der Menschheit" reichte das Mehrheitsprinzip nicht mehr aus, sagte er. Hätte man zur Hochzeit der Hartz IV-Hetze über einen Rückhalt im Volk zu noch härteren Maßnahmen, zur Absolutsanktionen zur Urne zitiert, wäre hier sicherlich nicht die Humanitas als Sieger hervorgegangen. Die Scheindebatte um Volksentscheide auf Bundesebene will weismachen, dass die Mehrheit ein unumstößliches Kriterium ist. Was das Volk will, ist quasi immer mehr oder weniger richtig. Und wenn es doch mal falsch ist, beeinflusst und manipulieren die Bildzeitung und Konsorten eben solange, bis es richtiger wird. Bahnhof: Ja oder Nein? Umgehungsstraße: Pro oder Contra? Diese kommunalen Befragungen klappen - über die politischen Richtlinien und über ethische Kategorien kann jedoch nie die Mehrheit als Legitimation dienen.

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