Frieden, Bildung und Emanzipation sind gefährlich!

Heute bin ich in der Berliner Zeitung über eine eigenartige Kolumne gestolpert, die ich den Lesern meines Blogs keinesfalls vorenthalten möchte: Der Historiker Götz Aly stellte nämlich fest, dass die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft nicht etwa auf dem perfiden Wirken eines entfesselten Kapitalismus beruhe, wie viele Menschen irrigerweise annehmen würden, sondern auf eigentlich glücklichen Umständen: Einer langen Friedenszeit, zunehmendem Wohlstand und der Emanzipation.

Genau, da mag man sich als naiver Einfaltspinsel die Augen reiben, aber Aly erklärt das so: Die großen Gleichmacher des 20. Jahrhunderts seien die Weltkriege, samt Flucht, Vertreibung und der Vernichtung von Vermögen durch feindliche Angriffe oder kriegswichtige Enteignung gewesen, sowie die Inflation, die Weltwirtschaftskrise und, das wirft er natürlich in einen Topf, die Massenenteignungen durch die Nazis und die Kommunisten. Diese für sehr viele Menschen tödlichen und traumatischen Ereignisse bewirkten allerdings, dass die Vorrechte und Güter der einen zerstört wurden und zahlreiche Überlebende und Nachgeborene die Chance für einen Aufstieg bekamen, den sie unter anderen Umständen (etwa den heutigen) nie gehabt hätten.

Er sagt es nicht explizit, legt aber doch den Gedanken nahe, das doch kein Mensch, der bei Trost sei, wollen könne, dass wir wieder einmal einen schönen Weltkrieg veranstalten, damit man das Vermögen neu verteilen möge und damit ein hübsches Wirtschaftswunder inklusive allem Aufstiegsfirlefanz produziert, bei dem die Gesellschaft wenigstens für ein, zwei Generationen mal wieder ein bisschen gerechter, äh, gleicher wird. Natürlich nicht. Nur findet dieser Krieg doch längst statt, verbrämt in etwas, das Finanz-, Schulden- oder Eurokrise genannt und bei dem sehr viel Vermögen vernichtet wird. Die derzeit eingeläutete Massenenteignung wird nur sehr viel subtiler inszeniert, als Nazis oder Realsozialisten das Zuwege gebracht haben – wir stecken längst mittendrin und so ziemlich jeder, der von seiner Arbeit leben muss und nicht zufällig Politiker, Spitzenmanager, Facharzt oder Fußballstar ist, muss feststellen, dass seine Arbeitskraft immer weniger wert ist. Wie heute auch zu lesen ist, gibt es immer mehr Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können und auf die nicht eben großzügige Grundsicherung aufstocken müssen.

Interessant auch, auf welche Weise zunehmende Bildung und Emanzipation einer besseren Welt abträglich sein sollen: Als Aly vor 45 Jahren in Westdeutschland studierte, waren nur fünf Prozent eines Jahrgangs an den Universitäten zu finden und keine Frage, drei Viertel davon waren männlich. Aber in jenen segensreichen Zeiten heirateten Ärzte noch Krankenschwestern oder Chefs ihre Sekretärin. Auf diese Weise fand eine so genannte Aufwärtsmobilisierung statt, aus dem einfachen Mädel, das eben nicht studieren konnte, weil es zu arm dazu war – aber nicht unbedingt zu dumm – konnte auf diese Weise auch noch eine Frau Doktor werden. Inzwischen studieren ein Drittel eines Jahrgangs und mindestens genauso viele Frauen wie Männer, da heiratet der Facharzt die Fachärztin oder der Geschäftsführer seine erfolgreichste Managerin, so dass für die Tippse im Büro halt nur noch der Außendienstler übrig bleibt. Die Schichten werden weniger durchlässig, weil die Schuldirektorin leider nicht auf die Idee kommt, ihren Hausmeister zu heiraten oder die Bundeskanzlerin, nun ja, lassen wir das. All das seien aber gute Gründe für die gesellschaftliche Erstarrung, findet der Historiker. Und wer das ändern wolle, solle auf falsche Feinbilder (etwa den hässlichen Kapitalismus, der doch so viel Gutes bewirkt) verzichten und sich einfach mal klar machen, dass “gute Politik, Frieden und sozialer Fortschritt von unerwünschten Nebenwirkungen nicht frei” seien.

So ein Unsinn! Natürlich wären gute Politik, Frieden und sozialer Fortschritt von eben jenen unerwünschten Nebenwirkungen frei, wenn die Politik denn tatsächlich eine gute wäre und als erstes mal den großen Ungleichmacher Nummer eins, den Kapitalismus abschaffen würde. Denn die Akkumulation des Kapitals ist tatsächlich ein Problem: Sie sorgt ganz automatisch für immer mehr Ungleichheit. Und das funktioniert im Krieg genauso gut wie im Frieden, mit Emanzipation so gut wie mit Unterdrückung und auch der durchschnittliche Bildungsstand der Gesamtbevölkerung stört dabei nicht die Bohne. Und weil der Kapitalismus inzwischen so unglaublich effektiv ist, benötigt er immer weniger Arbeit, also auch immer weniger Menschen, um sagenhafte Renditen zu erzielen – er ist gerade dabei, sich zu Tode zu siegen. Mitten im Frieden, ganz nebenbei, aber die Auswirkungen werden für sehr viele Menschen nicht weniger tödlich und traumatisch sein als ein herkömmlicher Weltkrieg.



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