Von der Umgehung der Umgehung

Parlamentsgebäude in Wien / Foto: Manfred Werner (CC BY-SA 3.0)

Parlamentsgebäude in Wien / Foto: Manfred Werner (CC BY-SA 3.0)

Die Religionsgesetzgebung in Öster­reich, heißt es, ist ein euro­pa­wei­tes Modell für Pluralität und Toleranz. Das kann nur behaup­ten, wer sie nicht kennt. Das Modell ist geprägt von Mehrgleisigkeit, Schlamperei und Willkür. Das zeigt auch ein aktu­el­les Beispiel einer Religionsgemeinschaft, die bald aner­kannt wird.

Willkommen Nummer 16, könnte man flap­sig und viel­leicht iro­nisch sagen. Öster­reichs Freikirchen, oder zumin­dest ein gro­ßer Teil, dürf­ten in weni­gen Tagen als Religionsgemeinschaft aner­kannt wer­den. Bemerkenswerterweise ohne ein Gericht bemü­hen zu müs­sen. Gelungen ist ihnen das mit einem Trick, den man als Notwehr gegen eine absurde Gesetzeslage beschrei­ben kann.

Der Doppel-Trick

Unter dem Druck der öster­rei­chi­schen Religionsgesetzgebung haben sich sehr unter­schied­li­che Kirchen wie Baptisten, Pfingstler und Mennoniten zu einer neuen Kirche zusam­men­ge­schlos­sen. Eben zur Freikirche. Nur so konn­ten die Religionsgemeinschaften, die seit Jahrzehnten in Öster­reich tätig sind, die Zahl von 17.000 Mitgliedern errei­chen, die das Bekenntnisgemeinschaftsgesetz als Untergrenze vor­schreibt.

Auch das gelang den Evangelikalen nicht auf Anhieb – als Mitglieder zählt dort im Regelfall nur, wer sich als Erwachsener (ein zwei­tes Mal) tau­fen lässt. Nur, von die­sen Vollmitgliedern hat man nicht genug. Flugs griff man ein zwei­tes Mal in die Trickkiste und erklärte die Kinder der Gemeindemitglieder zu außer­or­dent­li­chen Mitgliedern.

Es könnte so ein­fach sein

Eine ein­fa­che Gesetzesumgehung, könnte man mei­nen. Legitim oder pfui, je nach Standpunkt. Allein, die Freikirchen umge­hen ein Gesetz, das sei­ner­seits ein ande­res Gesetz umgeht, wobei der Gesetzgeber bei Bedarf wie­derum gerne die Umgehung umgeht.

Theoretisch muss der öster­rei­chi­sche Staat alle Religionsgemeinschaften aner­ken­nen, die sich selbst erhal­ten kön­nen und nicht aktiv auf einen Umsturz des staat­li­chen Systems hin­ar­bei­ten. Das sieht das Anerkennungsgesetz von 1874 vor.
Es ist kaum mehr als ein Gesetz, das eine rela­tiv unkom­pli­zierte Registrierung von Religionen vor­sieht, nicht mehr und nicht weni­ger. Für die Zeit über­ra­schend libe­ral, sieht man von eini­gen Schikanen ab.

Alles drängt nach den Futtertrögen

Es wäre nicht Öster­reich, wenn das so ein­fach wäre. Seitdem die katho­li­sche Kirche nicht mehr Staatskirche ist, dür­fen alle ande­ren aner­kann­ten Religionsgemeinschaften an ihren Futtertrögen mit­na­schen. Als da wären staat­lich bezahl­ter Missionierungs-/Propagandaunterricht, staat­lich bezahlte reli­giöse Privatschullehrer, Steuerbefreiungen und so wei­ter und so fort.

