Ich habe zwei Töchter und ich bin eine von zwei Töchtern meiner Mama. Dann gibt es da noch meinen Bruder - und wir alle 3 sind die Kinder meiner Mama, die die Oma meiner Töchter ist. Klingt kompliziert, stimmt´s? Ist es auch, denn seit ich selbst Mama bin, verstehe ich erst, welches „Opfer" meine Mama für uns gebracht hat - als Alleinerziehende, als junge Mama, die noch in der Ausbildung war, als sie zum ersten Mal (mit mir) schwanger wurde. Sie hätte sich auch gegen mich entscheiden können und einen Abbruch machen, was sicherlich unter den Bedingungen jeder verstanden hätte. Sie hat es nicht getan und hat sich für mich - und später auch für meine Geschwister - entschieden, ihre Lebenspläne umgeworfen und alle Schwierigkeiten auf sich genommen, sicherlich auch ohne vorher zu wissen, welche das sind. Hätte sie anders entschieden, wenn sie gewusst hätte, dass sie uns alleine groß ziehen muss, weil die Beziehung so schwierig ist, dass die Trennung der einzige richtige Weg ist? Ich weiß es nicht und im Grunde ist es ja auch egal. Ich bin froh und dankbar, dass sie sich so entschieden hat, wie sie es ist. Denn anders wäre auch nicht besser gewesen - bestimmt nicht. Sie hat das Beste daraus gemacht, in erster Linie aus reiner Mutterliebe.
Ich bin auf der Welt - ich bin dankbar dafür und ich bin dankbar, dass auch ich diese Mutterliebe erleben darf. Obwohl ich einiges anders machen möchte, so stelle ich mehr und mehr fest, dass wir beide doch sehr ähnlich sind. Ich mache einige Dinge bewusst anders, aber ganz viele Dinge auch ganz gleich - ohne zu wissen, dass sie das auch so sieht und auch so gemacht hat. Ich bin so, wie ich bin, weil meine Mama so ist, wie sie ist und weil sie so gehandelt hat, wie sie es getan hat. In einigen Dingen frage ich sie gerne nach ihrer Meinung und auch nach Bestätigung. In anderen frage ich sie nicht, sondern handele einzig und allein nach meinem Gefühl. Und ich weiß, dass es so, wie es ist, richtig ist.
Je älter meine Kinder werden, umso mehr denke ich darüber nach, ob meine Kinder das wohl auch so sehen, dass es so, wie ich es tue, richtig ist. Und ich denke darüber nach, wie es mal ist, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Werden sie auch regelmäßig und gerne nach Hause kommen? Ist ihr Zuhause ein Zuhause, wo sie gerne hinkommen? Ist unsere Bindung so stark, dass sie auch dann hält, wenn sie vielleicht selbst eine Familie haben oder zumindest ihre eigenen Wege gehen?
So, wie meine Mama jetzt lebt, stelle ich es mir ziemlich einsam vor. Sie ist ganz allein in diesem großen Haus, in ihrem eigenen Haus, dass sie sich selbst ermöglicht hat. Es ist IHR HAUS - sie hat es sich aufgebaut und so eingerichtet, wie es ihr gefällt, nach ihren Möglichkeiten und Wünschen. Für ihre Kinder ist ein Zimmer vorhanden, wir können also, wenn wir möchten, jederzeit zu ihr kommen und dort übernachten. Ich fahre mit meinen Kindern mindestens einmal im Monat zu ihr, würde gern auch öfter, aber aufgrund der Entfernung und Fahrzeit ist dies nicht immer möglich. Es tut mir sehr leid, dass es nicht so wie früher zu meiner Oma nur 10 km sind, die wir überbrücken müssen. Trotzdem denke ich, dass die Bindung zwischen Oma und Enkelkindern genauso stark ist wie ich sie zu meiner Oma hatte. Meine Kinder haben noch nie bei ihr allein übernachtet. Ich im Alter meiner Kinder habe früher regelmäßig bei meiner Oma übernachtet, weil meine Mama Nachtschicht auf der Intensivstation gearbeitet hat. So konnte sie tagsüber für uns da sein. Ich denke, auch das ist ein großes Opfer, das sie gebracht hat, denn sie hat uns vermutlich genauso vermisst wie ich meine Kinder vermisse, wenn wir getrennt voneinander sind. Die Nächte, in denen sie gearbeitet hat, waren sicherlich das kleinstmögliche Übel, das sie eingegangen ist verglichen mit den Möglichkeiten, die dadurch entstanden, nämlich dass sie die Tage für uns hat und auch aufgrund der Nachtschichtzulagen ihr Einkommen noch aufbessern konnte.
