Und dann auch noch das Wetter...

Den Schlagzeilen zufolge wird die Regierung die Wahl gewinnen. Mit eigener Mehrheit.

Immerhin: Wer hätte gedacht, dass mich schwarzgold noch mal sprachlos macht, aber es ist ja gar nicht Merkel.

SIE sind es.
Infratest dimap sagt mir heute morgen, Sie wären mit dieser Regierung zufriedener als mit jeder anderen seit 1997. 52 Prozent von Ihnen mögen das, was da die letzten vier Jahre passiert ist.

Frau Sylt und ich haben einiges davon aufgeschrieben. Sie müssen nur mal zurückblättern. Wir waren das letzte Jahr faul, aber es hat trotzdem für ein hunderte Seiten schweres Buch gereicht, dass alle Vorstellungskraft von schlechter Politik überstiegen hat. Das letzte Jahr war vor allem durch die Abwesenheit von gestaltender Politik geprägt – wenn man mal Kracher wie die Herdprämie oder das Leistungsschutzrecht vergisst, und dann endgültig reserviert für Affären und Skandale.

Immerhin wird es sich die SPD nach dieser Wahl einfach machen: Sie wird Steinbrück pulverisieren und sich einreden, dass sie damit ihr größtes Problem aus dem Weg geräumt hat. Dem ist mitnichten so. Steinbrück gehört sicherlich in die Liste von Fehlern, aber vor allem, was das Versagen der Partei angeht. Sie hat sich diesen Kandidaten quasi von den Medien aussuchen lassen und dann dabei zugesehen, wie er von eben denselben Medien zerrissen wurde. Das ist insofern bemerkenswert, als dass es kein schlechter Kandidat war.

Das Internet wird mir widersprechen und auf die sogenannten „Fettnäpfchen“ hinweisen, durch die er angeblich gegangen ist. Da wären zuallererst natürlich die gottverfluchten Vorträge zu nennen, und in diesem Zusammenhang dann seine Anwesenheitsquote im Bundestag. Eine kluge Partei hätte dieses Messer in der Hand der Koalition umgedreht, angefangen damit, dass satte 90 Prozent aller Bezieher von Zweiteinkommen aus den Regierungsfraktionen stammen. Eine kluge Partei hätte diese Vorträge genommen und sie gegen beliebige Regierungserklärungen dieser Kanzlerin gehalten.
Es waren Vorträge über Bankenregulierung, über Auswege aus der Eurokrise, Vorträge darüber, warum Eurobonds nicht das Böse sind, kurzum: Vorträge, an die wir uns in zwei, drei Jahren so oder so erinnern werden. Und wir werden uns daran erinnern, weil der Spekulationszirkus, der uns die ganze jetzige Krise überhaupt eingebrockt hat, dieser Tage ungehemmter denn je in die Vollen geht, und es nur eine Frage der Zeit ist, bis es unserer Regierung vor die Füße fällt, einer Regierung, die an dieser Front absolut nichts getan hat.
Wenn schon nicht anderes, dann möchte die SPD vielleicht die Partei sein, die dann sagen kann: Wir hatten recht. Wird sie aber nicht können.

Sie hat den gesamten Themenkomplex mit Steinbrück fallen lassen, und wenn sie ihn dann nach der Wahl atomisiert, wird sie auch kein Gesicht mehr haben, dass sie hier vertritt.

Das Internet wird mich dann an die Gehaltsdebatte erinnern. Und ja, das war, vor allem in Verbindung mit der Vortragsdebatte, strategisch sehr unklug. Meine Partei stand mit offenem Mund daneben und sah der Bevölkerung dabei zu, wie sie sich in Rage redete. Während eben diese Bevölkerung gleichzeitig im Sportteil über Ablösesummen und Werbeverträge diskutierte für Menschen, die Ball spielen oder ein Auto im Kreis fahren, und im Monat das Zehnfache von dem verdienen, was ein Bundeskanzler für eine komplette Legislaturperiode erhält.

Es wäre die Gelegenheit für die SPD gewesen, über den Wert unserer Demokratie zu sprechen, und dass es sie nicht kostenlos gibt. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, über Demokratie selbst zu sprechen, und dass sie kein Zuschauersport ist. In einem Jahr, in dem meine Partei ihren 150. Geburtstag feiert und sich dabei einmal mehr gerne als Urheber der Demokratie in diesem Lande darstellt, wäre das eine Gelegenheit gewesen, diese Tradition mit Leben zu füllen. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, über die Arbeit von Politikern zu sprechen, und zwar der 99 Prozent, die nicht durch Plagiate und Korruption auffallen, und die jeden Cent verdient haben, den sie bekommen.

Natürlich hätte das einen Shitstorm ausgelöst, aber Tatsache ist: Die Argumente hätte hier die SPD gehabt, nicht die Trolle, die mittlerweile ernsthaft glauben, „Die machen ja eh was sie wollen“ wäre eine kompetente Aussage, und „Alle Politiker sind schlecht“ wäre eine Diskussionsgrundlage.

