Zum Verhältnis von Staat und Kirchen

Matthaeus Maier 300x300 Zum Verhältnis von Staat und Kirchen

Ingrid Matthäus-Maier (Foto: E. Frerk)

von Ingrid Matthäus-Maier

Da reibt man sich doch ver­wun­dert die Augen über fol­gende Diskrepanz: es gibt in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 einen Art. 138, der in unser Grundgesetz über­nom­men wor­den ist. Danach sind die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften abzu­lö­sen. Es han­delt sich dabei um die Entschädigungszahlungen für die Enteignung von Kirchenvermögen im Jahre 1803 (!), die Jahr für Jahr aus den Länderhaushalten – nicht etwa aus der Kirchensteuer – gezahlt wer­den und im Moment etwa 450 Millionen Euro betra­gen. Demgegenüber hat der Deutsche Bundestag keine 6 Wochen gebraucht, um wie­derum auf mas­si­ven Druck der Kirchen einen Beschluss zu fas­sen, wonach die Bundesregierung im Herbst 2012 einen Gesetzentwurf vor­zu­le­gen hat, der sicher­stellt, dass die Beschneidung von Jungen zuläs­sig ist. Diese Diskrepanz: einer­seits 92 Jahre lang einen Verfassungsauftrag zu negie­ren, ande­rer­seits im Eiltempo einen Beschneidungsbeschluss zu fas­sen, beide Male, weil die Kirchen Druck aus­üben, zeigt, dass unser Staat ent­ge­gen unse­rer Verfassung nicht weltanschaulich-religiös neu­tral ist.

Dabei hätte es gute Gründe gege­ben, sich für die Frage der Zulässigkeit der Beschneidung Zeit für ein sorg­fäl­ti­ges Abwägen der Argumente zu neh­men. Dies hat das Urteil des Kölner Landgerichts in vor­bild­li­cher Weise gemacht hat. Ich teile daher auch als Juristin die Auffassung, dass die Rechte des Kindes auf kör­per­li­che Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Art. 2 GG und meh­rere Artikel der UN-Kinderrechtskonvention) nicht durch die Religionsfreiheit der Eltern (Art. 4 GG) außer Kraft gesetzt wer­den kön­nen.

Doch selbst Politiker, die diese Meinung nicht tei­len, hät­ten doch ange­sichts der Kritik zahl­rei­cher Juristen, Kinderchirurgen, Kinderärzten, Kriminalbeamten und der ableh­nen­den Haltung der Mehrheit der Bevölkerung ein Interesse daran haben müs­sen, die Frage in einem umfang­rei­chen gesell­schaft­li­chen Diskurs zu erör­tern. Gerade auch sol­che Politiker, die immer auf die not­wen­dige Beteilung der Bürger ver­wei­sen. Die Beflissenheit, ja gera­dezu die Willfährigkeit der Mehrheit des Bundestages gegen­über den kirch­li­chen Forderungen macht besorgt. Wie will man denn abgren­zen zu ande­ren archai­schen Kulthandlungen wie die Beschneidung der Mädchen, die in Teilen des Islam noch reli­giöse Pflicht? Wir haben doch nicht jah­re­lang für die Rechte der Kinder gekämpft, um sie in einem über­stürz­ten Verfahren aus­höh­len zu las­sen!

Die hier deut­lich gewor­dene enge Verbindung zwi­schen Staat und Kirche fin­det sich in vie­len Lebensbereichen. In der Steuerpolitik z.B. mischen sich die Kirchen immer schon kräf­tig ein, weil die Kirchensteuer sich nach der Lohn- und Einkommensteuer rich­tet. Aus mei­ner Zeit als Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestages kann ich ein Lied davon sin­gen, dass die Kirchen bei Steueränderungen sich nicht schäm­ten, Steuersenkungen für Kleinverdiener und Kinder zu tor­pe­die­ren: ihr Kirchensteueraufkommen würde dann ja auch sin­ken! Neuestes Beispiel: die Kapitalertragssteuer. Da im Unterschied zur Lohnsteuerkarte bei den Kreditinstituten, Versicherungen, Bausparkassen, Fonds, usw. die Religionszugehörigkeit des Sparers nicht ver­merkt ist, haben die Kirchen die Politik hef­tig bedrängt, das zu ändern, weil viele Kirchenmitglieder ohne den auto­ma­ti­schen Abzug ihre Kirchensteuer nicht zahl­ten. Eilfertig hat die Bundesregierung Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf vor­ge­legt, wonach die genann­ten Institute ein­mal im Jahr beim Bundeszentralamt für Steuern abfra­gen kön­nen, ob der Schuldner der Kapitalertragssteuer kir­chen­steu­er­pflich­tig ist. Es gab einen Sturm der Entrüstung in der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit und eine Intervention des Datenschutzbeauftragten. Der wies dar­auf hin, dass dann für 90 Millionen (!) Konten die Kreditinstitute die Religionszugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit der Kontoinhaber erfah­ren wür­den. Das wäre ein ein­deu­ti­ger Verstoß gegen den Datenschutz. Der Entwurf wurde dann so geän­dert, dass die Kreditinstitute vor der Abfrage beim Bundeszentralamt für Steuern den Kontoinhaber auf die bevor­ste­hende Datenabfrage und auch auf sein Widerspruchsrecht hin­wei­sen müs­sen. Hier konnte also das Schlimmste ver­hin­dert wer­den, näm­lich die auto­ma­ti­sche Abfrage. Aber Unsinn ist und bleibt es trotz­dem. Und zeigt erneut, wie beflis­sen die Politik auf Wünsche der Kirchen rea­giert.

