Der 23. Januar widmet sich im Rahmenkalender der kuriosen Feiertage aus aller Welt dem Thema Schreiben mit der Hand und einem Stift. Denn dieses Datum feiert man in den USA u.a. auch als National Handwriting Day, den nationalen Tag der Handschrift. Und zur Abwechslung liegen diesbezüglich nahezu alle Hintergrundinformationen vor. Grund genug also, heute mal die Tastatur oder den Touchscreen gegen Stift und Papier einzutauschen. Oder anders gesagt: Zeit für ein paar handschriftliche Notizen.
23. Januar – Tag der Handschrift – der amerikanische National Handwriting Day – 1 (c) 2015 Sven Giese
Die amerikanische WIMA begründet einen Ehrentag der Handschrift
Ins Leben gerufen wurde der National Handwriting Day von der Writing Instrument Manufacturers Association (WIMA) im Jahr 1977. Ziel dieses Aktionstages war es schon damals, den Gebrauch von Stift und Papier zu bewerben. Bedenkt man also, dass hier im Prinzip ein Industrie- und Handelsverband als Initiator auftritt, so wird schnell deutlich, dass man wohl schon zu diesem Zeitpunkt ahnte, dass die Geschäfte in Zukunft nicht mehr so gut laufen würden.
Dementsprechend begründet die WIMA diesen Ehrentag der Handschrift am 23. Januar auch mit folgendem Statement:
The lost art of handwriting is one of the few ways we can uniquely express ourselves. There’s something poetic about grasping a writing instrument and feeling it hit the paper as your thoughts flow through your fingers and pour into words. So, the Writing Instrument Manufacturers Association (WIMA) suggests you take advantage of National Handwriting Day on January 23 and use a pen or a pencil to rekindle that creative feeling through a handwritten note, poem, letter or journal entry.
(Quelle: www.wima.org – siehe weiterführender Links unten)
John Hancock und die Hintergründe des National Handwriting Day
Aber dies nur als kleine Randbemerkung, denn die Wahl des Datums ist um einiges origineller und nimmt Bezug auf ein für die USA sehr wichtiges historisches Ereignis: So ist der 23. Januar zugleich der Geburtstag des Amerikaners John Hancock (23. Januar 1737 – † 8. Oktober 1793), dem Mann, der am 4. Juli 1776 als erster die amerikanische Declaration of Independece – also die Unabhängigkeitserklärung der USA – unterzeichnete.
Nicht nur aufgrund seines Status als erster Unterzeichner kommt dieser Signatur eine besondere Bedeutung zu, auch optisch fällt die mit ca. 13 cm extrem große Unterschrift auf dem Original-Dokument dem Betrachter sofort ins Auge. Im amerikanischen Englisch hat sich daher auch der Name John Hancock als Synonym für eine Unterschrift eingebürgert (Please, put your John Hancock here! – dt. Bitte hier unterschreiben!).
Und wer damit nichts anfangen kann, für den/die gibt es heute ja auch noch die kalendarischen Alternativen des Welttag der Handballer, des US-amerikanischen Kuchen-Tag (engl. National Pie Day) oder den Tag des Fußvermessens (engl. Measure your Feet Day).
Zum Tag der Handschrift – Interview mit dem Kalligraphen Noel Reumkens
Neben dem zuvor genannten historischen Bezug ist der National Handwriting Day natürlich auch eine prima Gelegenheit, sich mit dem Thema Handschrift bzw. der Kunst des schönen Schreibens mit der Hand zu widmen. Umso mehr freue ich mich, dass ich den Kalligraphen Noel Reumkens für ein kleines Interview zum Thema Schönschrift und Kalligraphie gewinnen konnte.
Hallo Noel. Schön, dass Sie uns zu einem Interview zur Verfügung stehen. Stellen Sie sich doch doch bitte kurz vor!
Ich habe als Kind schon immer gerne schön geschrieben. Meinen ersten umfassenden Kalligraphie-Kurs machte ich dann als 10-Jähriger. Weil meine Mutter bemerkt hatte, dass ich gerne schrieb, schickte sie mich in einen Kurs. Dort war ich das einzige Kind. Das fand ich am Anfang natürlich nicht so toll, aber bald habe ich mich auf den wöchentlichen Kurs gefreut. Als Erwachsener habe ich dann viel später an der Kunsthochschule mit Typographen zusammengearbeitet, was mein Interesse an der Kalligraphie nur noch geschürt hat. Seit vergangenem Jahr betreue ich nun den Kalligraphiekurs bei der NHAD.
Was ist eigentlich Kalligraphie?
Kalligraphie heißt schönes Schreiben. Dabei gibt es verschiedene Schriftarten, die im Laufe der Jahrhunderte entwickelt wurden und denen gewisse Formregeln innewohnen, die es zu erlernen gilt. Dieses Erlernen braucht viel Zeit und Ruhe. Das Ausüben der Kalligraphie hat somit auch eine meditative Wirkung.
Worin unterscheiden sich Schönschrift und Kalligraphie?
