Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle da

Einen Abend lang im Rampenlicht stehen. Einen Abend lang mit anderen auf einer Bühne tanzen. Nicht nur Profis haben diesen Wunsch, sondern auch viele Menschen, die ohne einen Berufsanspruch einfach gerne tanzen und auch gerne etwas von ihrem Können herzeigen möchten.

Bei der Wiederaufnahme von Gala, die im vorigen Jahr im Tanzquartier Österreich-Premiere hatte, durften das insgesamt 20 Personen. Denn genauso viele Tänzerinnen bzw. Tänzer standen dort auf der Bühne, um dem Wiener Publikum zu zeigen, was sie aus Jerôme Bels Idee gemacht haben. Dieser castet für sein Stück in jeder Stadt neu und versammelt dabei Menschen mit unterschiedlichsten Professionen, kulturellem Hintergrund, Alter, Temperamenten und unterschiedlichstem Tanzkönnen auf der Bühne.

Theater als Konstante in der Menschheitsgeschichte

Der Ablauf folgt einer sehr simplen, dramaturgisch aber auch sehr gut durchdachten Idee. Alles beginnt mit einer Diashow, in der man in die architektonische Welt des Theaters eintaucht. Gezeigt werden Bühnen und Zuschauerräume von Theatern rund um den Erdball. Menschenleer. Aus dem Orient, dem antiken Griechenland genauso wie aus Europa und Amerika. Von der kleinsten Tribüne bis zur größten, mehrteiligen Showstage ist so ziemlich jedes Theaterformat vertreten, das man sich vorstellen kann. Dabei wird eines klar: Theater zu machen und Theater zu besuchen, ist ein elementares Bedürfnis der Menschen. Etwas, das eine ungebrochene Tradition aufweist und schier unverwünstlich ist.

Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle da Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle da

Um aber Theater machen zu können, bedarf es jener Menschen, die auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ihr Können zeigen. Bel, der schon mit manchen seiner Inszenierungen heftige Kritik einstecken musste, hat in die Tanzgeschichte die Idee eingebracht, dass auf der Bühne keineswegs nur Hochleistungsdarbietungen gezeigt werden müssen, um das Publikum zu fesseln. Vielmehr ist es das Menscheln, das Aufzeigen der eigenen Unzulänglichkeiten, aber auch dessen, wovon man wirklich beseelt ist und was man auf seine ganz ureigene Art besonders gut kann, was die Herzen der Menschen neben unüberbietbarem Perfektionismus berührt.

Profis und Laien ergeben ein buntes, sympathisches Ensemble

In „Gala“ versammelt Bel Profis und Laien, Kinder und ältere Darsteller, eine Dame im Rollstuhl und einen Herrn mit Downsyndrom zu einer unglaublich sympathischen und bunten Truppe. Zu Beginn gehört jedem hintereinander ein Einzelauftritt. Dabei wird eine Links- und eine Rechtsdrehung zu einem Chopinwalzer und ein Lauf über die Bühne mit einem ausladenden Sprung zu einem flotten Galopp vorexeriert. Und dabei werden auch die großen Unterschiede deutlich. Menschen wie du und ich geben ihr Bestes und wirken doch oft ungelenk. Balletttänzerinnen, aber auch Frauen und Männer, denen man ansieht, dass sie offenbar vom Bodenturnen oder dem Profitanz herkommen zeigen, wie Drehungen und Sprünge von trainierten Körpern beherrscht werden können.

Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle daTanzquartier Wien: Jerôme Bel „Gala“ © eSeL

Dabei bleibt es nicht aus, dass das Publikum lacht. Es ist aber kein sich lustig Machen, es ist keine Verhöhnung, die hier stattfindet. Vielmehr sieht man dem Ensemble an, dass es selbst großen Spaß bei dem hat, was es hier macht und dass sich die Menschen selbst sehr wohl bewusst sind, dass sie zum Teil höchst humorige Erscheinungen darstellen. Das unterstützen auch die Kostüme, die von den Tänzerinnen und Tänzern selbst ausgesucht wurden. Da trägt ein sehr schlanker, junger Mann einen pink färbigen, hautengen Bodysuit, ein junge Frau Pippi-Langstrumpf Ringelstrümpfe und dazu ein knallrotes Tütü. Bei einem anderen ist es eine goldene Glitzershort, die Aufsehen erregt, und die Rollstuhlfahrerin hat ihre Haare mit einer weißen Blumengirlande geschmückt.

