Watchmen - Rorschach's Dinner

WatchmenDass die New York Times den 1986/87 erschienen Comic Watchmen als eine der 100 wichtigesten Bücher seit 1923 listet, ist der Ritterschlag für eine der beeindruckensten Erzählungen die ich kenne. Und sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass Comics eine eigenständige Darstellungsform sind, die sich nicht verlustfrei auf ein anderes Medium übertragen lassen. Weder könnte Watchmen in all seiner Bildhaftigkeit als reiner Text funktionieren, noch lässt er sich gänzlich als Film erfassen - auch wenn der Versuch von Zack Snyder 2009 unternommen wurde und ganz nett daherkommt, dabei aber nicht nur zahlreiche Elemente vernachlässigen musste oder teilweise (unnötig) veränderte (nenn mir eine gute Szene und ich nenne dir drei schlechte, Fanboy Debate!) und trotz der satten fast dreistündigen Länge den Fokus nur auf ein paar Aspekte richten konnte - Ehrenrettung: das Intro ist, zumindest wenn man den Comic gelesen hat, ein wirklicher Augenöffner und Gänsehautgarant.
Die Handlung rasch zusammenzufassen erscheint auf den ersten Blick einfach: ein Mord wurde begangen und es gilt diesen aufzudecken. Oder: wir verfolgen Aufstieg und Fall kostümierter Verbrechensbekämpfer jenseits von übermenschlichen Superhelden. Oder: in einer alternativen Version der 1980er Jahre beobachten wir die Gesellschaft während sich der Konflikt des Kalten Krieges langsam seinem unheilvollen Ende nähert. Das sind nur drei Angebote und der Eindruck täuscht nicht, die Komplexität der Erzählung ist nicht zu unterschätzen. Im Zentrum stehen dabei sechs Figuren die allesamt zu jenen kostümierten Verbrechensbekämpfern gehören, deren Selbstjustiz seit den 1970er Jahren gesetzlich verboten wurde. Einer dieser sechs ist der von Beginn an tote Comedian, über den wir nur etwas aus den subjektiv gefärbten Rückblenden der anderen Charaktere erfahren und somit nie ein ganzes Bild von ihm erhalten. Genau dies ist Teil der Fasziniation dieser Erzählung: ein vollständiges Bild erhält der Leser niemals, immer muss er sich entscheiden, muss Stellung beziehen und sich an der Offenheit abarbeiten.
Im Hintergrund wird darüber hinaus die Geschichte der Superhelden-Comics vom Golden Age bis zur Gegenwart abgehandelt und gleichzeitig das gesamte Genre dekonstruiert, unterschiedliche und gegensätzliche Konzepte von Moral, Ethik, Toleranz und Gesellschaft gegeneinander gestellt, die politische Situation der 1980er Jahre kommentiert und ein ganzes Netzwerk von kulturellen Querweisen, Anspielungen und Beziehungen von Bob Dylan und William Boroughs über Brechts Dreigroschenoper bis hin zur griechischen Antike gewoben. Medial wird dabei nicht nur eine unglaublich geschickt und subtil arrangierte Paneldarstellung gewählt, sondern die Grenzen des Comics spätestens mit einem Comic im Comic der als Analogie zur eigentlichen Geschichte gelesen werden kann ausgereizt und mittels literarischen, rein textlichen Kapiteln gar überschritten. All dies wird dem Leser an die Hand gegeben und er muss aktiv damit umgehen und es verarbeiten, denn rein strukturell ist Watchmen so vieldeutig angelegt, dass man sich immer fühlt wie ein Jongleur mit zu vielen Bällen: wenn man sich anstrengt, gelingt es einem alle Bälle unter Kontrolle zubringen, aber es gibt keinen Moment, in dem man alle gleichzeitig in den Händen hält. Wann immer man sich für die ein oder andere Perspektive entscheidet, bezieht man unwideruflich Stellung gegen die anderen und wird durch diese selbst immer wieder in Frage gestellt.
Und was gibt es jetzt zu essen? Rorschach, einer der sechs Hauptfiguren, gekleidet in Trenchcoat, Filzhut und einer Maske, deren Tintenkleks-Muster sich ständig verschiebt, so dass man niemals in sein Gesicht blicken, sondern stets notgedrungen die eigene Psyche analysiert, hat sich schon lange von der Gesellschaft entfremdet und verfolgt mittels Selbstjustiz das was er für eine gute Gesellschaft hält. Seine Entfremdung spiegelt sich aber nicht nur in seinem Äußeren wider. Seine Stimme, so suggerieren seine Sprechblasen, klingt anders als die aller anderen Sprecher und auch seine Sprache, die aus auf das nötigste reduzierte Hauptsätze besteht, unterstreichen seine Randständigkeit. Und ja, auch sein Essverhalten bestärkt dies. Er ernährt sich nicht mit Genuss, sondern aus der Not heraus, dies tun zu müssen. So sieht man ihn immer wieder Zuckerwürfel verzehren. Oder Bohnen aus der Dose. Auf die Frage hin, ob man sie ihm aufwärmen solte, entgegnet er "No need. Fine like this." Verzeiht mir also den Spaß, hier nur bedingt soetwas wie ein Rezept vorzustellen, und schaut euch stattdessen nach dem Comic um. Oder verratet mir, was euch daran besonders gefällt. Oder nicht. Oder warum der Film daneben ging.
Watchmen - Rorschach's Dinner
Rorschach's Dinner
Zutaten:
1 Dose Baked Beans
1 handvoll Würfelzucker
Dose öffnen. Deckel kann dran bleiben. Mit Löffel die kalten Bohnen aus der Dose essen. Würfelzucker bei Bedarf verzehren, falls Konzentrationsverlust, Müdigkeit oder andere Anzeichen von sinkendem Blutzucker auftreten. Hurm.
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