Wie man St. Paulis gute Seele abriss

Die Gentrifizierung schreitet voran. Metropolen werden nicht saniert, sondern mit Neubauten herausgeputzt. Denn finanzstarke Bürger sollen in die Innenstädte ziehen. Alte Bewohner müssen weichen. Weil sie weniger reich sind als die von Investoren anvisierten Zielgruppen, lassen die Investoren bisherige Bewohner so lange in den sanierungsbedürftigen Gebäuden leben, bis diese Gebäude verfallen und schließlich nur noch abgerissen werden können. Auf den Grundstücken entstehen dann Luxus-Immobilien.

Die „Esso-Häuser“ in Hamburg waren für die Vorgehensweise ein anschauliches Beispiel. „Die gute Seele von St. Pauli“ nannte ein Bewohner diese Häuser. Mittlerweile sind sie Baukränen zum Opfer gefallen. Der neue Dokumentarfilm „buy buy st. pauli“ dokumentiert den Kampf der Bewohner um ihr Zuhause, die Solidarität, die während dieses Kampfes durch die „Initiative Esso-Häuser“ entstand, die vielen Aktionen, die auf die Beine gestellt wurden, um die über 50 Jahre alten Gebäude zu retten und die Hoffnung, dass doch noch etwas Gutes aus alldem entstehen kann. Der Film gibt aber auch die Ansichten der Bayerischen Hausbau und dem Hamburger Bezirksamt Mitte auf der anderen Seite wieder. In 88 Minuten präsentieren die beiden Sozialarbeiter Irene Bude und Olaf Sobczak sowie Steffen Jörg von der GWA St.Pauli die markantesten Szenen aus ihrem über drei Jahre hinweg gedrehten Material. Herausgekommen ist eine berührende Dokumentation über ein Stück Zeitgeschichte. Sie feiert am 2. November Premiere im Ballsaal (Südtribühne) des FC St.Pauli. DerSpotnik traf sich mit Olaf Sobczak zum Interview im Café Geyer.

DerSpotnik : Irene, Steffen und du habt ja bereits einen Film über die Gentrifizierung in Hamburg gedreht. „Empire St.Pauli – von Perlenketten und Platzverweisen“ erhielt 2009 sogar den den Hamburger Dokumentarfilmpreis. Warum jetzt noch „buy, buy st.pauli“?

Olaf Sobczak: „Wir leben auf St. Pauli, Steffen arbeitet hier in der GWA. Natürlich haben wir recht früh gehört, dass die Esso-Häuser verkauft werden sollen. Die Bayerische Hausbau hat die Mieter ziemlich schnell unter Druck gesetzt: Am 27. September 2009 erhielten die Mieter mit befristeten Verträgen das Angebot zum Abschluss eines neuen befristeten Vertrages. Bis zum 5. Oktober 2009 sollten Sie unterschrieben haben oder gehen. Die GWA St. Pauli hat dann mit der Mietrechtsanwältin Christiane Hollander von „Mieter helfen Mietern“ eine Mieterversammlung einberufen. Daraus ist dann die Ini für den Erhalt der Esso-Häuser entstanden. Über die GWA St. Pauli haben wir einige Mieter kennengelernt und von ihrer bedrohlichen Situation erfahren. Dann war relativ schnell klar, dass wir das in einem Film thematisieren möchten. Für uns ist das das Medium, politisch Stellung zu beziehen.“

DerSpotnik: Ihr wart bei fast allen Veranstaltungen dabei, die es zu den „Esso-Häusern“ gab. Ihr habt sogar auf Info-Abenden des Bezirksamts Mitte gedreht. Außerdem habt ihr ein Interview mit Bernhard Taubenberger, dem Leiter Kommunikation & Strategisches Marketing der Bayerischen Hausbau, bekommen. Dabei wusste doch sowohl Andy Grote als auch die Bayerische Hausbau, auf welcher Seite ihr steht. Wie habt ihr das hinbekommen?

