Über ein NPD-Verbot

Auf meinem Nachttisch liegt gerade eine merkwürdige Lektüre. Merkwürdig deshalb, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass viele Leute zum Einschlafen "Das dritte Reich- ein Lesebuch zur deutschen Geschichte 1933-45" lesen. Eine Passage daraus hat mich dann auch gerade heimgesucht wie ein schlechter Traum.

Die NSDAP ist hiernach eine Verbindung, die die Bestrebung verfolgt, die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform zu untergraben. Da sie [...] gleichzeitig eine staatsfeindliche Verbindung im Sinne von § 129 StGB darstellt, fällt sie unter die Bestimmung des §4 Nr.I RepSchGes., wonach die Teilnahme an einer solchen Verbindung mit Gefängnis nicht unter 4 Monaten bestraft wird.

Geschrieben hat das ein gewisser Robert M.W. Kempner. Es stammt aus der 1930 entstandenen Denkschrift über die "NSDAP als staats- und republikfeindliche hochverraterische Verbindung". Kempner war damals 31. Von 1935 bis 1939 warfen ihn die Nazis ins Gefängnis, wo er wegen internationaler Proteste freikam und schließlich in den USA landete.  1945 gehörte er dann zum Stab des US-Hauptanklägers bei den Nürnberge Prozessen.

Und warum hat mich das jetzt heimgesucht?

Weil tatsächlich mal wieder jemand auf die Idee gekommen ist, die NPD zu verbieten. Das klingt mittlerweile fast ein wenig nach einem Running Gag. Wir erinnern uns: 2003 war mit lautem Getöse der letzte Verbotsversuch gescheitert, dank unklarer Beteiligung von V-Leuten eine denkbar große Blamage für alle Beteiligten. Initiator war drei Jahre zuvor der damals noch als bayrischer Innenminister agierende Kurt Beckstein gewesen; Hintergrund war eine Häufung von Anschlägen mit rechtsextremem Hintergrund.

In der Tat hat sich die NPD seitdem vor allem dadurch hervorgetan, sich selbst zu zerlegen. Sie reiht Skandale ihrer Abgeordneten an neue Finanzaffären und neue Hiobsbotschaften von ihrem munter wechselnden Kassenwart an neue Skandale ihrer Abgeordneten. Die Mitgliederzahlen sinken. Die Wahlergebnisse sind bestenfalls als Teilerfolge zu werten; für einen Sprung in den Landtag reichte es zum letzten Mal im Sommer 2009 in Sachsen.

Gleichzeitig versucht sich die Partei an einem Stilwechsel: Mit "Klasse statt Masse" hat der Vositzende Udo Voigt seit einiger Zeit die Parole herausgegeben, "bürgerlich" aufzutreten. Da gibt es sogar einen extra Leitfaden: Wie man spricht und sich anzieht, dass man nicht "BRD-System" sagt und seine Tatoos verdeckt. In der Tat gibt es da nicht viel Bedrohliches zu entdecken.

Genau wie in der NSDAP 1928. Die waren auch ein lustiger kleiner Haufen mit einem lustigen kleinen Vorsitzenden. Sie waren bei den Reichstagswahlen endgültig unter den Splitterparteien angekommen. die Mitgliederzahlen stagnierten, die republikanischen Kräfte machten sich, wenn überhaupt, Sorgen um die DNVP, und natürlich um die KPD. Auch bei der SPD stand der Feind links, wobei die KPD, wenn es um die Republik ging, in der Tat auch ein Feind war.

Und damit so gesehen in der Mitte der Gesellschaft. Die NPD wäre damals in ihrer Haltung zur Republik, fast schon staatstragend gewesen, zumindest, was die offiziellen Verlautbarungen angeht. Intern sieht das natürlich anders aus. Und auch die kleine, aber feine Unterscheidung zwischen der Verfassungmäßigkeit von Weg und Ziel ist ja etwas, dass die NSDAP damals für sich entdeckte....

"Wir haben nichts mit dem Parlament zu tun. Wir lehnen es innerlich ab und stehen auch nicht an, dem nach außen hin kräftig Ausdruck zu verleihen. […] Ich bin kein Mitglied des Reichstages. Ich bin ein IdI. Ein IdF. Ein Inhaber der Immunität, ein Inhaber der Freifahrtkarte. (Ein IdI) beschimpft das ‚System‘ und empfängt dafür den Dank der Republik in Gestalt von siebenhundertfünfzig Mark Monatsgehalt."

Joseph Goebbels

Die NPD übrigens hat 2010 etwa 1,2 Millionen Euro als Dank der Republik empfangen.

