Das Zusammenleben bei meinen Eltern auf so engem Raum war nicht immer einfach. Beide mussten hart und lange arbeiten, versorgten nebenher nachmittags meine Kinder und brachten sie abends zu Bett, da ich ja bis 23 Uhr arbeitete.
An den Wochenenden dann hätten sie Ruhe gebraucht, um Kraft für die nächste Woche zu schöpfen. Doch mit mir und meinen beiden kleinen Kindern in ihrer Wohnung war das nicht möglich.
Bianca und Marco waren damals noch Frühaufsteher. Spätestens um sieben Uhr waren beide putzmunter und wollten bespaßt werden. So kamen meine Eltern mit mir überein, dass ich am Sonntag morgen mit den beiden ganz früh das Haus verließ, mit ihnen Unternehmungen machte und erst gegen Mittag wieder zurück kam. So konnten meine Eltern wenigstens am Sonntag etwas länger schlafen.
Mal ging ich mit den Kindern im Wald spazieren, mal waren wir auf einem Spielplatz, der etwas außerhalb lag. Dann kam ich auf die Idee, mit den Kindern S-Bahn zu fahren. Beide kannten keine S-Bahn, denn in Cremona gab es keine. Also fuhr ich am nächsten Sonntagmorgen mit dem Auto zur nächstgelegenen S-Bahn-Haltestelle und stieg mit den Kindern in die Bahn. Die Fahrt ging zum Stuttgarter Hauptbahnhof und es machte beiden großen Spaß. Anschließend flanierten wir die Königstraße rauf und runter, bestaunten Straßenmusikanten und jeder bekam ein Eis. Zum nahe gelegenen Schlossgarten gingen wir auch und die Kinder freuten sich über den schönen Spielplatz dort. Dann fuhren wir mit der S-Bahn wieder zurück. Als wir bei meinen Eltern ankamen, waren diese bereits aufgestanden und dankbar für die paar Stunden Ruhe, die sie gehabt hatten.
Das Gleiche unternahm ich den Sonntag darauf wieder mit den Kindern. Sie wollten unbedingt wieder S-Bahn fahren. Auch dieses Mal hatten beide ihren Spaß. Als wir allerdings nach der Heimfahrt aus der Bahn ausstiegen bemerkte ich, dass Bianca etwas bedrückte. Ich fragte sie, ob sie mir sagen wolle, was sie denn bedrücken würde und Bianca antwortete:"Ach Mama, jetzt bin ich schon zwei Mal mit der S-Bahn hin und her gefahren, aber mir hat noch keiner was zu Essen gebracht. Wieso heißt die S-Bahn denn dann eigentlich "Essbahn?"
Ich musste mehr als herzhaft lachen und erklärte ihr, dass die S-Bahn absolut nichts mit essen zu tun hatte. Traurig nahm sie meine Erklärung zur Kenntnis. Danach machte ihr das S-Bahn-Fahren keinen Spaß mehr und ich musste mir was Neues einfallen lassen.
Bianca fragte immer öfter nach ihrem Vater. Sie wollte wissen, wann wir wieder zu ihm zurück gehen würden. Mir wurde das Herz immer schwerer, denn ich wusste, dass ich ihr bald sagen musste, dass wir nie wieder nach Italien zurück kehren würden.
Eines Tages war es soweit. Wieder fragte sie, wann wir denn endlich zu Papa nach Hause gehen würden. Da nahm ich sie auf den Schoß und versuchte ihr, so schonend wie möglich zu erklären, dass wir hier bleiben würden, den Papa aber immer wieder besuchen gehen würden. Wie erklärt man einem 4 1/2-jährigen Mädchen auf schonende Weise, dass es ihr bisheriges Leben nicht mehr gab? Dass ihre Eltern sich getrennt hatten und sie nun nur noch ihre Mutter täglich um sich hatte? Dass sie ihre Freundinnen nicht mehr sehen würde? Dass sie ihr Zuhause verloren hatte? Ich wusste es nicht. Ich stammelte, suchte nach den richtigenWorten und streichelte ihr die ganze Zeit liebevoll über den Rücken. Ihr Blick hing förmlich an meinen Lippen. Ich weiß nicht mehr, was genau ich ihr gesagt habe. Dafür aber erinnere ich mich genauestens an ihre Reaktion. Zuerst schaute sie mich ungläubig an. Dann schüttelte sie die ganze Zeit den Kopf und sagte immer und immer wieder:"Nein! Nein! Nein!" Zum Schluss brach sie weinend in meinen Armen zusammen.
