Typologie der Autokraten

Sadist

Sadist

Rudy Giuliani durfte – so hört man – nicht Außenminister werden, weil er sich selbst zu laut um diesen Posten beworben hatte. Donald Trump mag keine Leute, die sich selbst in den Vordergrund spielen. Eh klar.

Erich Fromm beschreibt in seiner „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ den „sadistischen Menschentypus“. Stalin ist für ihn der Prototyp. Der sadistische Typus weidet sich daran, andere Menschen nach Belieben demütigen und erhöhen zu können. Für ihn gelten keine Regeln, sein Umfeld lebt in permanenter Unsicherheit. Die kleinste Verfehlung kann den Gulag bedeuten, oder sie kann großmütig vergeben werden, ganz wie es dem Sadisten beliebt. Er allein entscheidet. Er ist an kein Gesetz und keine Konvention gebunden. An dieser destruktiven Macht berauscht er sich.

Soweit ich sehe, entspricht Donald Trump genau diesem Typus – in einer Offenheit, die bisher selten war. Seine Kabinettsbildung ist nicht umsonst mit einer Castingshow verglichen worden. Mitt Romney musste sich erst lobend über Trump äußern, bevor er fallengelassen wurde. „We convert him before we kill him“ (1984). Trump ist nicht zuletzt aufgrund seines öffentlich zelebrierten Sadismus gewählt worden – von Menschen, die selbst so oft gedemütigt wurden, dass sie sich über jede Demütigung anderer – insbesondere erfolgreicherer – Menschen freuten. Ein Egalitarismus der Ungerechtigkeit. Wenn die Welt schon beschissen ist, dann bitte für alle.

Sind alle Autokraten Sadisten? Ich glaube es nicht – jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Bei Orban, Putin und Erdogan sind recht andere Triebkräfte im Vordergrund. So dürfte es sich lohnen – am Ende eines Jahres, in dem die Weltpolitik mehr und mehr von Autokraten bestimmt wurde – eine Typologie dieser Politiker zu entwerfen.

ita

ita

Am ähnlichsten zu Trump scheint mir ein Politiker, den man erwarten dürfte – Horst Seehofer –, und ein anderer, mit dem man hier bestimmt nicht rechnet: Papst Franziskus.

Nun, okay. Selbstverständlich gibt es sehr signifikante Unterschiede zwischen Trump und Franziskus – am wichtigsten der, dass Franziskus im Gegensatz zu Trump Ideale und Ziele hat, die nicht seine eigene Person betreffen –, aber es gibt auch überraschende Gemeinsamkeiten.

Die Popularität beider beruht zu einem großen Teil darauf, dass sie sich mit dem Establishment anlegen (obwohl sie ihm selbst entstammen). Beide halten sich an keine Regeln und Konventionen. Beide kanzeln ihre Untergebenen regelmäßig in der Öffentlichkeit ab. Innerkirchlich herrscht Franziskus rigider als die meisten seiner unmittelbaren Vorgänger – er löst Orden per Handstreich auf (was es seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gegeben hat), schickt Priester ins Exil und stellt Generalobere unter Hausarrest, wie es ihm beliebt. Wie Trump kann er mit Kritik schlecht umgehen, was ihn – wie Trump – aber nicht hindert, von Zeit zu Zeit auch Kritiker in sein Gefolge zu berufen, wenn es ihm gefällt.

Auch in ihrer Sprache sind sich die beiden erstaunlich ähnlich: eine bestimmte Art des tautologischen Satzbaus findet man sowohl in den Spontanpredigten des Papstes wie in den Tweets des designierten Präsidenten: die nachgeschobene Bestätigung des bereits gesagten. Ja, das trifft es gut. Ich finde, er ist ein großartiger Mann. Ein wirklich großartiger Mann. Aber es gibt Leute, die wollen es nicht verstehen. Ja, leider gibt es diese Leute. Ich habe ihnen gesagt: Wartet ab. Das habe ich ihnen damals gesagt. Aber sie haben es nicht verstanden. Sie haben es niemals verstanden. Die Aussage ist null, der Fokus legt sich umso stärker auf den Urheber des Sprechakts. Ich, Trump, ich, Franziskus, habe das gesagt. Ja, das habe ich gesagt. Nicht der Inhalt, sondern das Charisma des Sprechers entscheidet über die Wahrheit einer Aussage.