Dazu, nicht zu ver­ges­sen, das Recht bei allen Angelegenheiten ange­hört zu wer­den, die Religionen auch nur am Rande betref­fen könn­ten oder auch nicht. Vorwiegend, wenn man sich Schikanen für die Nichtgläubigen aus­den­ken darf, die bei die­sen Gelegenheiten sicher­heits­hal­ber gar nicht ange­hört wer­den. Das erklärt ver­mut­lich, warum die Freikirchen so unbe­dingt eine aner­kannte Religionsgemeinschaft wer­den wol­len. Sie sind nicht die ein­zi­gen.

Die üppi­gen Privilegien machen es für viele Religionen attrak­tiv, das staat­li­che Prädikat „aner­kannt“ zu bekom­men. Dem sehe Gott vor, dach­ten sich viele der Parlamentarier Mitte der Neunziger Jahre. Vor allem, als die Zeugen Jehovas ein­schlä­gige Begehrlichkeiten äußer­ten. Die einen woll­ten die aus­ufern­den Kosten (mitt­ler­weile 3,8 Milliarden Euro im Jahr) ein­däm­men, die ande­ren die katho­li­sche Vorherrschaft im Land bewah­ren.

Der Gesetzgeber umgeht sich selbst

Flugs erlie­ßen sie 1998 das Bekenntnisgemeinschaftengesetz, das gewis­ser­ma­ßen dem nicht mehr ganz zeit­ge­mä­ßen Spruch vom katho­li­schen Öster­reich alle Ehre macht. Sieht es doch für alle Religionen, die eine Anerkennung wol­len, ein min­des­tens zehn­jäh­ri­ges Dasein als „reli­giöse Bekenntnisgemeinschaft“ vor. Das ist eine Anerkennung zwei­ter Klasse, weit­ge­hend ohne Privilegien. Ein gesetz­li­ches Fegefeuer für alle, die ins Paradies der Steuerpfründe wol­len.

Damit es nicht ganz lang­wei­lig wird und der Aufenthalt im Fegefeuer viel­leicht doch län­ger, novel­lierte das Bekenntnisgemeinschaftengesetz ori­gi­nel­ler­weise auch das damals 120 Jahre alte Anerkennungsgesetz mit. Seitdem müs­sen einer ein­ge­tra­ge­nen Bekenntnisgemeinschaft min­des­tens zwei Promille der Bevölkerung ange­hö­ren, damit sie einen Antrag nach dem Anerkennungsgesetz stel­len kön­nen. Das alte Gesetz ist in der Hinsicht wesent­lich libe­ra­ler: Es sieht keine Mindestgrenzen vor.

Gegen die Zeugen Jehovas nützte das nichts

Verkürzt gesagt umging der Gesetzgeber ein beste­hen­des Gesetz, um zu ver­hin­dern, dass die Zeugen Jehovas am Paradies der staat­li­chen Pfründe antei­lig wür­den. Das reich­lich durch­sich­tige Manöver nutzte nur begrenzt. Die Zeugen Jehovas klag­ten und beka­men im jah­re­lan­gen Rechtsweg Recht. Seitdem sind sie Religionsgemeinschaft Nummer 14.

Ein Sondergesetz nach dem ande­ren

Es wäre nicht Öster­reich, wäre das Bekenntnisgemeinschaftengesetz die ein­zige Möglichkeit, das Anerkennungsgesetz zu umge­hen. Von den 15 aner­kann­ten Religionsgemeinschaften in Öster­reich sind nur neun nach dem Anerkennungsgesetz aner­kannt. Die Zeugen Jehovas und die Aleviten über den Umweg des Bekenntnisgemeinschaftsgesetzes. Bei den Aleviten lief es etwas anders. Sie muss­ten sich den Weg zur Bekenntnisgemeinschaft über den Verfassungsgerichtshof erstrei­ten, ab dann ging’s rela­tiv ein­fach. Was ver­mut­lich daran liegt, dass die Aleviten als libe­ral gel­ten.