Natürlich ist die Einstellung der Bürger zur Republik heutzutage eine ganz andere, wie man unter anderem in der Kommentarspalte zu dem Anlauf diesmal des sachsen-anhaltinischen Innenministers Stahlknecht (CDU) sehen kann. Einer der beliebstesten Meinungen zu dem Vorschlag ist zum Beispiel:

Wenn etwas in diesem Land verboten und ENDLICH zur Rechenschaft gezogen werden muß,dann ist es die Sozialistische Einheitspartei CDUSPDFDPGRÜNELINKE. Gründe sind mehr als reichlich vorhanden!
Landes, Hoch und Volksverrat werden in jedem zivilisierten Land mit der Todesstrafe geahndet.

233 Leute haben das empfohlen (bis jetzt)

Kein Wort gegen die Republik! Nur gegen alle Parteien, die sie tragen, die so nebenbei noch - zivilisiert! - hingerichtet werden sollen. Und natürlich ist das nur irgendein Troll, wobei sich der Rest dessen, was dort abgesondert wird, nicht besser anhört. Es gibt unzählige Foren, in denen tausende Trolle zehntausende Seiten mit eben solchem Dreck vollschreiben, und bei Widerspruch wird die neue Allzweckwaffe des deutschen Rechtsextremismus ausgepackt: Die Meinungsfreiheit. Ganz im Sinne des großen Meisters.

"Wenn unsere Gegner sagen ›Ja, wir haben euch doch früher die Freiheit der Meinung zugebilligt.‹ Ja, ihr uns! Das ist doch kein Beweis, daß wir das euch auch tun sollen. Daß ihr das uns gegeben habt, das ist ja ein Beweis, wie dumm ihr seid."

Goebbels 1935

Auch und gerade überzeugte Demokraten können viel aus der Geschichte lernen, zum Beispiel, wie schnell es gehen kann. Dafür müssen wir nicht mal bis Weimar zurückgehen, wir können stattdessen nach Österreich sehen, nach Holland, nach Finnland, nach Schweden, nach Frankreich, nach Italien. Und damit ist die Liste noch lange nicht vollständig.

Ungarn habe ich bewußt nicht genannt. Ungarn ist noch mal eine Stufe weiter. Unter anderem auch, was die Selbstverleugnung der Demokraten angeht, EU-weit. Die modernen Nazis haben in den letzten Jahren in der Tat eine Lektion aus der Geschichte begriffen: Dass die Demokraten nichts gelernt haben, obwohl sie die Nazizeit stets wie eine Lanze vor sich hertragen. Man kann sie - und die Wähler gleich mit - genau so täuschen und einfangen wie vor 80 Jahren.

Unter anderem ist das so, weil uns allmählich die Augenzeugen ausgehen. Diese Zeit wird zunehmend etwas, von dem einem nicht mehr Eltern, Großeltern oder mittlerweile Urgroßeltern erzählen, sondern Lehrer und Politiker. Der Verlust an Authenzität wird nur noch übertroffen von dem Verlust an Glaubwürdigkeit. Das ist eine der großen Herausforderungen in den nächsten Jahren, und ich sehe momentan niemanden, der die Stelle der Familienangehörigen einnehmen kann, die aus erster Hand berichten. Das müssen dann Leute erledigen, die umso leichter korumpierbar sind. Der Kreis schließt sich.

Bin ich deswegen für ein NPD-Verbot? Bisher war ich das nicht. Bisher habe ich immer gesagt: Gerade wenn die sich frei produzieren können, ist das die beste Werbung gegen rechts, die man sich vorstellen kann. Aber was, wenn ich mich da irre? Die sind ja nicht nur in Deutschland abschreckend. Die sind auch in Holland undemokratisch. Die sind ja auch in  Italien historisch vorbelastet. Und gerade in Ungarn hätte man vor allen anderen meinen sollen, dass den Leuten ihre Freiheit was bedeutet.

Wird dadurch ein Problem gelöst? Natürlich nicht. Ändert sich so das Denken der Mitglieder und Wähler dieser Partei? Ganz bestimmt nicht. Aber...

Ist das vereinbar mit der Meinungsfreiheit? Wenn wir sie weiter haben wollen, ja.

Wird so die Demokratie geschützt? Ganz eindeutig ja.

Wenn ich mich so umsehe, scheint es dringend Zeit zu sein für eine symbolische Geste, die unmißverständlich sagt: Bis hierhin, und nicht weiter. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, und das steht nicht zur Diskussion.

Volksverhetzung ist keine Meinung, sondern ein Straftatbestand.

Das ist Recht und Gesetz. Das ist unsere bestehende Ordnung. Oder sind Sie etwa integrationsunwillig? Müssen wir Sie einem Einbürgerungstest unterziehen?

(ja, ich höre jetzt auf, so ernst zu sein. Aber es musste mal sein)

Hier kommt das Wetter.

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