von Manfred Bleskin
Die Diskussion um die Rolle des Islam in Deutschland wird ahistorisch geführt. Und sie geht in weiten Teilen am Kern des Problems vorbei.
Die Türken stehen nicht vor Wien, wo sie 1683 endgültig geschlagen wurden, aber dankenswerterweise Säcke mit Kaffee hinterließen. Ein Großteil der antiken Kultur Persiens und Griechenlands gelangte nicht dank der römischen Kirche, sondern dank der Toleranz des islamischen al-Andalus nach Europa. Die Weisheit des aus Afghanistan stammenden Arztes Avicenna hat die Ärzte auf dem Alten Kontinent mehr als 700 Jahre geprägt. So banal es klingt: Auch, dass wir uns regelmäßig waschen, verdanken wir den Hygienegebräuchen aus dem Morgenland. Insofern ist unsere Kultur islamisch geprägt. Es geht also nicht um die Religion, es geht um die Kultur im weitesten Sinne.
Christentum und Judentum sind ebenso wenig Teil Deutschlands wie der Islam, wohl aber die unschätzbaren Beiträge der drei abrahamitischen Kulturen, deren Summe zusammen mit anderen unsere heutige Kultur prägt. Wer spricht eigentlich über die Grundlagen unserer Rechtsauffassung, die sich weder an der Bibel, der Tora noch am Koran, sondern an römischen Grundsätzen orientieren? Zweifellos war die Kultur über Jahrhunderte eng an die Religion gebunden. Doch spätestens die Große Revolution der Franzosen trennte nicht nur den Staat, sondern auch die Kultur vom Glauben. Wenn Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede zum 3. Oktober vom Islam als Teil Deutschlands spricht, geht er hinter die Aufklärung zurück.
Definition über Kultur
Die in Deutschland lebenden Menschen, die aus anderen Ländern stammen oder deren Vorfahren eingewandert sind, sollten nicht über die Religion definiert werden, sondern über ihre Kultur. Was soll also der Blödsinn eines sozialdemokratischen Kiezpolitikers, der von muslimischen Eltern schwafelt, die ihre Kinder aufforderten, sich von den “sündigen Deutschen” fernzuhalten? Wer spricht über die “christlichen” Sekten und Grüppchen, deren Mitglieder ihre Kinder selbst unterrichten, wenn überhaupt? Hat jemand darüber nachgedacht, wie schwer es für einen “protestantischen” Vorpommern wäre (oder ist), sich im “katholischen” Oberammergau zurechtzufinden? Oder für einen “katholischen” Slowenen im “protestantischen” Flensburg?
Es hackt sich bequem auf dem Muezzin herum