Wir empören uns über so viele kleine und große Dinge in unserem Alltag. Sei es die verspätete Bahn, die auf sich warten lässt, oder die unfreundliche Bäckerin, die uns bedient. Oft empören wir uns auch über unsere Mitmenschen, die sich zuweilen recht unfreundlich und aggressiv verhalten. Wir empören uns über die verlogenen Politiker, die den schönen Schein wahren möchten und dabei keine Lüge auslassen. Auch empören wir uns über die Scheinheiligkeit von Fernsehbildern, die eine verzerrte Realität wiedergeben. Über das viele Leid, welches durch Krieg, Gier und Machttrunkenheit erzeugt wird. Über die vielen Toten durch Hunger und Armut.
Oder haben wir uns der Ungerechtigkeit und dem Elend ergeben und haben eine passive, gar gleichgültige Haltung eingenommen? Glauben wir tatsächlich, dass wir nichts ändern können? Uns dem ‚Schicksal’ ergeben und alles hinnehmen zu müssen?
Stephane Hessel, Mitglied der Resistance, KZ Überlebender und Mitverfasser der Menschenrechtserklärung (1948) der Vereinten Nationen ruft in seiner Streitschrift „Empört euch!“ zu mehr Engagement auf und prangert die soziale, politische und wirtschaftliche Ungerechtigkeit an.
Grundmotiv der Resistance, die damals gegen Hitler kämpfte, sei die Empörung gewesen. Eine Grundvoraussetzung für den Widerstand.
„Mischt euch ein, empört euch! Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, die Intellektuellen, die ganze Gesellschaft dürften sich nicht klein machen und kleinkriegen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte, die es so weit gebracht hat, Frieden und Demokratie zu gefährden.“ (S.10)
„Wenn man sich über etwas empört, wie mich der Naziwahn empört hat, wird man aktiv, stark und engagiert.“ (S.10)
Hessel widmet dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ebenfalls einen Abschnitt. Er empört sich über die Verhältnisse im Gazastreifen und im Westjordanland und unterstützt den Goldstone-Bericht über den Gazaangriff 2008, in dem der südafrikanische Richter mit jüdischer Herkunft, der israelischen Militäroffensive „Gegossenes Blei“ Kriegsverbrechen und ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ attestiert.
„Ich habe – nicht als Einziger – bemerkt, wie die israelische Regierung reagiert, wenn die Bürger von Bil’in jeden Freitag gewaltlos, ohne Steine zu werfen, an die Mauer gehen, die der Gegenstand ihres Protestes ist. Die israelischen Behörden haben diesen Marsch als „gewaltlosen Terrorismus“ charakterisiert. Nicht schlecht… Um Gewaltlosigkeit terroristisch zu nennen, muss man schon in der Lage der Israelis sein. Und vor allem muss einen die Wirksamkeit der Gewaltlosigkeit irritieren, die darauf setzt, von allen Gegnern von Unterdrückung in der Welt verstanden und unterstützt zu werden.“ (S.19)
Er schließt sein 15-seitiges Schriftstück mit den Worten:
„Neues schaffen heißt
Widerstand leisten.
Widerstand leisten heißt
Neues schaffen.“ (S. 21)
Wir dürfen unsere Empörung nicht runterschlucken und sie für uns behalten. Wir haben die Pflicht, sie sinnvoll zu kanalisieren und effektiv zu nutzen. Denn nur so sind wir in der Lage, Zustände verändern zu können. Der Glaube an eine mögliche Veränderung ist ein wichtiger Schritt. Doch vorerst muss die Wut und Empörung über die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit, von jedem von uns Besitz ergreifen, damit der Funke zur Veränderung fallen kann. Die denkbar schlimmste Gefahr lauert in der Gleichgültigkeit gegenüber Vorfällen und Geschehnissen. Sie lähmt uns nicht nur in unserem Denken, sondern auch in unserem möglichen Handeln. Und wer nicht handelt, macht sich ebenfalls schuldig.
Eure Lina.