Ursula von der Leyen entdeckt die schöne neue Arbeitswelt

Passend zu meinem Artikel von gestern, in dem ich die nachteiligen Auswirkungen des Internets auf die moderne Arbeitswelt beschrieben habe – Crowdsourcing, Arbeit auf Abruf, Just-in-Time-Produktion unter maximalem Druck und maximaler Konkurrenz, dafür aber ohne soziale oder sonstige Absicherung, hat sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht entblödet, gerade die Frauen, die ja ohnehin noch immer Lohnabhängige zweiter Klasse sind, weil sie ja auch Kinder kriegen sollen, können und manchmal sogar wollen, dazu aufzurufen, die wunderbaren Chancen der Arbeitswelt 2.0 zu nutzen.

Immerhin: Gleichzeitig hat unsere Bundes-Ulla auch vor den Risiken gewarnt. Da hat ihr wohl ein aufmerksamer Mitarbeiter den junge-Welt-Artikel zugesteckt. “Cloud-Arbeiter stehen ständig im Wettbewerb miteinander und unter dem ständigen Druck, sich immer wieder neu bewerben zu müssen”, soll die Ministerin heute zum Auftakt einer Konferenz in München gesagt haben, bei der es um digitales Leben und die Rolle der Frauen darin geht.

Laut Medienberichten entwarf von der Leyen “das Szenario einer Arbeitswelt des Jahres 2020, die ganz von der Cloud, also Anwendungen aus dem Internet, geprägt ist.” Und das ist super, denn in einer solchen Welt von “Klick-ArbeiterInnen” werde es keine Rolle mehr spielen, ob jemand festangestellt oder nur zeitweise für ein Unternehmen tätig sei. Vermutlich, weil dann alle gleich schlecht behandelt werden. Damit bekommt die alte Forderung “Gleiches Geld für gleiche Arbeit” doch gleich einen ganz anderen Klang: Wenn die Stammbelegschaften von VW oder IBM nicht mehr besser gestellt werden sollen, als die Leiharbeiter, egal ob die nun online zugeschaltet oder mit dem Bus ans Band gekarrt werden, dann wird die Sache ganz sicher nicht so ausgehen, dass alle den guten Tarifvertrag der Alteingesessenen bekommen. Sondern alle werden gleich ungerecht behandelt und bekommen die Konditionen der by-Call-Arbeiter.

Und wenn Männer nicht mehr besser bezahlt werden sollen als Frauen, dann kann man sich auch ausrechnen, wie die Sache ausgehen wird: Dann bekommen die Männer halt genauso wenig wie die Frauen. Gerechter wird es dadurch aber auch nicht. Im Gegenteil: Ich bemerke an mir selbst, dass ich, wo ich mir endlich mal eine Position erarbeitet habe, in der ich ein bisschen besser bezahlt werde als meine meist männlichen Mitarbeiter, es schon irgendwie ungerecht finden würde, wenn die jetzt einfach mal den gleichen Lohn bekommen würden. Ich will meinen Führungskraft-Bonus, erst recht als Frau. Und erst recht als einzige Frau in einer solchen Position, natürlich sind die anderen Führungskräfte in meiner Firma männlich.

Und, das gebe ich auch zu: Ich protegiere die wenigen Frauen bei uns in der Firma, weil ich weiß, wie schwer es Frauen in meinem Job haben. Natürlich tue ich das in erster Linie, weil die wirklich gut sind, aber nicht mit einem männlichen Selbstbewusstsein ausgestattet. Sie sind, genau wie ich, viel zu kritisch mit ihrer eigenen Arbeit. Sie trauen sich erst gar nicht, Scheiß abzuliefern und das mit zehntausend Ausreden zu erklären. Sie gehen schon im Vorfeld in die Defensive – aber so kann man in der heutigen (Arbeits-)Welt keinen Blumentopf gewinnen. Das ist mal ein Punkt, wo Frauen von Typen wie Kristina Schröder, Silvana Koch-Mehrin oder Claudia Roth echt was lernen können: Die haben ein unglaubliches Selbstbewusstsein, das von der Reflektion über tatsächliche persönliche Leistung kein bisschen unterminiert wird.

