Tunesien. Aufbruchstimmung oder Ernüchterung?

Tunesien. Aufbruchstimmung oder Ernüchterung?

Der Anfang des Jahres 2011 sah vielversprechend aus. Der Wind, der plötzlich in Tunesien und Ägypten wehte und für Umbrüche sorgte, ließ nicht nur die Menschen in den selbigen Länder neue Hoffnung schöpfen, vielmehr waren sie Inspiration für die ganze Welt im Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit. Dem Ruf nach Freiheit, nach dem auch andere Länder überwiegend, aber nicht ausschließlich, aus der arabischen Welt folgten.

Nunmehr, ein halbes Jahr später, scheint der frische Wind sich in den meisten Köpfen der Menschen verflüchtigt zu haben. Zwar ist er noch in Syrien, Libyen und Jemen zu sehen. Doch hat sich aus dem Arabischen Frühling längst ein grausames Blutbad entwickelt. Die syrische Regierung geht mit brutalster Härte gegen das eigene Volk vor und verliert trotzdem von Tag zu Tag immer mehr Boden unter den Füßen. Immer mehr Menschen auch aus den größten Städten schließen sich nun den Demonstranten an. Und während des Monats Ramadan, welcher nächste Woche beginnt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass noch mehr Menschen auf die Straße gehen werden. In Libyen halten die Kämpfe weiterhin an. Erst gestern, am 28. Juli, wurde der militärische Anführer der libyschen Rebellen Abdel Fattah Younes umgebracht. Und in Jemen beharrt Ali Abdullah Saleh krampfhaft auf seine Macht, trotz der starken Brandverletzungen, die er vor einigen Monaten bei einem Anschlag erlitten hatte, die ihn völlig entstellten und wodurch er vorübergehend nach Saudi Arabien musste.

Von Europa aus ist es aber nur noch ein alltägliches Ereignis geworden. Trotz der Tatsache, dass täglich Menschen auf den Straßen der oben genannten Länder ihr Leben lassen.

Doch in Ägypten und Tunesien folgt jetzt ebenso auf den Hype die Ernüchterung. Man ist wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen. Während der Tahrir Platz in Kairo wieder etliche Demonstranten aufnahm, hat es auch in Tunesien immer wieder Proteste gegeben. Betrachten wir Tunesien mal genauer, das Land, wo alles begann.

Nachdem Ben Ali am 14. Januar flüchtete und einige Tage später einigermaßen wieder für Ordnung und Sicherheit auf den Straßen gesorgt werden konnte, kam es noch in den Folgewochen zu mehrfachen Demonstrationen. Die Übergangsregierung entsprach nicht den Vorstellungen des Volkes. Viel zu viele Funktionäre des alten Regimes saßen drin. Nach mehrfachen Änderungen hat man sich einigermaßen zufriedenstellen lassen. Komplettes Vertrauen schenkte man der Interimsregierung jedoch nie.

Auch das Wegbleiben des Tourismus hat in dem Land, welches zuvor noch als günstiges Paradies für Urlauber galt, deutliche Spuren hinterlassen. Der Wirtschaft ging es selten so schlecht, wie derzeit. In der Anfangszeit der Übergangsregierung bildeten sich dutzende neue Parteien. Ebenso wurden ehemals verbotene Parteien wieder zugelassen. Ihnen war es unter Ben Ali untersagt politisch aktiv zu sein und nicht wenige von ihnen waren politische Gefangene oder lebten im Exil.

So auch beispielsweise der 56-jährige Ali Larayedh. Er ist mittlerweile Vorsitzender des Gründerkomitees der islamisch-orientierten Partei Nahda (Renaissance). 1987 zur Zeit Ben Alis wurde er zum Tode verurteilt. Daraufhin folgten weitere Urteile. Letzten Endes war er 14 Jahre in Haft, davon 12 Jahre in Einzelhaft. In einem Interview erzählt Larayedh, dass das Volk das Vertrauen in die Politiker nunmehr verloren hat. Das laut ihm „grundlose“ Verschieben des Wahltermins um ein weiteres Mal bis zum Oktober habe das Volk pessimistischer gestimmt. Zudem habe es zu weiteren wirtschaftlichen Einbüßen geführt und das internationale Image habe darunter gelitten.

Die Nahda Partei gilt in Tunesien offiziellen Umfragen zufolge, u.a. durchgeführt vom arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera, als stärkste Partei mit gut 21%. Etwas abgelegen hinter ihr liegt die PDP (parti démocrate progressiste = Fortschrittliche Demokratische Partei) mit 9%. Die drittstärkste Partei verbucht Umfragen zufolge derzeit 5%. Doch sind die Umfragewert auch gleich wieder zu relativieren. Denn gleichzeitig heißt es, dass gut 54% der Bevölkerung sich noch nicht entschieden haben, wen sie wählen. Das liegt wohl auch daran, dass kaum einer in den Programmen der Parteien durchzublicken vermag angesichts der Unmengen. Dennoch ist und bleibt die Nahda eine der wichtigsten Gesprächsthemen im Land. Diese definiert sich selbst als religiös und modern, welche sich für Demokratie, Gerechtigkeit und Entwicklung gleichermaßen einsetzt. Während sich die Bevölkerung vor allem in der Frage streitet, ob sie eine islamisch oder links orientierte Partei bevorzugen, geht es in der Interimsregierung vor allem auch darum, welches politische System man überhaupt haben wolle. 47% stimmen derzeit für ein parlamentarisches System, während gut 26% am alten präsidialen System verharren möchten, unter dem auch schon Ben Ali seine Macht entfaltete.

Die Diskussionen über die zukünftige Politik sind wohl das wichtigste Gesprächsthema derzeit. Doch währenddessen verlieren immer mehr Menschen die Hoffnung, dass sich überhaupt etwas ändern wird. Insbesondere die landesinneren Gebiete sind es, welche besonderer Aufmerksamkeit bedürften. Dort entfachte die ganze Revolution, denn diese Gebiete hatte man wirtschaftlich total missachtet und herunterkommen lassen. Während die Küstenregionen durch Wirtschaft und Tourismus mehr oder weniger florierten, hat man dem Landesinneren kaum eines Blickes gewürdigt.

Umso wichtiger ist also auch die Frage, wo die Parteien Tunesien in 5 bis 10 Jahren sehen. Ali Larayedh sieht für das Land im Jahr 2013 eine realistische Chance in einer Entwicklungsquote von 8%. Zudem schätzt er, dass sich mindestens vier große Parteien in der Regierung behaupten werden, eine stabile Demokratie sich entwickelt hat und die soziale Gerechtigkeit gestärkt ist.

Bleibt abzuwarten, was bis zum Oktober noch geschieht, wenn dann die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes stattfinden werden.


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