Wahrheit und Dichtung: Der aktuelle Bildungsbericht

Wenn man die vor Eigenlob triefende Pressemitteilung des Bundesministeriums für Forschung und Bildung liest, mit dem das BMBF seinen aktuellen Bildungsbericht vorstellt, könnte man fast meinen, dass sich in den letzten Jahren etwas getan haben müsste. Irgendwas Positives.

“Das Bildungsniveau ist weiter angestiegen. Die Zahl der Abiturienten nimmt zu, die Zahl der Schulabbrecher geht weiter zurück. Dazu beigetragen haben Schulreformen, die die Flexibilität und Durchlässigkeit des Schulsystems im Hinblick auf höhere Schulabschlüsse verbessert haben”, behauptet der Präsident der Kultusministerkonferenz, der Hamburger Schulsenator Ties Rabe. “Das Bildungsniveau steigt aber auch, weil Qualität und Umfang des Bildungs- und Betreuungssystems zugenommen haben. Fast alle drei- bis fünfjährigen Kinder besuchen die Kindertagesstätte. Mehr als ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler nimmt an Ganztagsangeboten teil, jede zweite Schule hat bereits entsprechende Ganztagsangebote”, so Rabe.

Und Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sekundiert: “Dies gilt gerade für diejenigen, die es schwerer haben: Es gibt weniger Kinder und Jugendliche in Risikolagen, weniger junge Menschen ohne schulischen oder beruflichen Abschluss. Und wir geben mehr für Bildung aus als jemals zuvor.” Allerdings bleibe es eine wichtige Aufgabe, insbesondere Kinder und Jugendliche, die unter ungünstigen Bedingungen aufwachsen, gezielt zu unterstützen. “Wir wollen allen faire Chancen bieten.”

Baustelle Bildung

Baustelle Bildung

Genau das findet aber immer weniger statt: Wie auch sonst überall ist im deutschen Bildungswesen ein eindeutiger Trend zur Privatisierung zu erkennen: Seit 1998 gibt es bei Privatschulen eine Zunahme um 1200 Schulen bundesweit, was ein Plus von über 50 Prozent ausmacht. Das bedeutet: Immer mehr Eltern kaufen ihrem Nachwuchs einen besseren Bildungsabschluss, als diese an einer normalen Schule hinkriegen würden – wobei natürlich auch hier mit privat bezahlter Nachhilfe schon einiges zu machen ist. Gut, einige Eltern wird allein der Zustand von manchen Schulgebäuden gruseln – da habe ich bei den Schulen meiner Kinder auch einiges erleben müssen, das eher an die Zeiten nach dem zweiten Weltkrieg erinnert, als an einundzwanzigstes Jahrhundert, selbst wenn man davon absieht, dass darum gebeten wurde, den Kindern doch bitte Klopapier und Tafelkreide mit zu geben, weil das im Schuletat nicht mehr vorgesehen sei.

Auch bedenklich: In den östlichen Bundesländern wurden zwischen 1998 und 2010 fast 40 Prozent aller Schulen geschlossen. Wer auf dem flachen Lande nach höherer Bildung dürstet, muss dafür weite Wege in Kauf nehmen. Und während sich im Westen darum bemüht wird, endlich für einen relevanten Anteil der Schüler brauchbare Ganztagsangebote zu schaffen, wurden im Osten einstmals selbstverständlich vorhandene Angebote samt dem dazu gehörigen Personal abgewickelt. Die Kita- und Schulgebäude, Kantinen, Jugendclubs und so weiter verfallen.

Immerhin: Während es zu meiner Schulzeit noch als völlig übertrieben galt, mehr als ein Viertel der Schüler bis zum Abitur zu bringen, gilt es jetzt als schick, möglichst viele Abiturienten im Jahrgang zu haben. Entsprechend mehr junge Leute sollen jetzt auch studieren – nur macht das in den ohnehin überfüllten Universitäten heute sehr viel weniger Spaß als früher – und auch wir stöhnten Ende der 80er Jahre schon über permanent überbelegte Räume und die Verlosung von Plätzen für Pflichtveranstaltungen oder gar von Prüfungsterminen. Das muss man sich mal vorstellen: Die Möglichkeit, einen Studiengang in der Regelstudienzeit zu absolvieren hing nicht (nur) an der eigenen Leitungsbereitschaft, sondern am Losglück!

Was die Bafög-Stelle aber nicht interessierte. Aber wie soll man in der Regelstudienzeit fertig werden, wenn man die dazu nötigen Scheine einfach nicht in der vorgeschriebenen Zeit machen kann?!

Inzwischen scheint das alles noch viel irrer zu sein: Die fleißigen und karrierebewussten Studenten die heutzutage an die Hochschulen drängen, gingen 2009 ja nicht auf die Straße, um für ein schöneres Leben oder eine bessere Welt zu demonstrieren, sondern weil sie daran verzweifeln, dass die ihnen angebotenen neuen Bachelor- und Master-Studiengänge zum großen Teil schlicht nicht studierbar waren. Immerhin: die gerade eingeführten, vergleichsweise hohen Studiengebühren wurden nach den Protesten vielerorts wieder gesenkt bzw. abgeschafft.

Ich kann nur sagen: Ich beneide niemanden, der unter den heutigen Bedingungen studieren muss. Und wenn die deutsche Wirtschaft wieder über angebliche fehlende Fachkräfte jammert, dann soll sie einfach mal Kohle locker machen, damit die ihnen fehlenden Fachkräfte unter vernünftigen Bedingungen ausgebildet werden können. Aber wozu, wenn man auch ganz billig die gut ausgebildeten jungen Fachkräfte aus Griechenland oder Spanien haben kann?



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