Für die sechs ande­ren gibt es Sondergesetze – oder, im Fall der katho­li­schen Kirche, gar kei­nes. Die gilt aus his­to­ri­schen Gründen als aner­kannt. Die meis­ten Anerkennungen stam­men aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Das Anerkennungsgesetz war damals in Kraft. Der Gesetzgeber scheint sich schon damals gerne selbst umgan­gen zu haben. „Old hab­its die hard“, wie man so schön auf Englisch sagt.

Katholische Kirche als Schablone

Qualitätsarbeit kam sel­ten her­aus, wie das Islamgesetz zeigt. Das Gesetz zeigt, genauso wie die aktu­el­len Bemühungen der Freikirchen, dass der Staat Öster­reich bei Religionsgemeinschaften unbe­wusst immer das Bild der katho­li­schen Kirche vor Augen hat.

Immer sind zen­trale Hierarchien vor­ge­se­hen, auch bei Religionsgemeinschaften, zu denen das gar nicht passt. Es kann keine Rede von Gleichberechtigung sein, wenn Freikirchen erst eine neue Religionsgemeinschaft aus der Taufe heben müs­sen, um den Buchstaben eines Gesetzes Genüge zu tun, das der Gesetzgeber selbst dau­ernd umgeht.

Religionsfreiheit gilt nur für die Religionsgemeinschaft

Dieser Zentralisierungsdruck wider­spricht deut­lich der Laschheit, die die Behörden der Republik sonst an den Tag zu legen pfle­gen, wenn es um Religionsgemeinschaften geht. Am Arbeitsplatz herrscht die Doktrin: Es liegt im Wesen einer Religionsgemeinschaft, selbst zu bestim­men, wel­cher ihrer Angestellten einen Verkündigungsauftrag hat und wel­cher nicht. Alles andere wäre ein Eingriff in die Religionsfreiheit, haben der Oberste- und der Verfassungsgerichtshof mehr­fach geur­teilt. Das gilt selbst­re­dend auch für die Bereiche, die nichts mit der Religionsausübung zu tun haben. Caritas und Diakonie zum Beispiel.

Ob Reinigungspersonal oder Arzt – wo reli­giös dis­kri­mi­niert wer­den darf, ent­schei­den in reli­gi­ons­ei­ge­nen Betrieben die Religionsgemeinschaften. Die Religionsfreiheit der Mitarbeiter bleibt außen vor. Gänzlich anders als in Deutschland ist die Situation hier­zu­lande nicht.

Im Ernstfall wird d’rauf gepfif­fen

Lax ist man auch, wenn es um die Verpflichtungen aner­kann­ter Religionsgemeinschaften geht. Das Anerkennungsgesetz sagt unmiss­ver­ständ­lich in § 10: „Seelsorger kann in der Kultusgemeinde nur ein öster­rei­chi­scher Staatsbürger sein, des­sen Verhalten in sitt­li­cher und staats­bür­ger­li­cher Hinsicht vor­wurfs­frei ist und des­sen all­ge­meine Bildung min­des­tens durch Vollendung des Gymnasialstudiums erprobt ist“. Im Konkordat von 1934 ver­pflich­tet sich die römische-katholische Kirche zu prak­tisch iden­ti­schen Anforderungen an ihre Geistliche.

Was die Frage auf­wirft, was die vie­len pol­ni­schen, kroa­ti­schen, nige­ria­ni­schen und litaui­schen katho­li­schen Pfarrer in Öster­reich machen. Von bud­dhis­ti­schen Priestern aus Indien, Thailand und Co ganz zu schwei­gen. Man pfeift ganz ein­fach auf die gesetz­li­chen Bestimmungen – und hat sich für die­sen Behuf neue gesetz­li­che Schlupflöcher geschaf­fen. Ausländische Geistliche, die es in den meis­ten Religionsgemeinschaften recht­lich gar nicht geben dürfte, sind in Öster­reich aus­drück­lich vom Ausländerbeschäftigungsgesetz aus­ge­nom­men. Sie brau­chen hier­zu­lande keine Arbeitsgenehmigung und unter­lie­gen kei­ner Einwanderungsquote. Sobald es unan­ge­nehm wird für die Religionen, pfeift man eben gemein­sam auf das Gesetz.