Aber wir haben nichts gesagt. Ich auch nicht. Ich war fasziniert davon, wie die Medien Steinbrück auseinandernahmen, und übermannt von dem Hass, der ihm plötzlich entgegenschlug für exakt das, was ihn vorher so beliebt gemacht hat: Dass er seine Meinung sagt, auch wenn sie unbequem ist, und natürlich, dass er sogar dafür bezahlt wird, dass er sie sagt. Das war die Quelle seiner Popularität UND seiner Kompetenzwerte. Und dann war es plötzlich die Quelle seiner nicht vorhandenen Popularität, und seine Kompetenz war plötzlich etwas anrüchiges. Dass er sich mit seinem Feld auskennt, wurde innerhalb von nicht mal einem Monat zu dem Beweis dafür, dass er von den Banken gekauft wurde.

Man möchte hier der Linken gratulieren. Auch, wenn es sich für sie nicht in Stimmen auszahlen wird, hat sie sehr erfolgreich an Steinbrücks Demontage gearbeitet, die Regierung musste da eigentlich nur zusehen. Dass das nicht sonderlich klug war, und ein weiteres Mal Frau Merkel und Herrn Westerwelle in die Hände gespielt hat, sei nur am Rande erwähnt. Aber auch da kann Steinbrück nichts dafür; auch das war seine Partei, die durch die absurd hohen Werte der Grünen und gemeinsamen Siegen bei westdeutschen Landtagen verführt wurde zu glauben, dass rot-grün eine eigenständige Machtoption hätte. Und so verläuft weiterhin weiterhin ein Riss mitten durch die Opposition, während jetzt, nach vier Jahren lautstarkem Gerangel, wenig überraschend schwarz-gold geschlossen dasteht: Reingefallen;D.

Dass die durchhalten und sich aufrappeln, wenn es drauf ankommt, habe ich hier schon vor zwei Jahren vorhergesagt. Dass sie dann vor einer Mauer stehen müssten, hätte ich damals deutlicher sagen müssen. Stattdessen stehen sie vor einer Opposition, die sich gegenseitig in Fetzen schlägt, und das ist für den Deutschen eben sehr unerquicklich.

Die Piraten seien hier auch erwähnt, die mit ihrem kleinen, aber wortstarken Kontingent gerade dafür sorgen, dass selbst die NSA-Affäre mittlerweile nicht etwa gegen diese Regierung läuft, sondern stattdessen offenbar Pluspunkte bewirkt.

Mit einem nennenswerten Konzept für Urheberrecht und Netzpolitik, dass man auch öffentlich vertritt, hätte sich die SPD diese absurde Konsequenz sparen können; stattdessen kann man sie jetzt mit ihrem Wunsch nach einer Vorratsdatenspeicherung zitieren, um jeden Widerstand gegen Merkel ins Leere laufen zu lassen: Glückwunsch! Dass wir Piratenthemen brauchen, habe ich meiner Partei schon vor vier Jahren aufgeschrieben, dass hat sich als sehr wahr herausgestellt, aber eben leider niemanden interessiert.

Unter diesen Vorzeichen hätte selbst Willy Brandt die Wahl verloren, und natürlich hätte meine liebe SPD ihn dann genauso abgesägt, wie sie es mit Steinbrück tun wird. Dann wird sie vier weitere Jahre Themen liegenlassen, weil sie Angst vorm Wähler hat, und weiterhin feststecken in ihrer Vergangenheit, die jedes sozialpolitische Programm absurd erscheinen lässt.

Gleichzeitig lässt sie sich nicht nur von der Linken vorführen.

Die FDP behauptet seit vier Jahren, dieser Regierung würde sozialdemokratische Politik machen - was ein Übel ist! und meine Partei steht dämlich glotzend daneben und besteht weder darauf, dass das nicht böse wäre, noch darauf, dass nun wirklich nichts, was diese Regierung getan hat, sozialdemokratisch ist.

Ich kann nach diesen vier Jahren aber, wenn ich ehrlich bin, selber nicht mehr sagen, wie eine sozialdemokratische Regierung aussehen würde. Ich meine: Ich kenne unser Programm. Bloß lese ich davon nichts in der Presse, oder höre davon in diversen Veranstaltungen.

Jetzt, Anfang August, ist die SPD gegen das Belauschen unserer Bürger. Ach ja, Herr Schilly nicht, das war sehr hilfreich, danke Otto. Sie ist für Aufklärung, und deswegen müssen wir jetzt neben Herrn Steinbrück auch noch Herrn Steinmeier verstecken, der könnte nämlich, wie so häufig bei Skandalen dieser Regierung, sehr hilfreich sein. Gleichzeitig ist unser Wahlprogramm und vor allem unser Abstimmungsverhalten in den letzten vier Jahren ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die auch gerne von dieser Affäre profitieren wollen. Glückwunsch an die Fraktion! Auch sehr hilfreich.

Was wir sonst wollen:
Hätte ich mich in den letzten zwei Monaten als unbeteiligter Bürger zugeschaltet, ich hätte keine Ahnung. Und ich wüsste nicht mal, wer Herr Steinbrück ist. Außer, dass er an allem schuld ist. Und es gibt nicht mal Fotos aus seinem Urlaub.

Und dann ist da noch die Sonne.
Miststück.

Ja, tatsächlich, das Wetter. Das Wetter gibt uns den Rest.

Sie finden mich dann draußen, wo ich einen Regentanz aufführe.

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