Nicht anders ist es beim soge­nann­ten Dritten Weg, dem kirch­li­chen Arbeitsrecht. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht, Streik ist ver­bo­ten, keine Mitbestimmung mit Hilfe der Gewerkschaften, immer wie­der Grundrechtsverletzungen durch die Kirchen, durch Diakonie und Caritas mit ihren rund 1,2 Millionen Beschäftigten. Da ist der Chefarzt in einem katho­li­schen Krankenhaus in Düsseldorf, dem wegen Wiederverheiratung als Geschiedener gekün­digt wird. Erst das Bundesarbeitsgericht hebt die Kündigung auf. Da ist der Organist einer katho­li­schen Gemeinde in Essen, dem wegen Ehebruchs nach 14 Jahren unta­de­li­ger Arbeit wegen Ehebruchs gekün­digt wird. Der braucht 7 Instanzen und 13 Jahre, ehe ihm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschei­nigt, dass die Kirche gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ver­sto­ßen hat. Wiedergutmachung hat er bis heute nicht erhal­ten. Da ist die all­seits beliebte Kindergartenleiterin in Königswinter, der trotz hef­ti­ger Gegenwehr der Eltern gekün­digt wird, weil sie nach lan­gen Ehejahren zu ihrem Freund gezo­gen ist. Da ist der Homosexuelle, der sofort aus der Caritas raus­fliegt, wenn seine sexu­elle Orientierung bekannt wird. Sie gilt als schwe­rer Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen der katho­li­schen Kirche, selbst wenn der Betroffene ganz offi­zi­ell eine ein­ge­tra­gene Partnerschaft nach Recht und Gesetz ein­geht. Gerade in die­sen Tagen hat die katho­li­sche Kirche einer les­bi­schen Kindergartenleiterin im Landkreis Neu-Ulm gekün­digt. Und Kirchenaustritt ist sowieso immer ein Kündigungsgrund!

Spätestens bei dem Fall der Königswinterer Kindergartenleiterin konnte end­lich ein­mal als glatte Unwahrheit die Behauptung der Kirchen ent­larvt wer­den, dass sie die Kirchensteuer benö­tig­ten, weil sie soviel Geld in ihre soziale Einrichtungen steck­ten. Die Öffent­lich­keit nahm näm­lich erst erstaunt, dann empört zur Kenntnis, dass der Beitrag der Kirche zu die­sem Kindergarten exakt bei Null liegt!! Das bedeu­tet, 0 % Beteilung an den Kosten und damit trotz­dem 100 % Oberhoheit über das Privatleben der Beschäftigten. Als das ruch­bar wurde, kün­digte die Stadt Königswinter den Vertrag mit der katho­li­schen Kirche und sucht einen neuen Träger. Für katho­li­sche und evan­ge­li­sche Krankenhäuser und Pflegeheime gilt eben­falls das Nullprinzip. Für Investitionen zahlt nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz die öffent­li­che Hand, für die Betriebskosten die Krankenkasse bzw. Pflegekasse oder der Patient selbst. Da bie­tet es sich doch an, gleich für ein welt­an­schau­lich neu­tra­les Mindestangebot an sozia­len Dienstleistungen zu sor­gen, indem die öffent­li­che Hand das Geld in einen neu­tra­len Träger steckt und nicht mehr län­ger ein kirch­li­ches Oligopol oder in eini­gen Gegenden sogar ein Monopol staat­lich finan­ziert. Dann käme es auch nicht mehr zu sol­chen Vorfällen: gerade hat­ten wir einen Handwerker im Haus, einen Kosovaren, seit 17 Jahren in Deutschland, voll inte­griert. Seit 2 Jahren hat er seine Kinder im katho­li­schen Kindergarten ange­mel­det hat, weil die ande­ren weit ent­fernt sind. Gerade habe ihm der Kindergarten mit­ge­teilt, dass man nur christ­li­che Kinder und keine mus­li­mi­schen auf­nehme. Als ich ihm sagte, auch mei­nem Mann und mir sei die Aufnahme in einem katho­li­schen Kindergarten in Königswinter vor über 30 Jahren abge­lehnt wor­den, weil sowohl mein Mann als auch ich und die bei­den Kinder kon­fes­si­ons­frei sind, erstaunte ihn das sehr: “Sie waren doch Bundestagsabgeordnete!“ (in der Tat), aber trös­ten konnte ihn das nicht.