Und heute - heute ist sie allein, arbeitet nicht mehr, weil sie es nicht mehr kann: Erwerbsunfähigkeit. Sie hat sich kaputt gearbeitet - durch die schweren Patienten, die sie heben musste, durch den Druck, der dauerhaft auf ihren Schultern lastete, ob sie es schafft, für uns allein zu sorgen und nicht zuletzt auch aus Veranlagung der körperlichen Beschwerden. Und ich bin die Tochter, die älteste Tochter, und mache mir Sorgen. Ich bin so weit weg. Momentan schafft sie es noch, mehr oder weniger, allein zurecht zu kommen in ihrem Haus. Durch ihren Hund bleibt sie aktiv, denn er muss natürlich jeden Tag mehrmals rausgehen und sie ist gezwungen, sich zu bewegen. Und durch ihn ist sie nicht ganz allein, auch wenn er natürlich eien Menschenkontakt nicht ersetzt. Trotz dieser Einsamkeit sagt sie, dass sie zufrieden ist mit dem, was sie hat. Das glaube ich ihr, auch wenn das aus meiner Perspektive nicht nach Glück aussieht. Aber für jeden ist Glück etwas anderes. Alle ihre Kinder kommen mehr oder weniger regelmäßig zu Besuch, auch wenn wir untereinander nicht immer zusammenhalten. Der Kontakt mit meinem Bruder existiert nicht, dafür halten meine Schwester und ich wenigstens gut zusammen. Es gibt also nie ein richtiges Familientreffen bei ihr, aber jeder von uns Geschwistern hat zu ihr den Kontakt. Und davon zehrt sie dann wahrscheinlich für die Tage, an denen sie allein ist. Sie hat zwei Enkelkinder, die zusammen mit mir regelmäßig zu ihr kommen. Und wenn wir bei ihr sind, dann vergisst sie für einen Moment die Einsamkeit. Sie macht es sich so, wie es für sie passt. Ich denke, wenn ich so allein wäre, würde ich wahrscheinlich depressiv werden und keine Ahnung. . . Sie hat ihr Leben im Griff, sie isst regelmäßig, kocht auch für sich allein und hat alles im Haus, was sie braucht, wenn es auch aus meiner Perspektive minimalistisch ist. Sie hat einen ganz anderen Anspruch als ich und das ist auch ok. Auch wenn meine Kinder wahrscheinlich niemals bei ihr allein übernachten können, weil die Fahrt für mich zu weit ist, um sie hin- und zurückzubringen und für sie es auch wahrscheinlich zu anstrengend ist, so werden sie doch eine gemeinsame schöne Zeit zusammen haben. Eben ganz anders, als ich sie mit meinen Großeltern hatte, aber es muss ja nicht alles gleich sein. Hauptsache schön.
Gedanken mache ich mir um die Zukunft: Was, wenn sie mal nicht mehr allein in ihrem Haus zurecht kommt? Was, wenn sie ein Pflegefall wird? Was, wenn sie nicht mehr für ihren Hund sorgen kann? Was, wenn sie sich doch einsam fühlt und wenn sie nicht mehr von den seltenen Besuchen zehrt, sondern mehr Anwesenheit braucht? Ich hätte aufgrund meiner Teilzeittätigkeit zwar die Zeit, mich mehr um sie zu kümmern aber ich bin weit weg? Mein Bruder und meine Schwester wohnen zwar näher, aber auch nicht mal eben um die Ecke und sie arbeiten Vollzeit. Und meine Mama ist der Typ Mensch, der niemals freiwillig sagt, es geht nicht mehr, solange es doch noch irgendwie geht. Besonders meine Schwester und ich machen uns Gedanken um die Zukunft. Wann ist der Zeitpunkt, an dem sie wirklich Hilfe braucht, nach der sie niemals fragen wird. Wir mit unseren Augen sehen die Verschlechterung - körperlich. Mental ist sie immer optimistisch und denkt, das geht schon irgendwie und es findet sich ein Weg. Wir machen uns die Gedanken, welcher Weg und wie es sein wird, sowohl wer finanziell dafür aufkommt als auch zeitlich. Meine Mama spricht davon, dass sie dann halt in ein Pflegeheim geht oder eine Pflegekraft zu ihr kommt. Aber ist es wirklich das, wofür sie sich krumm gearbeitet hat und wofür sie 3 Kinder hat? Sie sagt, sie hat uns zur Selbstständigkeit erzogen und ist stolz, dass wir alle auf eigenen Beinen stehen - und bestimmt nicht später Kompromisse eingehen sollen, um für sie zu sorgen? Aber welche Kompromisse ist sie eingegangen für uns? Auf was hat sie alles verzichtet, damit sie für uns sorgen kann? Ist es denn dann nicht nur gerecht, dass wir auch für sie nun verzichten und für sie sorgen, wenn sie nicht mehr kann? Diese Gedanken sind belastend und nicht wegzuschieben, sie sind immer da. Irgendwie schade, dass man nicht weiß, was kommt, aber irgendwie auch gut, dass man nicht weiß, was kommt. Und in einem hat meine Mama wirklich recht: wenn es soweit ist, findet sich immer eine Lösung, weil es eben sein muss. Aber wir wollen nicht irgendeine Lösung, sondern eine gute Lösung, damit meine Mama glücklich ist und einen Lohn für ihre Mühen bekommt, die sie auf sich genommen hat, um uns 3 großzuziehen. Ich wünsche mir für sie und für uns, dass wir zusammenhalten, alle von den Treffen zehren können und dass es eine gute Lösung gibt, die für uns alle passt. Für uns Geschwister und auch für meine Mama wünsche ich mir, dass wir einen Weg zueinander finden und dass es vielleicht doch ein Familientreffen gibt. Bald ist Weihnachten und da darf man sich was wünschen . . . es muss ja nicht immer etwas Materielles sein, sondern auch etwas ganz Persönliches, Emotionales, das glücklich macht. Und Wünsche sind da, um in Erfüllung zu gehen! Das, was ich daran beeinflussen kann, bin ich bereit zu tun - der Rest klappt dann vielleicht hoffentlich durch eine höhere Macht! Gott hat seinen Sohn in die Welt geschickt, um die Welt ein bisschen besser zu machen - im Großen und im Kleinen.
Eure Mami Renate31 total views, 31 views today