Olaf Sobczak: „Das war nicht einfach. Bei der Bürger-Info des Bezirksamts Mitte hat man uns vor der Veranstaltung zu verstehen gegeben, dass wir nicht erwünscht sind. Das kam sogar von der Moderation, die sagte: ‘Wir wollen keine Filmaufnahmen!’ Daraufhin regte sich aber starker Protest im Publikum, so dass wir doch noch drehen konnten.

Herr Taubenberger hat uns lange Zeit hingehalten. Wir haben aber nicht aufgegeben. Schließlich fanden wir über unseren Rechtsanwalt eine Einigung mit den Rechtsanwälten der Bayerischen Hausbau und haben das Interview bekommen. Danach war die Zusammenarbeit mit Herrn Taubenberger kooperativ. Auch wenn er darauf bestand, vorher abzunehmen, was wir aus dem Interview für den Film verwenden.“

DerSpotnik: Wie sah die Arbeit der Initiative aus?

Olaf Sobczak: „Das war ein langer, kräfteraubender Kampf. Die Ini hatte ja auf mehreren Ebenen gleichzeitig ‘Überzeugungsarbeit’ zu leisten. Zum einen hatte die Ini den Investor als eindeutigen Gegenspieler, aber auch die Parteien und die Behörden mussten überzeugt werden. Und es war ja auch immer ein Kampf um die Deutungshoheit, um Öffentlichkeit. Die bürgerlich-konservativen Medien waren kaum erreichbar. Da ist die Ini anfangs kaum durchgedrungen. Wenn es nach denen ginge, hätte man die Häuser gleich abreißen können. Erst nach und nach fand dann die Ini über Aktionen und Demos Gehör in den Mainstream-Medien. Dann musste die Ini sich ja auch in der Sache selber schlau machen, Gespräche mit Architekten und Planern führen um herauszufinden, was geht. Wenn dann am Ende alles scheinbar umsonst war, dann führt das auch zu einer Verzweiflung oder Resignation oder halt auch zu einer Radikalisierung. Das zeigt auch der Verlauf einer im Film gezeigten Pressekonferenz der Ini nach der Kündigung der Gewerbetreibenden, die dann vor dem Nichts standen. Solche Rückschläge hauen einen erst einmal um, machen einen sprachlos und wütend. So ging es der Ini eigentlich ständig. Eine schlechte Nachricht nach der anderen. Und trotzdem sind wir immer wieder aufgestanden, haben uns gesammelt und haben nach neuen Lösungen gesucht.“

DerSpotnik: Im Film ist zu sehen, wie die Bewohner über das Vorgehen des Investors spekulieren. Einmal wird gemutmaßt, dass man mit Beseitigung der Grünanlagen die Wohnqualität mindern wolle, ein anderes Mal äußert sich ein Mieter misstrauisch zur Befestigung der Balkone. „Da werden bestimmt noch mehr Risse reingehauen“, sagt er. Nachdem Bewohner wohl die Polizei darüber informiert hatten, dass ein Gebäude bereits wackelt, wurden alle Bewohner auf einmal evakuiert. Wie bewertet ihr das?

Olaf Sobczak: „Wir können das auch nur quasi als Laien beurteilen. Obwohl man manche Merkwürdigkeiten nicht unerwähnt lassen sollte. Nach der Evakuierung durften wir mit dem Filmteam nicht mehr ins Haus. Die Bewohner erhielten den Zugang nur zu zweit und nur in Begleitung von Security-Leuten. Auf der anderen Seite blieb die tonnenschwere Leucht-Reklamekonstruktion aber an der Fassade hängen. Dafür waren wohl alle Reglementierungen aufgehoben. Und bei den Auszügen durften dann beliebig viele Mitarbeiter des Umzugsunternehmens gleichzeitig in die Häuser.