Sie weinte und weinte. Ihr kleiner Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Und immer wieder schrie sie:"Nein! Nein! Papa! Papa!"
Ich streichelte sie und sprach die ganze Zeit beruhigend auf sie ein. Irgendwann schlief sie vor lauter Erschöpfung in meinen Armen ein.
Auch ich weinte.Ich weinte, weil ich meinen Kindern das antat. Ich weinte, weil ich ihr den Schmerz nicht nehmen konnte. Ich weinte, weil mich ihr Weinen so sehr schmerzte.
Vorsichtig legte ich sie ins Bett und deckte sie liebevoll zu.
Was hatten wir unseren Kindern nur angetan! Wieder kam ich ins Zweifeln, ob meine Entscheidung die Richtige gewesen war. Vor allem, nachdem ich gesehen hatte, dass Italo tatsächlich die Entgiftung gemacht hatte. Vielleicht hätten wir jetzt doch noch eine Chance? Ich denke, jede/r Leser/in , der/die eine Trennung durchgemacht hat, weiß, wovon ich rede. Die erste Zeit nach der Trennung ist schwer, man grübelt und überlegt, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, ob man wirklich alles probiert hat, um die Trennung zu vermeiden. Man erinnert sich an schöne Erlebnisse und denkt, dass alles doch gar nicht so schlimm war und dass man auch wundervolle Zeiten zusammen hatte. Bei mir kam noch der Gedanke dazu:"Und was ist, wenn du es alleine mit den Kindern nicht schaffst?"
Immer wenn ich merkte, dass meine Gedanken darum kreisten, dann verbot ich mir, an die schönen gemeinsam erlebten Situationen zu denken. Ich musste nicht lange in meinem Gedächtnis graben nach den unschönen Situationen meiner Ehe und hielt mir diese vor mein inneres Auge. Dann fiel es mir wieder leichter, mir einzugestehen, dass die Trennung das einzig Richtige gewesen war.
Bianca war die nächsten Tage auffällig still. Auffällig war auch, dass sie ab diesem Tag kein Wort italienisch mehr sprach. Bis dahin hatten wir zuhause oft italienisch miteinander gesprochen, wie gerne hätte ich sie weiterhin 2-sprachig erzogen. Doch sie verweigerte sich. Auf mein Nachfragen, warum sie denn kein italienisch mehr sprechen wolle, sagte sie:"Wir sind jetzt hier in Deutschland. Hier versteht mich doch keiner, wenn ich italienisch spreche. Deswegen möchte ich nur noch deutsch sprechen!"
Heute glaube ich, dass das ihre Art war, mit der Vergangenheit in Italien abzuschließen. Sie machte auf ihre Art einen sauberen Schnitt.
Die nächste Zeit sprachen wir wenig über ihren Papa. Bald sollte sie auch abgelenkt sein, denn wie durch ein Wunder fand ich eine KiTa für sie und durch die KiTa auch einen Krippenplatz für Marco. Meine vielen Telefonate hatten sich endlich doch gelohnt. Ich fand eine KiTa der evangelischen Kirche, die ganz neu gebaut war. Sie suchten noch Kinder. Als ich erzählte, dass ich außerhalb von Stuttgart wohnte, war die Heimleiterin nicht begeistert, aber sie ging auf meine Notsituation ein und gab mir einen Platz für Bianca. Sie meinte, dass ich innerhalb der nächsten Monate eine Wohnung in Stuttgart vorweisen müsse, sonst müsste sie mir den Platz wieder kündigen. Aber vorerst würde sie mir den Platz auch ohne Wohnsitz in Stuttgart geben. Das war noch nicht genug. In einer nahegelegenen Querstraße war eine Kinderkrippe der evangelischen Kirche. Dort wurden Kinder von 0 - 3 Jahren aufgenommen. Die Kinderkrippe arbeitete mit der KiTa zusammen und auch dort war zufällig gerade ein Platz frei geworden. Diesen Platz bekam Marco. Es galten dort die gleichen Auflagen. Ich war unendlich glücklich. Nun war der Weg frei, eine Arbeit in meinem erlernten Beruf als Industriekauffrau zu suchen. Dann würde ich auch genug Geld verdienen, um uns eine eigene Wohnung mieten zu können.