Nur, wenn es darum geht, ob prak­ti­zie­rende Religionsgemeinschaften als sol­che gel­ten dür­fen oder nicht, bestimmt der Staat. Weitgehend danach, ob sie sich katho­lisch genug orga­ni­sie­ren oder nicht.

Letztes Sondergesetz aus dem Jahr 2003

Nicht zu ver­ges­sen die Sympathie. Scheitert eine aus wel­chen Gründen auch immer für ange­nehm gehal­tene Religionsgemeinschaft an den Hürden der Gesetze – na, da machen wir doch schnell ein Sondergesetz. So gesche­hen 2003 bei den Kopten. Für die wurde schnell das Orientalisch-Orthodoxe-Kirchengesetz aus der Taufe geho­ben.

Mit der schwie­ri­gen Lage der Kopten in Ägyp­ten ist das nicht zu recht­fer­ti­gen. Ob sie hier­zu­lande Asyl bekom­men oder nicht, hängt nicht davon ab, ob die Kopten eine aner­kannte Religionsgemeinschaft sind. Anders als in Deutschland kön­nen in Öster­reich auch Atheisten Asyl wegen reli­giö­ser Verfolgung bekom­men. Und Atheismus ist hier­zu­lande keine aner­kannte Religion. Einschlägigen Versuchen wir­rer Protagonisten zum Trotz.

Gefahr auch für athe­is­ti­sche Vereine

Letztere könn­ten sich übri­gens als akute Bedrohung für die athe­is­ti­schen Vereine im Land her­aus­stel­len. Gesetzt den unwahr­schein­li­chen Fall, der „Atheistischen Religionsgesellschaft“ gelingt es, die Kultusbehörde zu über­zeu­gen, dass Atheismus eine Religion sei und die Gesellschaft eine Bekenntnisgemeinschaft, tritt Absatz 4 von Paragraf 2 des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes in Kraft:  „Mit dem Feststellungsbescheid nach Abs. 3 (gemeint ist die Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft) hat der Bundesminister für Unterricht und kul­tu­relle Angelegenheiten die Auflösung jener Vereine zu ver­bin­den, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre der betref­fen­den reli­giö­sen Bekenntnisgemeinschaft besteht.“

Eine reich­lich selt­same Konkurrenzklausel. Die denk­bar stärkste Einmischung in innerweltanschauliche- bzw. reli­giöse Angelegenheiten, unmiss­ver­ständ­lich in eine Nebenbestimmung eines Umgehungsgesetzes gepackt. Sobald ein Verein vor der Behörde durch­setzt, dass er allein Ansprechpartner ist, darf er mit Hilfe des Kultusamtes von Gesetz wegen über alle ande­ren nach Belieben drü­ber­fah­ren.

Sollte der Ernstfall ein­tre­ten, wird man es ver­mut­lich ele­gant ver­ges­sen. Garantie ist das aber keine.

Freiheit als büro­kra­ti­scher Akt

Wie es den Angehörigen der Religionsgemeinschaften bei all dem geht, ist neben­säch­lich. Sie haben von all den Gesetzen und ihrem Umgehungen nur die Verpflichtung, ihr Religionsbekenntnis auf mög­lichst jedem Dokument ein­zu­tra­gen, das man ihnen vor­legt. Die Religionsfreiheit gilt nur für die Religionsgemeinschaften, nicht für ihre Angehörigen.

Eine Freiheit als büro­kra­tisch ver­wal­te­ter Akt, wie vor eini­ger Zeit auf die­ser Seite tref­fend for­mu­liert. Ein mög­lichst will­kür­lich und schlam­pig ver­wal­te­ter Akt, ist man ver­sucht, hin­zu­zu­fü­gen.


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