Im Grunde genommen ist das aber gar nicht der Punkt. Die Frage ist doch, warum Hauseigentümer, die ihren Pflichten der Instandhaltung nicht nachkommen, unbelangt bleiben. Die Ini hat über einen Anwalt versucht den Bezirk aufzufordern, wegen Verletzung des Wohnraumschutzgesetzes tätig zu werden. Das hat der Bezirk dann leider abgelehnt. Eine Sanierung des Hauses könne man nur verlangen, wenn sie die Kosten eines Neubaus nicht übersteige, hieß es. Da sind dann Wirtschaftlichkeitskriterien auf einmal wieder ausschlaggebend.“

DerSpotnik: Lautet das Ergebnis der Erfahrung mit den Esso-Häusern also: „Keine Hoffnung für Mieter in sanierungsbedürftigen Häusern?“

Olaf Sobczak: „Nein. Dort, wo die Kult-Tanke stand, steht jetzt die Planbude. Wir nehmen das Beteiligungsverfahren für den Neubau ernst und sehen es schon als Riesenerfolg an, dass das überhaupt möglich ist. Alle ehemaligen Bewohner, Gewerbetreibende und St. Paulianer sind dazu aufgerufen, zur Planbude zu kommen und ihre Ideen einzubringen. Jetzt sollen Vorschläge gesammelt werden. Damit ist aber noch nichts gewonnen. Wir werden auch dabei sein und den weiteren Entscheidungsprozess genau verfolgen.“

DerSpotnik: Nicht alle Protagonisten eures Films sind mehr vor Ort. Heinz Battré, der im Alter von 99 Jahren noch einmal in ein Hotel und dann in ein Seniorenheim umziehen musste, ist bereits verstorben…

Olaf Sobczak: Ja, leider. Bei seiner Lebensgefährtin Ruth Oberdieck hat die Evakuierung sicherlich auch ein Trauma ausgelöst. „Erst sind wir vor den Russen geflohen und jetzt das“, sagt sie in unserem Film. Uns war auch wichtig, dass das mit drin ist.

Mehr zu dem Film:

http://www.buybuy-stpauli.de

[email protected]

Premiere Sonntag, 2.11.2014, ab 17 Uhr im Ballsaal (Südtribüne) des FC St. Pauli

Weitere Termine in Hamburg:

Mittwoch | 5. November 2014 | 19:00 Uhr
Brakula – Bramfelder Kulturladen | Bramfelder Chaussee 265

Donnerstag | 6. November 2014 | 19:00 Uhr
ella Kulturhaus Langenhorn | Käkenflur 30 über Iserlohner Stieg

Dienstag | 25. November 2014 | 20:00 Uhr
Eidelstedter Bürgerhaus

Mittwoch | 26. November 2014 | 19:30 Uhr
Barmbek°Basch | Wohldorfer Str. 30 (Nähe U-Bahn Dehnhaide)

Montag | 1. Dezember 2014 | 22:30 Uhr
Zeise Kino

Mittwoch | 3. Dezember 2014 | 19:00 Uhr
3001 Kino

Sonntag | 7. Dezember 2014 | 17:00 Uhr
Metropolis Kino

Sonntag | 14. Dezember 2014 | 20:15 Uhr
Molotow

Montag | 18. Dezember 2014 | 21:15 Uhr
Metropolis Kino

Weitere Termine außerhalb Hamburg:

Dienstag | 4. November 2014 | 18:00 Uhr
HAU Hebbel am Ufer | Stresemannstr. 29 | Berlin
Im Rahmen von Phantasma und Poltik #9 – Agitation für unbillige Lösungen

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/spielplan/2014-11/#2014_11_04

Freitag | 14.November 2014 | 22:30 Uhr
E-Werk, Kammertheater | Freiburg
im Rahmen des Festival Politik im Freien Theater

Freitag | 5. Dezember 2014 | 18:00
im Rahmen von „this human world- International Human Rights Festival Wien“

http://thishumanworld.com/



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