Die Subbotschaft, die Bel hier mittransportiert, ist, dass sich das Theater auch über sich selbst lustig machen darf. Dass es keiner hehren Ideen bedarf, keines künstlichen Pathos, um auf einer Bühne tanzend auftreten zu können.

Das Publikum gerät außer Rand und Band

Schon nach kurzer Zeit ist der Funke, den dieses bunte Ensemble hier entfacht, im Publikum entzündet. Als die Tanzenden hintereinander Michael Jacksons Moonwalk replizieren, gibt es kein Halten mehr. Es wird geklatscht und gejohlt, dass es nur so eine Freude ist. Der Spaß, die Lebenslust, die hier im wahrsten Sinne des Wortes gefeiert wird, ist ansteckend. Die höchst geschickte Regie reiht eine Tanzsensation an die nächste und lässt nach den Einzeldarbietungen die gesamte Kompanie tanzen. Aber es ist wiederum jeweils eine einzelne Person, die den Ton angibt. Die sich einen Tanz ausgesucht hat, der ganz der ihre ist. Den sie offenkundig liebt, in den sie mit Leib und Seele eintaucht und an vorderster Stelle performt.

Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle daTanzquartier Wien: Jerôme Bel „Gala“ © eSeL

Dabei heben sich die Grenzen zwischen Profi und Laien völlig auf. Man staunt, wie behände ein kleines Mädchen zu einem spanischen Popsong über die Bühne fegt und wie schwer sich die Erwachsenen dahinter damit tun. Man bewundert die junge Gymnastin bei ihrem Tanz mit einem Tamburstab und lacht herzlich über die Ungeschicklichkeiten der anderen mit diesem Gerät. Man ist beeindruckt von der Vielfalt der Bodenbewegungen, die von der Dame vorgezeigt werden, deren Beine sie in den Rollstuhl gezwungen haben und man brüllt, was das Zeug hält, beim großen Finale von jenem jungen Mann, der mit langen Haaren und einem kurzen Bart vom Aussehen her Conchita Wurst Konkurrenz machen könnte. Seine Interpretation von New York, New York, die sich als Hommage an Wien entpuppt, ist umwerfend.

Bretter, die die Welt bedeuten, sind für alle daTanzquartier Wien: Jerôme Bel „Gala“ © eSeL

Zuerst nachmachen, dann kritisieren

Kritische Geister könnten bemängeln, dass eine Vorstellung wie diese auch von jedem X-beliebigen, anderen Laienensemble auf eine Bühne gestellt werden könnte. Es ist dieselbe, falsche Argumentation, die man auch oft bei zeitgenössischer, bildender Kunst hört. „Das kann ich auch!“ Dagegenhalten kann man hier aber viel. Erstens kommt es darauf an, die Idee und den Mut zu so ungewöhnlichen und zugleich kreativen Leistung umzusetzen und damit große Häuser zu füllen. Zweitens ist es eine unglaubliche Leistung, Mittelmaß so zu präsentieren, dass eine Vorstellung von eineinhalb Stunden als viel zu kurz empfunden wird. Drittens bedeutet die Öffnung der Bühne für Menschen, die auf ihr keine Erfahrung haben, einen nicht zu unterschätzenden Solidarisierungsbeitrag innerhalb einer Gesellschaft.

Tanz, Kunst, Theater ist für alle da. Das ist die Botschaft von Jerôme Bel und dem Wiener Ensemble. Es ist aber auch eine Botschaft, die das enthusiasmierte Publikum sicherlich weiter nach außen trägt. Die Inklusion, die in dieser artifiziellen Umgebung hier vorgelebt wird, sodass sich das Publikum daran erfreuen kann, diese Inklusion kann, einem logischen Denkprozess zufolge, im Alltag ja wahrlich auch nicht so schwer sein. Denn da bedarf es keiner Proben, keiner Hingabe und nicht einmal einer Lebensidee. Der Wille allein, gemeinsam im Alltag sein Bestes zu geben, reicht schon. Bel setzt mit „Gala“ nicht nur eherne Bühnengesetze außer Kraft. Er oder besser die Darstellerinnen und Darstellen zeigen überdeutlich, dass es möglich ist, gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und damit erfolgreich zu sein.


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