Würstchen

Würstchen

Gehen wir zu Erdogan. Er ist trumpähnlicher als Orban oder Putin, weil sich auch bei ihm alles um die eigene Person dreht. Er ist das fleischgewordene Ressentiment, der Underdog, der es irgendwie nach oben geschafft hat und der fürderhin jedem an die Gurgel geht, der ihn daran erinnert, ein Underdog zu sein. Erdogan geht es – wie Trump – um die Macht an sich, allerdings geht es ihm nicht um das Spiel damit, nicht darum, die Regeln nach Belieben ändern und die Menschen verunsichern zu können. In Erdogans Idealstaat ändern sich keine Regeln. Die Regeln sind einfach und klar: wer dem Sultan ins Gesicht spuckt, wird enthauptet. Alle müssen gehorchen. Erdogans Ehrbegriff hat sich nicht verändert seit der Zeit, wo er als Zwölfjähriger die Hinterhofgang anführte. So gesehen, ist Erdogans Welt viel simpler als die von Trump oder Franziskus. Es gibt kein Spiel, keine Doppelbödigkeit, keinen Sadismus, sondern nur Ehre und Minderwertigkeitskomplexe. Mehr fällt mir zu Erdogan nicht ein.

Lauscher

Lauscher

Putin würde im Gegensatz zu Erdogan nie auf die Idee kommen, einen deutschen Satiriker zu verklagen. Putin unterscheidet sich von Erdogan und Trump dadurch, dass es recht wenig um seine eigene Person zu gehen scheint. Anders als die beiden hat er sich nicht in sein Amt gedrängt – es war eher der Zufall, der ihn auf diese Position katapultiert hat. Einmal oben angekommen, hat er freilich die Zügel fester angepackt als erwartet – und das hat durchaus seine Gründe.

Was bei Trump der Sadismus ist und bei Erdogan das Ressentiment, ist bei Putin der Machtverlust Russlands. Das Trauma, das sein politisches Handeln bis heute begründet, ist der Zerfall der Sowjetunion. Dem Kommunismus hat er nie nachgetrauert, die Schrumpfung des geopolitischen Einflussbereichs Moskaus hingegen hat er bis heute nicht verwunden. Wenn ich mich nicht irre, hat er das Ende der UdSSR sogar als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Die beiden Maximen seiner Politik sind daher: 1. die Erhaltung bzw. Vergrößerung des russischen Einflussbereichs, sowie 2. die größtmögliche Stabilisierung der russischen Innenpolitik.

Die Mittel zur Erreichung dieser Ziele liefert ihm seine geheimdienstliche Sozialisierung. Und hier kommen wir ironischerweise wieder in die Nähe von Donald Trump. Was Putin mit dem künftigen US-Präsidenten verbindet, ist die Freude am Spiel. Bei Trump ist es ein sadistisches Katz-und-Maus-Spiel, bei Putin ein geheimdienstliches Verwirrspiel. Beide setzen auf Desinformation, lediglich dass Putin logischer und damit berechenbarer desinformiert als Trump, da seine Desinformationen einem objektiv bestimmbaren Ziel, Trumps Desinformationen hingegen seiner subjektiven psychologischen Ergötzung dienen. Mehr spiel- als wertgeleitet, habe beide kein Problem mit Ungerechtigkeiten und Demütigungen, beide lassen Menschen bei Bedarf einfach fallen. Bei Putin folgen solche Opferungen eher der Logik des Schachspiels, bei Trump jener der Castingshow. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass die westlichen Medien fast durchweg Trump eher als Spielstein in Putins Spiel sehen als umgekehrt.

Theoretiker

Theoretiker

Viktor Orban schließlich wirkt im Vergleich zu den Genannten fast wie ein demokratischer Musterknabe. Was ich an ihm recht ungewöhnlich finde, ist sein ausgeprägtes theoretisches Interesse. Vor ein paar Jahren tourte er durch verschiedene Autokratien, um „zu verstehen, wie diese Systeme funktionieren“. Offenkundig sieht er im autokratischen Regierungsmodell den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts. Er will die Welt fit für die Zukunft machen. Ein solcher theoretischer Ehrgeiz wäre sowohl Trump wie auch Erdogan und Putin fremd. Alle drei sind hauptsächlich daran interessiert, dass in ihrem Land bzw. Konzern alles zufriedenstellend läuft, und sie dürften kaum ein Problem damit haben, dass andere Länder anders regiert werden – solange ihnen daraus keine direkten Schwierigkeiten erwachsen. Orban aber will offensichtlich Trendsetter sein – Zukunftslabor, made in Hungary. Oder, wie ich vor Jahren einen ungarischen Botschafter sagen hörte: „Wir sind eine kulturelle Großmacht.“

Natürlich sind die Typen nicht so klar getrennt wie hier dargestellt. Natürlich ist Putin nicht von Eitelkeit frei und Trump nicht von Ressentiment. Natürlich gibt es auch noch mehr Typen. Natürlich kann ich mich auch in meinem Urteil täuschen. Mir scheint aber wichtig zu begreifen, dass es nicht nur eine Sorte Autokrat gibt. Inzwischen gibt es so viele, dass die Unterschiede klar zu Tage treten. Und diese Unterschiede werden die Weltpolitik auch 2017 entscheidend beeinflussen.


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