Foto: BKA/Regina Aigner
In Wien gibt es die erste Notwohnung für Opfer von Zwangsheirat in Österreich. Die Einrichtung des Hilfsvereins „Orient Express“ wird von Frauen- und Innenministerium finanziert.Es ist die wahrscheinlich wirkungsvollste und mit Sicherheit die konkreteste Hilfe für Opfer von Zwangsheirat, die es bisher im Land gibt. Der Hilfsverein „Orient Express“ betreibt eine Wohnung in Wien, in der bis zu zehn Frauen Zuflucht finden, die gegen ihren Willen verheiratet worden sind. Wahrscheinlich auch eine wichtige Voraussetzung, um jene zur Verantwortung zu ziehen, die ihnen Hochzeit und Ehemann aufgezwungen haben. So nicht gewährleistet ist, dass die Verantwortlichen vor Gericht kommen, nützen auch die strengsten Strafen wenig.
Aus der Sicherheit der Zufluchtsstätte heraus ist es für die Betroffenen einfacher, Anzeige zu erstatten als von der Wohnung einer Freundin aus, die der Ehemann oder Vater vermutlich wesentlich einfacher ausfindig machen könnte, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf einer Pressekonferenz erklärt, auf der die Notwohnung vorgestellt wird: „Die Zwangsverheiratung geschieht meist im Verborgenen, die Frauen können manchmal zu wenig Deutsch, sind zur Unterordnung erzogen und kennen die österreichische Rechtslage nicht. So ist die Dunkelziffer hoch. Dank der Öffentlichkeitsarbeit von Orient-Express wenden sich nun immer mehr Mädchen um Hilfe an den Verein, mit dem die Polizei sehr gut zusammenarbeiten kann.“
Der Verein „Orient Express“ hat im Vorjahr nach eigenen Angaben 89 Frauen beraten. Betroffene genauso wie Freundinnen oder Verwandte, die sich hier erkundigt haben, wie sie den Opfern helfen können. Vermutlich ist das nur ein geringer Teil der direkt und indirekt Betroffenen. Hauptbetroffen sind Türkinnen, sagt Meltem Weiland von „Orient Express“. Das schon aus demografischen Gründen. Türken sind die zweitgrößte Migrantengruppe in Österreich, nach den Serben. Auch Araberinnen und Koptinnen aus Ägypten, die gegen ihren Willen verheiratet wurden, wenden sich an Orient Express, sagt Weiland: „Zwangsehen sind quer durch die Nationen und Religionen breit gestreut und nicht auf den muslimischen Kulturkreis beschränkt.“
Dass die Wohnung gerade zu Beginn des Sommers vorgestellt wurde, hat nichts mit publizistischem Kalkül zu tun, Stichwort Sommerloch. Jetzt sei die Zeit, in der Opfer die meiste Hilfe benötigen, schildert Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. „Wir wissen, dass besonders die Ferienzeit gefährlich für die Mädchen ist. Im Sommer werden sie zur Heirat in ihr Heimatland geschickt oder wird ihr künftiger Partner nach Österreich geholt.“
Wo die Wohnung liegt, halten Verein und Republik aus nachvollziehbaren Gründen geheim. Sie soll bis zu zehn Betroffenen Schutz bieten und hat eine Schlafstelle für die Betreuerinnen des Vereins. Außerdem gibt es eine Direktverbindung mit der Polizei, für alle Fälle. „Damit wollen wir den jungen Frauen, die unter starkem Druck stehen, den Weg in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben ermöglichen“, sagt Ministerin Heinisch Hosek. Weiland ergänzt: „Es ist sehr schwer, ein 16jähriges Mädchen, das die Familie verlassen muss, aufzufangen. Wir sind deshalb froh, dass wir nun eine geeignete Betreuungsmöglichkeit haben“.
Die Kosten für die Notwohnung teilen sich Frauen- und Innenministerium.
Christoph Baumgarten