Weht die Fahne der Revolution?

Revolutionäre verfassen Manifeste, rufen zum Kampf auf, wolle Augen öffnen und möglichst umfassend alles zum Besseren wenden. Was das Bessere bedeutet und ob es tatsächlich besser ist, liegt in der Betrachtungsweise des Revolutionärs. In Zeiten der Unruhe sowie auch in Zeiten der Übersättigung entsteht die Ursuppe der Revolution. Zurzeit liegen Gesellschaftspolitisch beide Umstände vor. Politisch und weltwirtschaftlich befinden wir uns eindeutig in einer unruhigen Gesamtstimmung. Übersättigung ist gleichfalls allenthalben spürbar. Befinden wir uns an der Schwelle einer Revolution? Könnte man revolutionäre Verwerfungen in ähnlicher Weise messen, wie seismologische Datenerfassung auf drohende Erdbeben und Flutwellen hinweist, gäbe es ein Frühwarnsystem … jedoch genau dies fehlt. Gesellschaftsforscher verweisen auf Bildende Kunst, Literatur und Theater, wenn es um das frühzeitige Erkennen von revolutionären Tendenzen geht. Können wir die Fahne der Revolution am Horizont wehen sehen?

Künstler eignen sich gut für das revolutionäre Geschäft, wobei sie jedoch häufig an der Wende zum Besseren scheitern, da Kunst jegliche Parametrisierung zu fehlen scheint. Dies dürfte jedoch ein verzeihlicher Mangel sein, solange der Rest stimmt. Künstlern liegt es am Herzen, die Augen der Betrachter zu öffnen und das Verfassen von Manifesten ist nicht wesentlich schwieriger, als Erklärungen zur eigenen Kunst abzugeben. Die Kunst als Plattform einer Revolution ist ideal, da auch Radikales kein Blutvergießen fordert. Unausweichliche Voraussetzung für eine glückliche Revolution ist jedoch die Masse der Revolutionäre. Wo sind diese in der Kunstszene zu finden? Das Theater schlägt sich in heutiger Zeit nicht mehr spürbar im Gesellschaftsleben nieder. Es ist ruhig um diese Unruhestifter geworden. Literatur ist laut und leise zu gleichen Teilen. Herausragendes, Aufwühlendes, Mitreißendes ist eingebettet in einer Masse größtmöglicher Banalität. In der Bildenden Kunst hat sich die Fotografie zu einem erheblichen Potential innerhalb der Gesellschaft entwickelt, sehnt sich jedoch nach dem unkritisch Schönen. Ist die Revolution bereits vor Beginn abgesagt?

Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. In opportuner Abwandlung dadaistischer Gedanken versucht sich die Mehrzahl der fotografischen Bilder zu finden. Gleichwohl ist nichts rückständiger, als die Pflege des linearen Fortschritts. Fortwährend wird die Klage laut, dass Technik die Triebfeder der Fotografie ist … oder auch nicht. Kriterien, was gute von schlechten Bildern trennt, werden häufiger und intensiver diskutiert, als die Bilder selbst. Wer mag noch entscheiden, was gute und große Fotografie ist und warum ihr ein Platz an der Sonne gebührt? Aufmerken lässt nur das Andersartige, Aussagekräftige und Provokante, weil es eine aufrüttelnde Botschaft in wachrüttelnder Dialektik übermittelt. Wo ist das zu finden? Sollte die überfällige Revolution aus der Fotografie hervorgehen, müssten Bilder eine andere Sprache erlernen. Solange die Plugin-Dialektik der technischen Hilfsmittel das fotografische Bild im Griff hat, wird auch in der Fotografie die Revolution maximal im Wohnzimmer an Sonntagnachmittagen als eine Art Gesellschaftsspiel (aber bitte nicht jeden Sonntag) ausgelebt. Können wir die Fahne der Revolution am Horizont wehen sehen? Nein, es sind achtlos weggeworfene Servietten, freilich in der revolutionären Farbe rot, die nach dem Genuss des Sonntagsbratens achtlos weggeworfen nun im seichten Luftzug Bewegung vorgaukeln.


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