Und so, wie man raus­fliegt, kommt man als Nichtchrist auch gar nicht erst rein. Schauen Sie mal in die Stellenanzeigen kirch­li­cher Einrichtungen: Mitgliedschaft in der Kirche und „Identifikation mit den Zielen eines christ­li­chen Trägers“ sind Voraussetzung. Die Kirchen beru­fen sich dafür auf den sog. „Verkündigungsauftrag“. Beide Kirchen ver­lan­gen dies auch für offen­sicht­lich ver­kün­di­gungs­ferne Tätigkeiten wie Physiotherapeuten, MTLA im Laborbereich, Berater für Drittmittelfinanzierung, Ärzte, Putz- und Hauspersonal. Geradezu skur­ril die Anzeige des Bischöflichen Ordinariats Eichstätt: gesucht wurde eine Reinigungskraft für 1,5 (!) Stunden in der Woche. “Wir erwar­ten die Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche sowie die Identifikation mit ihr und ihren Zielsetzungen“.

Bei der Diakonie lie­gen die Probleme eher im Outsourcing, im Lohndumping, bei über­mäs­si­ger Leiharbeit und in pre­kä­ren Arbeitsverhältnissen. Als die Beschäftigten in NRW und Niedersachsen mit Hilfe von verdi dage­gen strei­ken, zieht die Diakonie mit der Begründung „Gott bestreikt man nicht“ vors Gericht. Das Landesarbeitsgericht Hamm und das Landesarbeitsgericht Hamburg stell­ten 2011 rich­ti­ger­weise fest, dass nicht Gott bestreikt wird, son­dern die Diakonie und hat den Beschäftigten recht gege­ben. Auch ihnen stehe das Streikrecht nach Art. 9 GG zu, wenn sie recht­zei­tig Notdienstvereinbarungen vor­sä­hen.

Immer mehr Menschen weh­ren sich nun auch inner­halb von Diakonie und Caritas auch mit Hilfe von verdi. Ich sel­ber bin in der Kampagne GerDia enga­giert: Gegen reli­giöse Diskriminierung am Arbeitsplatz. Am bes­ten wäre eine sehr ein­fa­che Gesetzesänderung. Das Betriebsverfassungsgesetz hat in § 118 zwei Absätze zum Tendenzschutz. Absatz 1 gilt für Gewerkschaften, Parteien, kon­fes­sio­nel­len, kari­ta­ti­ven und erzie­he­ri­schen Einrichtungen wie z.B. der Arbeiterwohlfahrt und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Nach Absatz 2 gilt das Betriebsverfassungsgesetz über­haupt nicht für Religionsgesellschaften. Diesen zwei­ten Absatz sollte man strei­chen. Dann gilt der Absatz 1 auch für die Kirchen sowie Diakonie und Caritas. Für wirk­li­che Tendenzträger wie Pfarrer, Diakone, Ordensleute, Priester, Diakonissen haben die Kirchen dann Tendenzschutz. Aber klar wäre auch: Ärzte, Altenpfleger, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen haben kei­nen Verkündigungsauftrag, sie hei­len Kranke, pfle­gen Alte und erzie­hen Kinder. Wer nicht einer Kirche ange­hört, ist für diese Tätigkeiten ebenso wenig dis­qua­li­fi­ziert wie Menschen, die ein zwei­tes Mal hei­ra­ten oder in einer homo­se­xu­el­len Partnerschaft leben. Mir hat noch nie ein­ge­leuch­tet, warum für die Krankenschwester in der AWO etwas ande­res gel­ten soll als für die in der Diakonie.

Und da die Politik im Zweifel sehr fix han­deln kann (s.o.), sollte sie an einen mög­li­chen Druck die­ses Mal von der ande­ren Seite den­ken. Über 30 Millionen Menschen sind in Deutschland nicht in einer Kirche. Wären die Konfessionsfreien eine Konfession, wäre sie die größte. Die las­sen sich diese Verquickung von Kirche und Staat nicht ewig gefal­len, wie die erfolg­rei­chen Klagen zei­gen.

(erschie­nen am 3.8.2012 in der Financial Times Deutschland)
Veröffentlicht bei laizistische-sozis.eu
Fotoquelle: Who-Is-Hu


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