Ich glaube, dass die Kalligraphie sich zur Schönschrift verhält, so wie das klassische Ballett sich zum Tanz im Allgemeinen verhält. Kalligraphie hat genauso sehr wie das Ballett mit Formregeln und Disziplin zu tun. Schön schreiben kann jeder, wenn er sich ein bisschen Mühe gibt, aber für Kalligraphie braucht man Geduld und Ausdauer.
Was macht eine schöne Handschrift aus?
Wichtig ist meiner Meinung nach bei der Handschrift eine gewisse Harmonie. Dies heißt auch, dass eine Handschrift nicht immer leserlich sein muss, um schön zu sein. Schauen Sie sich die Handschriften von berühmten Autoren des frühen 20. Jahrhunderts an: Meistens unlesbar, aber dafür besonders schön, natürlich auch weil diese Menschen ihre Handschrift noch viel mehr verwendeten als wir heutzutage.
Kann ich meine Handschrift mit Hilfe der Kalligraphie ändern?
Absolut! Weil man sich bewusst mit der Schrift beschäftigt, ändert sich selbstverständlich auch die Art und Weise wie man im Alltag schreibt.
Ich habe eine schreckliche Handschrift. Was kann ich tun, um meine Handschrift effektiv und schnell zu verbessern?
Wichtig ist es in diesem Fall ein Bewusstsein für die Schrift zu entwickeln. Viele Menschen haben sich zuletzt als Kind bewusst mit ihrer Handschrift auseinandergesetzt, eben als sie das Schreiben lernten. Ein neu erworbenes Bewusstsein kann die Handschrift entscheidend verschönern.
Welche Voraussetzungen oder Vorkenntnisse muss ich mitbringen, um Kalligraphie zu erlernen?
Wichtigste Voraussetzung ist natürlich, dass man schreiben kann. Ein gewisses Gefühl für Ästhetik und für Komposition gehört aber auch zu den Voraussetzungen, um Kalligraphie zu erlernen, so wie eine große Menge an Geduld und Ausdauer.
Was für Materialien brauche ich, um zu kalligraphieren? Schreibfeder oder Füller? Tinte oder Tusche?
Eigentlich ist es egal, ob Sie eine Schreibfeder oder einen Füller, Tinte oder Tusche verwenden; es geht vielmehr darum, dass Sie sich Zeit nehmen und ganz genau überlegen wie Sie arbeiten. Wie gesagt: Kalligraphie ist zu Schriftbild gewordenes Denken. Sie brauchen eine gewisse Contenance bei der Ausführung, um zu schönen Ergebnissen zu kommen.
Worauf muss ich besonders achten? Welche Tipps können Sie einem Anfänger mit auf den Weg geben?
Nehmen Sie sich Zeit! Kalligraphie ist keine Freizeitbeschäftigung für schnell zwischendurch. Es geht bei Kalligraphie an erster Stelle um den Prozess.
Was sind die häufigsten Anfängerfehler?
Als ich meinen ersten Kalligraphiekurs machte (das war Anfang der 1990er Jahre), haben wir stundenlang in Stille den gleichen Buchstaben wiederholt. Bei AnfängerInnen sehe ich heute oft, dass sie so schnell wie möglich Ergebnisse sehen wollen, was kontraproduktiv ist.
Gedruckte Schrift ist lesbarer und einheitlicher; tippen auf der Tastatur geht oft schneller. Warum soll ich noch mit der Hand schreiben?
Weil die Schrift eine Basisform von Kultur ist und man sich indem man schreibt durch und durch Mensch fühlen kann. Kalligraphie ist außerdem zu Schriftbild gewordenes Denken. In die Buchstaben fließen während der Arbeit Überlegungen zu Form, Harmonie und Dynamik ein. Somit ist eine kalligraphierte Seite immer eine höchst individuelle Kreation, die mit relativ einfachen Mitteln entsteht.
Mit dem Aufstieg von Computern und der digitalen Kommunikation, verliert die Handschrift an Bedeutung. Warum ist es wichtig die Kultur und Kunst des Schreibens aufrechtzuerhalten und was muss dafür getan werden?
Nur weil es die Fotografie gibt, haben die Menschen nicht aufgehört zu zeichnen und zu malen. Das E-Book hat das klassische, gedruckte Buch nicht abgelöst – auch wenn dies aus umwelttechnischen Gründen vielleicht nicht schlecht wäre. Ich glaube nicht, dass man da etwas eingreifen muss. Es wird die Kunst und Kultur des Schreibens auch in Zukunft geben, weil Menschen gerne kreativ sind, selber etwas machen, was sie schön finden und was Ihnen nahe ist.
Außerdem hat Schreiben auch eine mnemotechnische Funktion: Man merkt sich dasjenige, was man mit Hand schreibt einfach viel besser als das, was man tippt. Die Handschrift ist als menschliche Aktivität viel beständiger als man denkt.
Muss heute natürlich auch gefragt werden. Wie feiern Sie als Kalligraph den Tag der Handschrift?
Ich schreibe an dem Tag extra schön und extra viel.
Vielen Dank.
Weitere Informationen zum Tag der Handschrift in den USA
- Offizielle Website der WIMA (englisch)
- Wikipedia-Eintrag zu John Hancock (englisch)
- Website der NHAD zu den Kalligraphie-Kursen von Noel Reumkens (deutsch)