Die Perspektiven wurden immer besser. Schritt für Schritt ging es voran.
An den Wochenenden dann hätten sie Ruhe gebraucht, um Kraft für die nächste Woche zu schöpfen. Doch mit mir und meinen beiden kleinen Kindern in ihrer Wohnung war das nicht möglich.
Bianca und Marco waren damals noch Frühaufsteher. Spätestens um sieben Uhr waren beide putzmunter und wollten bespaßt werden. So kamen meine Eltern mit mir überein, dass ich am Sonntag morgen mit den beiden ganz früh das Haus verließ, mit ihnen Unternehmungen machte und erst gegen Mittag wieder zurück kam. So konnten meine Eltern wenigstens am Sonntag etwas länger schlafen.
Mal ging ich mit den Kindern im Wald spazieren, mal waren wir auf einem Spielplatz, der etwas außerhalb lag. Dann kam ich auf die Idee, mit den Kindern S-Bahn zu fahren. Beide kannten keine S-Bahn, denn in Cremona gab es keine. Also fuhr ich am nächsten Sonntagmorgen mit dem Auto zur nächstgelegenen S-Bahn-Haltestelle und stieg mit den Kindern in die Bahn. Die Fahrt ging zum Stuttgarter Hauptbahnhof und es machte beiden großen Spaß. Anschließend flanierten wir die Königstraße rauf und runter, bestaunten Straßenmusikanten und jeder bekam ein Eis. Zum nahe gelegenen Schlossgarten gingen wir auch und die Kinder freuten sich über den schönen Spielplatz dort. Dann fuhren wir mit der S-Bahn wieder zurück. Als wir bei meinen Eltern ankamen, waren diese bereits aufgestanden und dankbar für die paar Stunden Ruhe, die sie gehabt hatten.
Das Gleiche unternahm ich den Sonntag darauf wieder mit den Kindern. Sie wollten unbedingt wieder S-Bahn fahren. Auch dieses Mal hatten beide ihren Spaß. Als wir allerdings nach der Heimfahrt aus der Bahn ausstiegen bemerkte ich, dass Bianca etwas bedrückte. Ich fragte sie, ob sie mir sagen wolle, was sie denn bedrücken würde und Bianca antwortete:"Ach Mama, jetzt bin ich schon zwei Mal mit der S-Bahn hin und her gefahren, aber mir hat noch keiner was zu Essen gebracht. Wieso heißt die S-Bahn denn dann eigentlich "Essbahn?"
Ich musste mehr als herzhaft lachen und erklärte ihr, dass die S-Bahn absolut nichts mit essen zu tun hatte. Traurig nahm sie meine Erklärung zur Kenntnis. Danach machte ihr das S-Bahn-Fahren keinen Spaß mehr und ich musste mir was Neues einfallen lassen.
Bianca fragte immer öfter nach ihrem Vater. Sie wollte wissen, wann wir wieder zu ihm zurück gehen würden. Mir wurde das Herz immer schwerer, denn ich wusste, dass ich ihr bald sagen musste, dass wir nie wieder nach Italien zurück kehren würden.
Eines Tages war es soweit. Wieder fragte sie, wann wir denn endlich zu Papa nach Hause gehen würden. Da nahm ich sie auf den Schoß und versuchte ihr, so schonend wie möglich zu erklären, dass wir hier bleiben würden, den Papa aber immer wieder besuchen gehen würden. Wie erklärt man einem 4 1/2-jährigen Mädchen auf schonende Weise, dass es ihr bisheriges Leben nicht mehr gab? Dass ihre Eltern sich getrennt hatten und sie nun nur noch ihre Mutter täglich um sich hatte? Dass sie ihre Freundinnen nicht mehr sehen würde? Dass sie ihr Zuhause verloren hatte? Ich wusste es nicht. Ich stammelte, suchte nach den richtigenWorten und streichelte ihr die ganze Zeit liebevoll über den Rücken. Ihr Blick hing förmlich an meinen Lippen. Ich weiß nicht mehr, was genau ich ihr gesagt habe. Dafür aber erinnere ich mich genauestens an ihre Reaktion. Zuerst schaute sie mich ungläubig an. Dann schüttelte sie die ganze Zeit den Kopf und sagte immer und immer wieder:"Nein! Nein! Nein!" Zum Schluss brach sie weinend in meinen Armen zusammen.