Zurück zu unserer Bundesarbeitsministerin. Die faselte von “virtuelle Belegschaften”, die es künftig geben werde, von einen weltweit verfügbaren Pool von Talenten, der Unternehmen rasante Kosteneinsparungen bringe. “Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das gut finde oder erschrocken darüber bin”, wird sie zitiert. Ich würde ihr gern zurufen: Sei mal besser erschrocken darüber! Die virtuelle Belegschaft besteht aus total realen Tagelöhnern und Tagelöhnerinnen, die trotz hoher Qualifikation und hohem Arbeitseinsatz kaum über die Runden kommen wird. Auch wenn du davon träumst, dass vor allem die Frauen von der größeren Flexibilität profitieren würden, weil dann nicht mehr irgendwelche “Netzwerke alter Jungs”, sondern allein die Ergebnisse der Arbeit über Erfolg und Karriere entschieden.

Denk doch mal nach, liebe Ursula. Glaubst du im Ernst, dass eine Frau, die ständig zwischen ihrem Schreibtisch, der Küche und dem Kinderzimmer hin-und-her-hetzt, weil der Papa gerade wieder etwas Wichtigeres zu tun hat, als das Essen vorzubereiten oder mal nach dem schreienden Kind zu sehen, bessere Arbeitsergebnisse liefert, als der Mann, der sich in seinem Arbeitszimmer zurückzieht und dem Rest der Familie erklärt, dass Papa jetzt nicht gestört werden darf, weil er arbeiten muss?! Es ist nicht jede Frau eine Ministerpräsidenten-Tochter, die einen reichen Adligen heiratet, und sich dann Haushalts- und Kinderbetreuungspersonal einfach kaufen kann, wenn sie es braucht.

Natürlich kann eine Frau das irgendwie alles auch so schaffen. Ich habs ja auch irgendwie geschafft und bin beruflich sogar erfolgreicher als die Väter meiner Kinder, obwohl die immer ihren eigenen Scheiß vor die Bedürfnisse der Familie gestellt haben – aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Und, ganz ehrlich: Ich würde das weder mir noch anderen Frauen zumuten wollen, wenn ich denn gefragt würde und irgendeine andere Wahl hätte.

Deshalb klingt es in meinen Ohren wie Hohn, wenn die Ministerin fordert: “Wir wollen Bosse sein und wir wollen Babys haben!” Aber der Preis dafür, liebe Ursula, der Preis ist verdammt hoch – und wie oben schon gesagt: Nicht jede hat einen Papa und/oder einen Mann, der den für sie zahlt. Mir wäre sehr viel lieber, wenn das Preisschildchen diskret entfernt würde, so wie die Realsozialisten es wenigstens versucht haben. In der DDR wurde gewollt, dass Frauen sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden mussten – die Frauen wurden gebraucht, im realsozialistischen Deutschland herrschte ein chronischer Arbeitskräftemangel. Also wurden entsprechende Strukturen geschaffen, Ganztagsbetreuung, Ganztagsschulen, überhaupt jede Menge kostenlose Bildungs- und Freizeitangebote für die Kinder, und nicht zu vergessen, auch bezahlte Haushaltstage, weil es halt auch im Sozialismus meistens noch die Frauen waren, die den Haushalt geschmissen haben. Obwohl ich sagen muss, dass die ost-sozialisierten Männer, die ich kenne, haushaltstechnisch hilfsbereiter und auch geschickter sind als die durchschnittlichen Westmänner, die meist von ihren Vollzeit-Müttern umsorgt wurden. Und ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist, dass die erste deutsche Kanzlerin in der DDR aufgewachsen ist. Auch wenn ich kein Fan von ihr bin.

Und ich bin kein Fan von der Zukunft, die uns da ausgemalt wird. Ich finde Lohnarbeit jetzt schon scheiße, und sie wird kein bisschen besser, wenn man und Frau sich künftig zuhause, rund um die Uhr und auf Abruf darum bewerben müssen. Wir brauchen neue Regeln, der Ansicht bin ich allerdings. Aber wir müssen den Kapitalismus nicht ins Internet übertragen, der hat es sich dort ohnehin schon bequem gemacht, wir müssen die Regeln im realen Leben ändern. Lohnarbeit ist Sklaverei. Und da ändert auch die Tatsache wenig, dass ich wenigstens am eigenen Schreibtisch sitzen darf. Wer zahlt mir denn die Miete und die Telefonrechnung?!



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