Spaniens Siesta trifft keine Schuld
Die Spanier werden sich wohl ewig dafür rechtfertigen müssen – und das eigentlich nur, weil sie sich so schön auf Fiesta reimt: Die Siesta ist wieder einmal ins Gerede geraten. Mitschuld an der schwachen Wirtschaft soll sie sein, konnten wir am Wochenende pünktlich zu den Wahlen lesen, auf ihr Konto gehe die geringe Arbeitsproduktivität, bei der Spanien nur Platz 10 der 17 Euro-Länder belegt.
Siesta-Bashing, während der Rest der Welt die Vorteile des Power-Nappings preist, Nap-Lounges aus den USA zu uns herüberschwappen und selbst ein niedersächsischer Bürgermeister seinen Beamten schon den Mittagsschlaf aufdrücken wollte? Während Studien beweisen, wie positiv sich das 20-minütige Schläfchen auf Kreativität, Konzentration und Leistungsfähigkeit auswirkt und sogar Herz-Kreislaufkrankheiten vorbeugt?
Wissenschaftlich betrachtet gibt es eigentlich nichts, was gegen das traditionelle Siesta-Nickerchen spräche, schon gar nicht die horrende spanische Arbeitslosigkeit. Zumal die Spanier von heute in Sachen Mittagsschlaf tatsächlich weit hinter den Deutschen zurückliegen. Eine Umfrage der Zeitschrift Neurology zufolge schieben nur neun Prozent der Iberier mehr als dreimal wöchentlich einen Mittagsschlaf ein, 22 Prozent sind es in Deutschland, 16 in Italien und 15 Prozent in Großbritannien.
Schuld sind die unmenschlichen Arbeitszeiten – nicht nur in Spanien
Problematisch ist etwas ganz anderes, und das hat mit dem harmlosen Nickerchen wenig zu tun und ist eigentlich auch ein weltweites Problem: die Arbeitszeiten. Traditionell weit verbreitet ist in Spanien nämlich die geteilte Schicht, die von 9 bis 13.30 und dann nochmal von 17.30 bis 21 Uhr zur Arbeit ruft. Für die Angestellten ist das keine Freude, weil sie für einen Acht-Stunden-Job mehr als zwölf Stunden außer Haus sind und letztlich wenig Zeit für die Feierabend-Entspannung lässt.
Ein Zeichen ausufernd-unproduktiver spanischer Lebensart ist sie also nicht. In vielen Unternehmen und Büros sind längst normale 9- bis 17-Uhr-Arbeitszeiten eingeführt, die langen Schließzeiten gelten vor allem in Geschäften. Sie passen sich gerade im Sommer dem Tagesrhythmus der Kunden an: Weil man tagsüber bei der Hitze ungern vor die Tür geht, werden Besorgungen eben erst wieder abends ab 18 oder 19 Uhr erledigt.
Auch die unmenschlichen Arbeitszeiten lässt sich Spaniens Wirtschaftsschwäche allerdings nicht in die Schuhe schieben – denn darauf hat Spanien weiß Gott kein Monopol. Wer sich mit dem Chronobiologen Till Roenneberg unterhält, dem könnte es Angst und Bange werden. Jeder Mensch hat seine eigene innere Uhr, die ist ererbt und daran gibt es nichts zu rütteln. Wem seine Uhr vorgibt, bis spät in die Nacht hinein aktiv zu sein, der hat mit den klassischen Arbeitszeiten seine Probleme, und nicht, weil er zu faul ist, um aus den Federn zu kommen. Eulen werden diese späten Typen von Chronobiologen genannt, Lerchen hingegen sind die Frühaufsteher.
Menschen arbeiten zu Killerstunden
Möglichst flexible Arbeitszeiten für jeden Chronotypen fordert Roenneberg deshalb. Die Praxis allerdings ist exakt anders herum. In Deutschland zum Beispiel arbeiten gut acht Prozent der Werktätigen nachts – in den Killerstunden, wie Roenneberg sagt, denn für Nachtschichten sind nur ganz wenige, extreme Spättypen geeignet.
Massiv gestiegen ist in ganz Europa die Schichtarbeit, hierzulande muss inzwischen jeder sechste in wechselnden Schichten ran, in Polen sogar mehr als ein Drittel der werktätigen Bevölkerung. Laut Till Roenneberg ist das ein ständiges Leben gegen die innere Uhr, die Folgen sind Müdigkeit, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Also genau die Phänomene, gegen die eine regelmäßige Siesta vorbeugt.
Und da die Arbeitszeiten von den Arbeitgebern festgelegt werden, ist nicht zu vermuten, dass dieser Zwang die Produktivität verringert, im Gegenteil. Die Abstriche werden bei der Lebensqualität der Arbeitnehmer gemacht, in Spanien, in Polen, und auch hierzulande.
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Gesellschaft Nachrichten -
Fiese Arbeitszeiten – Spaniens Siesta trifft keine Schuld
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