Sie weinte und weinte. Ihr kleiner Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Und immer wieder schrie sie:"Nein! Nein! Papa! Papa!"
Ich streichelte sie und sprach die ganze Zeit beruhigend auf sie ein. Irgendwann schlief sie vor lauter Erschöpfung in meinen Armen ein.
Auch ich weinte.Ich weinte, weil ich meinen Kindern das antat. Ich weinte, weil ich ihr den Schmerz nicht nehmen konnte. Ich weinte, weil mich ihr Weinen so sehr schmerzte.
Vorsichtig legte ich sie ins Bett und deckte sie liebevoll zu.
Was hatten wir unseren Kindern nur angetan! Wieder kam ich ins Zweifeln, ob meine Entscheidung die Richtige gewesen war. Vor allem, nachdem ich gesehen hatte, dass Italo tatsächlich die Entgiftung gemacht hatte. Vielleicht hätten wir jetzt doch noch eine Chance? Ich denke, jede/r Leser/in , der/die eine Trennung durchgemacht hat, weiß, wovon ich rede. Die erste Zeit nach der Trennung ist schwer, man grübelt und überlegt, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, ob man wirklich alles probiert hat, um die Trennung zu vermeiden. Man erinnert sich an schöne Erlebnisse und denkt, dass alles doch gar nicht so schlimm war und dass man auch wundervolle Zeiten zusammen hatte. Bei mir kam noch der Gedanke dazu:"Und was ist, wenn du es alleine mit den Kindern nicht schaffst?"
Immer wenn ich merkte, dass meine Gedanken darum kreisten, dann verbot ich mir, an die schönen gemeinsam erlebten Situationen zu denken. Ich musste nicht lange in meinem Gedächtnis graben nach den unschönen Situationen meiner Ehe und hielt mir diese vor mein inneres Auge. Dann fiel es mir wieder leichter, mir einzugestehen, dass die Trennung das einzig Richtige gewesen war.
Bianca war die nächsten Tage auffällig still. Auffällig war auch, dass sie ab diesem Tag kein Wort italienisch mehr sprach. Bis dahin hatten wir zuhause oft italienisch miteinander gesprochen, wie gerne hätte ich sie weiterhin 2-sprachig erzogen. Doch sie verweigerte sich. Auf mein Nachfragen, warum sie denn kein italienisch mehr sprechen wolle, sagte sie:"Wir sind jetzt hier in Deutschland. Hier versteht mich doch keiner, wenn ich italienisch spreche. Deswegen möchte ich nur noch deutsch sprechen!"
Heute glaube ich, dass das ihre Art war, mit der Vergangenheit in Italien abzuschließen. Sie machte auf ihre Art einen sauberen Schnitt.
Die nächste Zeit sprachen wir wenig über ihren Papa. Bald sollte sie auch abgelenkt sein, denn wie durch ein Wunder fand ich eine KiTa für sie und durch die KiTa auch einen Krippenplatz für Marco. Meine vielen Telefonate hatten sich endlich doch gelohnt. Ich fand eine KiTa der evangelischen Kirche, die ganz neu gebaut war. Sie suchten noch Kinder. Als ich erzählte, dass ich außerhalb von Stuttgart wohnte, war die Heimleiterin nicht begeistert, aber sie ging auf meine Notsituation ein und gab mir einen Platz für Bianca. Sie meinte, dass ich innerhalb der nächsten Monate eine Wohnung in Stuttgart vorweisen müsse, sonst müsste sie mir den Platz wieder kündigen. Aber vorerst würde sie mir den Platz auch ohne Wohnsitz in Stuttgart geben. Das war noch nicht genug. In einer nahegelegenen Querstraße war eine Kinderkrippe der evangelischen Kirche. Dort wurden Kinder von 0 - 3 Jahren aufgenommen. Die Kinderkrippe arbeitete mit der KiTa zusammen und auch dort war zufällig gerade ein Platz frei geworden. Diesen Platz bekam Marco. Es galten dort die gleichen Auflagen. Ich war unendlich glücklich. Nun war der Weg frei, eine Arbeit in meinem erlernten Beruf als Industriekauffrau zu suchen. Dann würde ich auch genug Geld verdienen, um uns eine eigene Wohnung mieten zu können.
Die Perspektiven wurden immer besser. Schritt für Schritt ging es voran.